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Kultur: Bär bin ich

Mensch und Tier in freier Wildbahn: Ursus, Grizzly, Teddy, Yogi – Geschichten von Brunos Verwandtschaft

Am liebsten würden wir uns ja küssen lassen von ihm. Wie die Gutsbesitzerin Popówa, das „Witwelein“ mit den Grübchen auf den Wangen in Tschechows Einakter „Der Bär“. Vom bärbeißigen Smirnoff wird die Hochverschuldete zum Duell gefordert, worauf sie ihn einen Bären schimpft, was ihn wiederum zum feurigen Kuss animiert. Fragt sich, wer da eigentlich wen übermannt.

Ach, der Bär, das gemütliche Biest, geliebt und gefürchtet. Er ist uns fremd – und verdammt ähnlich. Höhlenbewohner. Wandergeselle. Geht tapsig, aber aufrecht, schaut gutmütig (Kindchenschema!), liebt Süßes und die Freiheit der Wälder. Verführt die Damen zu spitzen Schreien und kann laut Kleists „Marionettentheater“ jeden Fechthieb parieren, lässt er sich doch von Finten nicht täuschen. „Aug in Auge,“ so der Dichter, „als ob er meine Seele darin lesen könnte, stand er, die Tatze schlagfertig erhoben, und wenn meine Stöße nicht ernsthaft gemeint waren, so rührte er sich nicht.“

Der Bär, althochdeutsch bero: der Braune. Er ist alt wie die Menschheit, unser erster, treuester, mörderischster Gefährte, auf Höhlenwände gezeichnetes Jagdwild, groß genug, um einen ganzen Stamm zu ernähren – auf dass die Bärenhungrigen sich seine Stärke einverleiben. Prozess der Zivilisation: Wir sublimieren solche Heldentaten – und naschen Gummibärchen. Ein Bär, ein Grizzly, was für ein Glück: Kraftpaket, Indianergott, Karl- May-Flinte („Bärentöter“!), Fabelwesen, Wappentier, nicht nur von Berlin. Eine Bärin, was für ein Drama: Die schöne Nymphe Kallisto wurde von der eifersüchtigen Jagdgöttin Artemis in eine Bärin verwandelt. Zickenkrieg auf Griechisch. Als Kallistos ahnungsloser Sohn bei der Jagd das Muttertier erlegen will, verwandelt ihr Lover Zeus sie in ein Sternbild. Ursa Major, eine der größten Konstellationen am Firmament.

Der Bär, nicht zu fassen, ist unbezwingbar; ein Freiheitskämpfer. „Ohne dem Bären daraus einen Vorwurf machen zu wollen: Der Bär interessiert sich nicht für den Menschen“, schreibt Bernd Brunner in seiner wunderbar materialreichen „Kurzen Geschichte der Bären“. Das fasziniert uns – und kränkt uns. Wir haben ihn ausgerottet, gezähmt, an der Nase herumgeführt, verniedlicht und ihm das Fell abgezogen. Paradoxes Zottelwesen: Je weniger Bären in freier Wildbahn, desto mehr tummeln sie sich im Freiraum der Fantasie.

Der, vor dem wir uns schützen müssen, wird unser Beschützer. Baloo – „probier’s mal mit Gemütlichkeit“ – führt den Menschenjungen Mogli durchs Dschungelbuch. Paddington, Yogi-Bär, Samson aus der „Sesamstraße“, der kleine Eisbär und Winnie- the-Pooh, der Bär von vielleicht doch nicht so geringem Verstand: Mit Kindern sind sie alle ganz dicke. Der, vor dem wir uns schützen müssen, wird am Ende von uns beschützt.

Die Geburtsstunde des Teddybärs ist bezeichnend für diese Umkehrung. Seinen Namen hat das mit Sägespänen ausgestopfte knopfäugige Stofftier von dem passionierten Bärenjäger Theodor Roosevelt. Als der, auch das ist bei Brunner nachzulesen, im November 1902 auf einen Jungbären stieß, hielt er seinen Jagdkollegen vom Schießen ab. Das wehrlose Tier habe eine Chance verdient. Woraufhin die Gemischtwarenhändler Rose und Morris Michtom aus Brooklyn flugs einen Bären bastelten, ihn „Teddy’s Bear“ nannten und mit dem „Washington Post“-Cartoon über den Vorfall ins Schaufenster stellten. Der Präsident der Vereinigten Staaten gestattete den Michtoms die Verwendung seines Vornamens. Schon bald florierte die Teddy-Industrie. Wenn du die Mächtigen nicht besiegen kannst: knuddele sie!

Am Montag soll Bruno in Bayern und Österreich zum Abschuss freigegeben werden.

Christiane Pe(i)tz

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