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Die österreichische Autorin Birgit Birnbacher (r.) erhält von der Klagenfurter Bürgermeisterin Maria-Luise Mathiaschitz den Ingeborg-Bachmann-Preis.

© Gert Eggenberger/APA/dpa

Bachmannpreis: Totgesagte lesen länger

Open-Mike im Großformat. Zum Abschluss des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, bei dem die Salzburger Autorin Birgit Birnbacher mit dem Hauptpreis geehrt wurde.

Es war im Jahr 2003, als eine große Sonntagszeitung nach dem Ende des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs mit einem wirklich schwachen Jahrgang und Inka Parei als Gewinnerin titelte: „Schafft Klagenfurt ab!“ Danach entwickelte sich eine Diskussion über Sinn und Unsinn dieses Literaturwettbewerbs und über dessen Relevanz. In den Folgejahren war immer mal wieder zu hören, dass es nun bald vorbei sein werde mit Klagenfurt – in diesen Fällen allerdings nicht, weil er, anachronistischer Dinosaurier, der dieses Fernsehlesen nunmal ist, nicht mehr zeitgemäß oder qualitativ zu schwach sei, sondern der ausrichtende ORF und die Stadt Klagenfurt überlegten, ihre finanziellen Zuwendungen zu streichen.

2019 nun hat der Bachmannpreis zum 43. Mal stattgefunden. Wie in den zwei Jahren zuvor hat es nicht eine einzige Diskussion über seinen Verbleib im Literaturkalender gegeben – und mit der 34-jährigen Salzburgerin Birgit Birnbacher als Preisträgerin sowie dem 1992 in Vöcklabruck geborenen und in Hannover lebenden Leander Fischer als Zweitplatziertem, ausgezeichnet mit dem Deutschlandfunk-Preis, haben sich eine Autorin und ein Autor mit guten, soliden, sprachlich einwandfreien, wenn auch nicht großartigen, gar riskanten Texten durchgesetzt.

Birnbacher erzählt in „Der Schrank“ von einer 36-Jährigen, die sich mit McJobs durchschlägt, auch journalistischen, die prekär lebt, die die Ökonomie nach Klagenfurt gebracht hat, wie es Juror Stefan Gmünder etwas sehr vollmundig sagte. Am Ende wird der Ich-Erzählerin von ihrer Mutter ein Schrank zum Geburtstag geschenkt, der wie aus einem anderen Leben stammt, einem großbürgerlichen, für die Heldin inzwischen in weiter Ferne liegenden Milieu.

Daniel Heitzler wurde ruckzuck zum Star erklärt

Und Fischer verbindet in „Nymphenverzeichnis Muster Nummer eins Goldkopf“ zwei Lebenswelten: die des Fliegenfischens und die eines Musiklehrers, um zu zeigen, wie diese sich in ihrer Kunst, ihrer Pädagogik und ihren Mustern überschneiden, gegenseitig durchdringen. Gut möglich, dass mit beiden Gewinnern schriftstellerische Karrieren begonnen haben, man von Birnbacher und Fischer bald mehr im Literaturbetrieb hören wird.

Wenn in den vergangenen Wochen überhaupt die Frage nach der Existenzberechtigung des Wettlesens gestellt wurde, dann weil es dieses Jahr wie ein besserer Nachwuchswettbewerb wirkte, ein Open-Mike im Großformat. Wenig bekannt waren vorher Autoren und Autorinnen wie Silvia Tschui, Sarah Wipauer, Birgit Birnbacher, Ronya Othmann, Martin Beyer, Leander Fischer und der 23-jährige Daniel Heitzler, der in den Tagen zuvor von der Literaturöffentlichkeit ruckzuck zum Star gemacht worden war, gerade weil er noch nie was veröffentlicht hatte.

Die Jury-Debatten waren oft spannender als die Texte

Dass Heitzler nominiert wurde, mag am Mangel der eingereichten guten literarischen Texte liegen (man hat aus den Reihen der Jury häufig gehört, wie schwer es sei, solche zu bekommen). Trotzdem fügte er sich ganz gut in einen Bachmannpreis-Jahrgang, der qualitativ nicht abfiel zu denen vergangener Jahre, der vielleicht sogar einen Tick besser war. Im Gegenteil: Die Jury feierte Heitzler überraschenderweise für sein „schalkhaftes Nacho-Kammerspiel“ (Juror Michael Wiederstein); für seinen zwar substanz- und relevanzlosen, dafür humoresken, mit den Mitteln der Ironie und sprachlicher Umständlichkeit (betont viele Adjektive und Partizipialkonstruktionen) arbeitenden Text über einen nachbarschaftlichen Grenzstreit irgendwo in Mexiko. Ja, sie setzte den Text am Sonntagfrüh gar auf die sieben Namen enthaltende Shortlist. Dem Literaturgott sei Dank, dass wenigstens Klaus Kastberger den dürftigen, nichtigen Text für dürftig und nichtig befand.

Wie so oft gab es auch 2019 eine Diskrepanz zwischen nicht weiter bemerkenswerten Texten und einer bemerkenswerten Jury-Diskussion, die manches interessanter machte, als es sich bei der erstmaligen Lektüre las. Die Referenzräume öffnete, in denen die Texte nur verschwinden konnten. Aber bei dem sprachlich schwachen Beitrag der 1993 in München geborenen Autorin Ronya Othmann, der jedoch stofflich, da er von dem Genozid an den Jesiden durch den IS erzählt, geradezu überfordernd war, und dem insgesamt überaus schwachen, angekitschten Text von Martin Beyer über den Henker der Geschwister Scholl, erwiesen sich die Diskussionen der Jury als ergiebig.

Ronya Othmann erhielt den Publikumspreis

Es ging um althergebrachte Probleme der Literatur, wie und ob sich ein Genozid literarisch darstellen lässt. Ob es dafür nicht anderer künstlerischer Mittel als der von Othmann angewandten bedarf? Trotz ihrer ins Feld geführten Zeuginnenschaft, trotz der eingebauten Poller, ihrer im Text benannten „Sprachlosigkeit“, dem metafiktionalen „Ich schreibe“. Ist Othmanns detailliert manche Grausamkeit beschreibender Text nicht vor allem eine Reportage? Die sie im Übrigen über ihre Herkunft und den brutalen Umgang des IS mit den Jesiden schon geschrieben hat, im „Literaturspiegel“. Othmann landete immerhin auf der Shortlist. Zu Recht, wie nicht zuletzt das Publikum fand, das das Bachmann-Lesen am Fernseher und im Netz verfolgte: Ronya Othmann erhielt den Publikumspreis.

Im Fall von Martin Beyer gab es einen Nachhall auf die Takis-Würger-„Stella“- Debatte. Die Jury stellte Fragen nach der literarischen Moral, nach der Verkitschung der Historie und befand zu großen Teilen, dass Beyer Opferbeschädigung betreiben würde, wenn er seine Henker-und-Mitläufergeschichte mit dem Schicksal der Geschwister Scholl verbinde. Tatsächlich lässt sich anders in die Psyche eines Mitläufers und eines Scharfrichters schauen, da braucht es nicht die aufmerksamkeitsheischende Staffage prominenter NS-Opfer.

Tom Kummers Text war gut erzählt und noch besser vorgetragen

Ins ordentliche Bachmannpreis- 2019-Gesamtbild passten auch die Preise für Julia Jost, die 1982 im österreichischen St. Veit an der Glan geboren wurde und in Hamburg lebt. Und für den 33 Jahre alten Kölner Autor Yannic Han Biao Federer. Jost gewann den von einem Kärntner Stromunternehmen gestifteten dritten Preis für ihre düstere wie mit Humor erzählte Geschichte über zwei Jungs und die Last der Vergangenheit in einem Kärntner Tal. Federer erhielt den Preis des übertragenden Kultursenders 3sat für eine erzählerisch präzise, ein wenig roadmoviehafte Trennungsgeschichte mit gebrochener Chronologie.

Für Tom Kummer und sein gut erzähltes und noch besser vorgetragenes Schweizer-und-Taxifahrer-„ Nina-und-Tom“-Sequel konnte sich die Jury zwar erwärmen, sie hatte daran gar Spaß – doch für eine Nominierung reichte es nicht. Zu viel Pop, zu viel Pathos? Oder die Abstrafung für Tom Kummers Interview-Fälscher-Vergangenheit? Typisch Klagenfurt, typisch Jury.

Und dann gab es da noch die Berliner Autorin und Lyrikerin Katharina Schultens. Die hatte als Erste am Donnerstagfrüh gelesen und war bei der Jury mit ihrem verkünstelten Chimären-Text gut angekommen. Schultens beklagte sich auf Facebook in einem langen Post über den Umgang mit ihr. Um was es da alles gegangen sei, empörte sie sich, um ihr Aussehen oder ihre Markttauglichkeit!, da wolle sie in Zukunft lieber für die Schublade schreiben. Ob Schultens nicht wusste, wo sie auftreten würde? Dass in Klagenfurt zwar altertümlich-frugal literaturkritische Textexegese betrieben wird, das Ganze aber schon auch Showcharakter hat?

Immerhin steht sie damit in einer guten Tradition, man denke nur an die spätere Deutsche-Buchpreis-Trägerin Melinda Nadj Abonji, die 2004 bei der Preisverleihung die Bühne enterte und sich beklagte. Solange es weiterhin solcherart beleidigte Autorinnen gibt, dürfte sich der Bachmann-Wettbewerb bestätigt fühlen und seiner weiteren Existenz gewiss sein.

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