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Der Schmerz ist ein alter Vertrauter. Der Gold-Ruderachter von Seoul, ganz vorn links Schlagmann Bahne Rabe. Foto: picture-alliance/dpa

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Bahne Rabe: Wir wollen die Elite sein

Den Schmerz niederkämpfen: Evi Simeonis Roman "Schlagmann" über Leben und Tod des Ruderers Bahne Rabe, der mit dem Deutschland-Achter 1988 olympisches Gold gewann und später an Magersucht erkrankte.

Es ist der 5. August 2001, als die Nachricht vom Tod des einstigen Goldruderers Bahne Rabe die Sportwelt in tiefe Bestürzung versetzt. Er stirbt knapp 38-jährig an einer Lungenentzündung, der sein 60 Kilogramm schwerer Körper (bei einer Größe von über zwei Metern) nichts mehr entgegensetzen kann. Magersucht. Ein Tod auf Raten, gut zu verfolgen von all denen, die ihn kannten. Bahne Rabe war der Schlagmann des Ruder-Achters, der 1988 bei den Olympischen Spielen in Seoul Gold gewann, und er wurde 1991 in Wien mit dem Vierer noch einmal Weltmeister.

Die „FAZ“-Sportjournalistin Evi Simeoni berichtete seinerzeit über diese Erfolge, begegnete dem blonden, verschlossenen Sportler mehrmals, schrieb den Nachruf auf ihn und forschte auch danach noch nach Gründen für seine Krankheit und seinen Tod. Jetzt hat sie mit „Schlagmann“ einen Roman über Rabe geschrieben, denn, so Simeoni in ihrem Nachwort, „das Schicksal dieses Ruderers und die Suche nach der Botschaft darin haben mich nicht mehr losgelassen.“

Arne Hansen heißt bei ihr nun die Rabe nachgebildete Figur, und die, die das Schicksal des Ruderers Jahre nach seinem Tod weiter umtreibt, sind in „Schlagmann“ ein Sportsfreund und Konkurrent von damals, Ali, eine Geliebte, Anja, sowie der alternde Sportreporter Paco Müller. Der will Hansens Lebensgeschichte noch einmal recherchieren, weil „so lange Zeit niemand gemerkt hat, was mit Arne los war“. Dafür protokolliert er zahlreiche Gespräche mit Ali, der eigentlich Wolfgang Alt heißt, und Anja, einer Bankierstochter. Aus drei Perspektiven lässt Simeoni also Hansens Geschichte erzählen, ausgehend von der Zeit da er Olympiasieger mit dem Achter und drei Jahre später Weltmeister mit dem Vierer wird, Anja kennenlernt und schließlich mit Ali, der beim Olympiasieg direkt hinter ihm saß, in ein immer stärkeres Konkurrenzverhältnis gerät.

Das Problem dieser Erzählkonstruktion: Arne Hansen bleibt eine Leerstelle, er gewinnt keine Konturen, er wird einfach immer nur seltsamer, dünner und kränker. Der Prolog auf dem Wasser, in dem Simeoni ihren eigentlichen Helden ein einziges Mal unvermittelt in den Blick nimmt, ist in dieser Hinsicht schon das Stärkste und vielleicht auch das Mutigste dieses Romans. Hier kommt die Autorin auch den Regungen, Gedanken und Motivationen eines Kraft- und Ausdauersportlers am nächsten: „Er begrüßt den Schmerz wie einen alten Vertrauten“, heißt es da. „Er wartet darauf, dass die beiden Schmerzen aufeinandertreffen. Der Schmerz der Kälte, der durch seine Haut dringt. Und der Schmerz, der seine Muskeln von innen brennen lässt. Dieses wohlbekannte Brennen. Er kämpft ihn nieder, in dem er sich ihm stellt, sich tief hineinwühlt, seine Spur verfolgt bis in die kleinsten Verästelungen.“

Im Anschluss an diesen Prolog versuchen die drei Erzähler ihrer Beziehung zu Arne Hansen Ausdruck zu geben: ihrer Faszination für ihn, ihren Problemen mit ihm, den Schuldgefühlen, die sie Jahre nach seinem Tod noch haben. Hansen wird eingekreist. Zu fassen bekommen sie ihn jedoch nicht, sondern höchstens sich selbst. In ihrem Nachwort schreibt Simeoni auch, Anlass seien Leben und Tod Rabes gewesen, das Buch aber sei eine Fiktion: „Grundlage meiner Arbeit war meine eigene Vorstellungskraft“. Das aber dürfte sich vor allem auf die Ausgestaltung der Leben von Ali, Anja und Paco Müller beziehen. An Hansen/Rabe selbst hat sie sich aber nur zaghaft herangetraut. Bis auf einige Ausnahmen (früherer Karriereknick, Vorliebe für Kurt Cobain und Nirvana) hat man den Eindruck, dass Rabe auch in Dirk Kurbjuweits Reportage damals im „Spiegel“ nicht viel anders porträtiert wird. Oder auch von Simeoni selbst in der „FAZ“, inklusive wörtlicher Übernahmen aus einem ihrer Gespräche mit einem Dortmunder Psychiater: „Das Bedürfnis, sich in nichts aufzulösen, ist dadurch bedingt, dass die Wirklichkeit unerträglich ist.“ (Nirvana!)

So fragt man sich, ob es nicht ein erzählendes Sachbuch auch getan hätte? Ob Simeoni der eigenen Vorstellungskraft nicht zu wenig vertraut hat? Dafür sind Romane schließlich da. Lesen lässt sich „Schlagmann“ zügig und ohne Widerstände. Manchmal erschließt sich immerhin nicht nur die Hilflosigkeit des Umfelds eines Magersüchtigen, sondern es blitzt auch auf, was den Reiz einer nicht gerade populären Sportart wie Rudern bis hin zu den Olympischen Spielen eigentlich ausmacht: „Wir wollten etwas ganz Großartiges vollbringen, wollten beweisen wie toll wir waren“, sagt Ali. „Wir waren Elite, und das fühlte sich gut an. Ja, eine Elite.“ Und ein Trost ist es bei dem tragischen Ende von Bahne Rabe zumindest, gerade wenn man jetzt seinen Spaß an den Wettkämpfen in London hat, dass wohl alle seiner damaligen Ruderkollegen auch ihr Leben nach dem Sport gut zu meistern wissen. Gerrit Bartels

Evi Simeoni: Schlagmann. Roman. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 276 Seiten, 19, 95 €

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