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Auge des Sturms. Eva Meckbach in Castelluccis Hölderlin-Vision. Foto: Joachim Fieguth

© Joachim Fieguth

Kultur: Ballade vom schwarzen Hund

Castelluccis „Hyperion“ an der Schaubühne.

Sonntagabend in Deutschland. „Tatort“- Kommissar Martin Wuttke jagt einen Bombenleger. Es sind schwer bewaffnete, martialisch auftretende Sondereinheiten im Einsatz, das gehört zur Serie.

Sonntagabend in der Schaubühne. Eine neue Kreation von Romeo Castellucci wird uraufgeführt, im Rahmen des Festivals neuer Dramatik. Castellucci ist ein bildstarker Regisseur, er zielt dahin, wo es wehtut. Das kann etwas Persönliches sein, wie der Umgang mit einem dementen, inkontinenten Vater oder etwas Philosophisch-Politisches, wie hier in „Hyperion. Briefe eines Terroristen“. Der Vorhang wird aufgezogen, und herein stürmt ein Dutzend wild gewordener paramilitärischer Typen. Sie schlagen das Bühnenbild kurz und klein, verwandeln eine bürgerliche Wohnung – mit vielen Büchern – in einen Haufen Schutt. Und gehen auf die Zuschauer los: „Hier gibt es nichts zu sehen. Bitte verlassen Sie den Saal!“

Was macht der Schaubühnenbesucher? Steht auf und grinst und geht – und steht die nächste halbe Stunde im Foyer. Draußen ist es selbst Rauchern zu kalt. Außerdem sind da Autos geparkt, falsche Polizei mit nervigem Blinklicht. Das wichtigste Thema beim Pausengespräch: Erinnert ihr euch an Einar Schleefs „Salome“? Da war der erste Teil des Abends noch kürzer, nicht zehn, sondern fünf Minuten. Und dann mussten auch alle raus... Ah, da ist das Klingelzeichen. Ordnung muss sein. Es geht weiter.

Zehn Minuten fadenscheinige Action – und dann siebzig oder achtzig Minuten Hölderlin-Deklamation. Es fühlt sich sehr viel länger an, auch weil Castelluccis Schauspielerinnen über die Lautsprecheranlage flüstern, Hölderlin rauschhafte Wortströme einflüstern.– Hier gibt es nichts zu sehen? Aber doch. Auf der strahlend weißen Bühne sitzt verloren, mit abgeknicktem Ohr, ein schwarzer Hund. Die eingeblendete Schrift informiert das Publikum, dass der Hund blind ist. Er reagiert nur auf akustische Zeichen. Hund also ab. Auftritt: ein Kind. In Weiß. Auf einem Podest. Griechischer Schein. Friedrich Hölderlins „Hyperion“ erschien 1799, ein Findling der deutschen Literatur. Griechenlandsehnsucht, Zivilisationsflucht, Liebestraum, gefährlicher Idealismus, unfassbar schöne Poesie: Das alles birgt dieser Roman. Castellucci liest ihn wie „Briefe eines Terroristen“. Hölderlin als Revolutionär im Dienste einer totalen Ästhetik, eines reinen Glaubens an die Kunst? Das klingt faschistoid, doch nicht deshalb kommt die Theaterpolizei. Sie zerlegt die Bühne (die Terrorzelle?), weil der Regisseur das so will. Weil er die Brisanz seiner Vision beweisen will. Weil Castellucci seine Coups und Effekte offensichtlich kalt berechnet. Ein tinnitöses Rauschen ist dem Abend unterlegt.

Schwarz-weiße Welt. Schwarz die Polizei, die Männer (warum auch der Hund?), weiß die Poesie, die Frauen, manchmal nackt. Einen feinen Auftritt hat Angela Winkler. Sie muss Stille und Noblesse nicht behaupten. Sie naht sich, und plötzlich ist die Konzentration da, kann man wachen und träumen und ahnen, wie der Dichter an Deutschland, an seiner Zeit der „Klassik“ litt. Die Soldateska kommt noch mal als Putzkolonne oder Kunstzerstörer wieder. Die von Hölderlin inspirierte Performance aber ist so grob wie das, was sie bekämpft.Rüdiger Schaper

Wieder am 24. und 25. April.

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