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Revolutionärin. Die Fotografin und Kommunistin Tina Modotti ist das Thema einer neuen Graphic Novel von Ángel de la Calle.

© Rotbuch

Ball der Bastarde: Comics erobern das Literaturfestival

Am kommenden Sonnabend werden namhafte Gäste aus ganz Europa erwartet. Erstmalig wagt sich das Literaturfestival in Berlin auch an Graphic Novels, Funnys und Bildgeschichten – an Comics. Die Bastion der Hochkultur wankt – mit durchschlagendem Erfolg.

Der Durchbruch gelang vor zwei Jahren. Erstmals widmete sich da Kindlers Literaturlexikon auf 19 Seiten einem Genre, das bildungsbürgerliche Institutionen bis dahin weitgehend ignoriert hatten: dem Comic. An diesem Wochenende öffnet sich dem Medium, das wegen seiner Verknüpfung von Literatur und bildender Kunst lange als Bastard belächelt wurde, eine weitere Bastion der Hochkultur. Das Internationale Literaturfestival Berlin (ILB) widmet am Sonnabend einen ganzen Tag dem Comic – beziehungsweise der Graphic Novel, wie die Veranstalter mit Rücksicht auf mögliche Berührungsängste des Publikums schreiben. Dabei überschreitet das Programm alle Grenzen: Vom gezeichneten Roman über Bildgeschichten, Bilderbücher und illustrierte Erzählungen bis zur Comic-Kurzgeschichte im Funny-Stil ist alles dabei. Hochkarätige Gäste aus neun Ländern werden erwartet.

So ist Bernard Granger alias Blexbolex dabei, der französische Illustrator, dessen Bilderbuch „Leute“ vor zwei Jahren von der Stiftung Buchkunst als „schönstes Buch der Welt“ gekürt wurde. Lorenzo Mattotti, der große italienische Zeichner, Maler und Autor, dessen Arbeiten zum Kunstvollsten gehören, das der Comic je hervorgebracht hat, stellt seine frisch erschienene Umsetzung von „Hänsel und Gretel“ als tiefschwarzes Bilderbuch vor, wird aber auch über seine jüngste Zusammenarbeit mit Lou Reed sprechen, mit dem er das Edgar-Allan-Poe-Gedicht „Der Rabe“ als Bilderbuch adaptiert hat.

Aus Griechenland kommt ein neuer Star der Comicszene, der zusammen mit einem kleinen Team im vergangenen Jahr scheinbar aus dem Nichts einen weltweiten Bestseller geschaffen hat: Alecos Papadatos, Zeichner der Graphic Novel „Logicomix“, die die Geschichte der Logik anhand der Biografie des Philosophen Bertrand Russel vermittelt. Aus Berlin ist Barbara Yelin („Gift“) dabei, die mit ihren vielschichtigen Bleistiftzeichnungen zu den herausragenden deutschen Künstlerinnen des Genres gehört.

Lesen Sie auf Seite zwei: Was es auf dem Festival noch alles zu entdecken gibt.

„Ich verfolgte seit einigen Jahren die Entwicklung der Graphic Novel“, sagt Festivalleiter Ulrich Schreiber. Als er hörte, dass jetzt sogar Thomas Bernhards Roman „Alte Meister“ als Comic adaptiert wird, beschloss er, sein Festival zu erweitern – mit kräftiger Unterstützung der Vereinigung der europäischen Kulturinstitute Eunic.

Neben den Comicstars gibt es auf dem Festival eine Reihe von Autoren und Zeichnern zu entdecken. Allen voran Ángel de la Calle. Der spanische Zeichner und Autor widmet sich in der nun auf Deutsch erschienenen Graphic Novel „Modotti“ einer der faszinierendsten Frauenbiografien des 20. Jahrhunderts. Er bietet eine fulminante Mischung aus Texten und Bildern, die den Zauber der Fotografin, Kommunistin und Künstlermuse sowie der turbulenten Weltlage in den 20er bis 40er Jahren anschaulich vermitteln. Eine Entdeckung auch das aktuelle, noch nicht auf Deutsch verlegte Buch des Schweden Fabian Göranson, der am Sonnabend ebenfalls dabei ist: In der bildgewaltigen Graphic Novel „Inferno“ nähert er sich dem schwedischen Nationalhelden August Strindberg und dessen Kampf mit Wahnvorstellungen und Depressionen.

Die polnische Comicautoren Rafal Skarzycki und Tomasz Lesniak erzählen in ihrer Serie „Jez Jerzy“ derbe, sozialkritisch angehauchte Kurzgeschichten im humoristisch überdrehten Funny-Stil. Farbenfroh und zugleich düster geht es auch in vielen finnischen Comics zu: Eine Auswahl, die kürzlich als opulente Anthologie erschienen ist, stellt der Bibliothekar und Journalist Kalle Hakkola vor. Eine weitere Comicwelt kann man mit Alexandru Ciubotariu entdecken: Der rumänische Künstler, der über die Street Art zum Comic kam, präsentiert neben eigenen Bildgeschichten seine illustrierte Geschichte des rumänischen Comics.

10. September, Haus der Berliner Festspiele (Schaperstr. 24, zwei Blöcke ab 10 bzw. 14 Uhr, je 6/4 Euro, mehr online unter www.literaturfestival.com). Moderiert wird die auf Englisch stattfindende Veranstaltung von Tagesspiegel-Redakteur Lars von Törne. Ángel de la Calle spricht auch am Freitag um 19 Uhr im Südblock (Admiralstr. 1–2, Kreuzberg) über seine Arbeit. Und der jetzt auf Deutsch erschienene Iran-Comic „Zahra’s Paradise“ wird präsentiert am 13. September, 12 Uhr.

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