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Out of the Austrian blue. John Wray, der Amerikaner mit österreichischer Mutter, bei seiner Lesung.

© ORF/Johannes Puch

Bachmann-Wettbewerb: Auf der Zielgeraden

Erster Tag des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt: John Wray hat schon jetzt das Zeug zum Sieger

Im Grunde ist der Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2017 gelaufen. Der Sieger steht fest, aller Voraussicht und Klagenfurter Erfahrung nach. Und wenn dem nicht so sein sollte und es am zweiten und dritten Lesetag auch noch ein, zwei brillante, wenigstens großartige Texte geben sollte, wird dieser Jahrgang als einer der besten in die Bachmann-Preis-Annalen eingehen. Also: John Wray ist der Top-Favorit. Das war er vorher schon, hat er doch mit „Die rechte Hand des Schlafes“, „Retter der Welt“ oder zuletzt „Das Geheimnis der verlorenen Zeit“ vielfach beachtete, in der amerikanischen Erzähltradition stehende Romane geschrieben.

Wray ist Amerikaner und lebt in Brooklyn, New York. Als Kind einer österreichisch-amerikanischen Beziehung spricht er jedoch gut Deutsch,seine Großeltern mütterlicherseits leben in Friesach, einer Gemeinde in der Nähe von Klagenfurt. „Madrigal“ ist der erste Text, den er auf Deutsch geschrieben hat. Von der ersten Zeile an spürt man den epischen Atem, wie sehr hier jemand sein Handwerk versteht und das nicht zuletzt mit seinen Vortrag demonstriert.

Wray erzählt von einer Schwester-Bruder-Beziehung, beide Schriftsteller. Sie ist psychisch angeschlagen, tut sich schwer mit dem Schreiben, er ist erfolgreich, ein Narziss und Neidhammel. Im Anschluss an ein Telefonat zwischen ihnen, eines allein schon tollen Dialogs, öffnet Wray weitere Türen, durch die Ornithologen, Populisten und ein Biograf und Kritiker treten, in immer wieder neuen, anderen Sinn- und Dialogzusammenhängen. Am Ende entsteht der Eindruck, Bruder und Schwester schreiben auf unterschiedliche Art an der Geschichte, die Wray gerade gelesen hat.

Begeisterung und Bedenken

Die Jury ist zunächst über die Maßen begeistert, ohne im Übrigen Wrays pop- und comickulturelle Einflüsse zu diskutieren. Sie äußert dann aber in den Personen von Hildegard Keller und dem jungen und erfrischenden, wenngleich noch etwas zurückhaltenden Neu-Juror Michael Wiederstein Bedenken, von wegen der überwältigenden, aber zweckfreien Virtuosität, der überbordenden Zurschaustellung des Könnens. Und diskutiert wirklich, ob Wrays Text nicht gar zu viel Format für diesen Wettbewerb habe, ob er Klagenfurt und seine Jury überhaupt brauche, er kein typischer Klagenfurt-Text sei. Willkommen in der kleinen Ingeborg-Bachmann-Welt! Wobei man sagen muss: Wray hat seine Geschichte nur für diesen Wettbewerb geschrieben, nachdem er dazu ermuntert worden war, hat ihr gezielt einen Bogen gegeben.

Typisch Klagenfurt war zumindest der große Rest. Zu Beginn hatte es zwei ordentliche, formal wie inhaltlich recht schlichte, zudem recht monoton vorgetragene Texte gegeben: Karin Peschkas Geschichte „Wiener Kindl“ über ein Kind unter Hunden, und Björn Trebers Autofiktion über die Beerdigung seines Großvaters, inklusive Todesanzeige und Klagenfurter Telefonnummer. Und auch Noemi Schneiders schlotternder, antiquiert wirkender Pop-Text „Fifty Shades Of Gray“ und der Romanauszug von Daniel Goetsch reichen nicht an Wray heran, sind guter Klagenfurt-Durchschnitt.

Die Literatur sei Kampf, hatte der österreichische Schriftsteller Franzobel in seiner Eröffnungsrede gesagt, Kampf unter anderem gegen „die Verknechtung durch die Absolutheits- und Wahrheitsalleinbeansprucher“. Wovon an diesem Donnerstag im ORF-Studio nicht viel zu spüren war.

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