zum Hauptinhalt

Ballhaus Naunynstraße: „Who is this Sääärasin?“

Von Kreuzberg nach Amerika: Das Ballhaus Naunynstraße gastiert mit zwei Produktionen in New York. Anschließend wird mit dem Publikum über Integration und Migration in Deutschland gesprochen.

Am Nachmittag hat Ibrahim-Utku Erdogan eine New Yorker Schule besucht, deren Ausländeranteil den einer schlagzeilenträchtigen Institution in Kreuzberg übersteigt. Kinder und Jugendliche aus 122 Ländern werden hier unterrichtet, die 95 verschiedene Sprachen sprechen. Allerdings, so ganz vergleichbar sind die Verhältnisse dann doch nicht. Die United Nations International School liegt am East River, kostet bis zu 27 000 Dollar Schulgebühren im Jahr, und ihre Klientel sind UN-Diplomatenkinder.

Am Abend werden einige Schüler aus dem deutschsprachigen Zweig der Unis Utkus Vorstellung kommen, „Ferienlager – Die 3. Generation“. Sie werden ihn und die anderen Jugendlichen, fast alle nichtprofessionelle Schauspieler zwischen 18 und 24, in diesem Dokumentartheaterstück aus ihrem Kreuzberger Leben erzählen hören. Das Thema Migration ist eher Hintergrundrauschen. „Ferienlager“, so bringt es Regisseur Lukas Langhoff im Publikumsgespräch auf den Punkt, beziehe seine Energie „ aus der hormonellen Situation“ der Protagonisten. Und die ist universell verständlich. Aber natürlich geraten gerade in der Ferne die Fragen unters Brennglas, die zuhause ungeklärt geblieben sind. Utku, der 20 Jahre alt und Basketballfan ist, sagt zum Beispiel, dass er den Begriff Afroamerikaner schätze, aber „Deutschtürke“ befremdend finde. Auf die Frage nach seiner Identität antwortet er: „Berliner.“

Das Ballhaus Naunynstraße gastiert mit zwei Produktionen in New York. Die Reise ist in der Hauptsache vom Auswärtigen Amt gesponsert. Als Spielort haben die Berliner das P. S. 122 im East Village angemietet, ein Off-Off-Theater, das sich einen Namen als Treffpunkt der Avantgarde gemacht hat. Natürlich hatte Langhoff im Vorfeld Zweifel: Gibt es in New York angesichts einer Konkurrenz von bis zu 40 Premieren pro Abend ein Interesse für uns? Und sich dann beruhigt: Wir versuchen ja nicht, Hip-Hop zu importieren, und Berlin ist in New York en vogue. Tatsächlich sind alle vier Vorstellungen voll, was nicht damit zu erklären ist, dass der Eintritt frei ist (wenn man als Künstler in den USA für Geld auftreten will, fallen horrende Visa-Gebühren und absurde Formalitäten an).

Im 135-Plätze-Saal des P. S. 122, wo die Ballhaus-Stücke auf Deutsch mit englischen Übertiteln laufen, ist zur zweiten „Ferienlager“-Vorstellung ein höchst gemischtes Publikum aus türkischer Community, Auslandsdeutschen, Amerikanern mit deutschen Wurzeln sowie New Yorker Kulturgängern versammelt. Sie stellen die gängigen Fragen nach der Entstehungsgeschichte des Stücks, und sie wollen wissen, ob die jungen Darsteller daheim Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht hätten. Der 24-jährige Tamer Arslan entgegnet, dass er in Berlin oft Schwierigkeiten habe, in Clubs eingelassen zu werden. Aber das sei ihm in New York nicht anders ergangen. Schon bei der Einreise in die USA wurden alle schwarzhaarigen Jungs von den Grenzbeamten zur Befragung aus der Schlange gewunken. Einer, der einen bulgarischen Stempel im Pass hatte, musste sich anbrüllen lassen: „Was hast du in Russland gemacht?“ Einerseits, sagt Shermin Langhoff, die künstlerische Leiterin des Ballhaus Naunynstraße, seien besondere Zugangsmodalitäten verständlich in einem Land mit 9/11-Trauma. Andererseits: Warum kontrollieren sie die blonden Mädchen nicht ebenso?

„Ich sage, ich bin Moslem, obwohl ich nicht eine Sekunde so gelebt habe. Aber ich benutze das Wort Allahim sehr oft“, erzählt Tuna Basgerdan, der Berliner Taxiunternehmer. Er ist einer der Protagonisten aus dem Stück „Klassentreffen – Die 2. Generation“, der anderen Dokumentartheater-Produktion, mit der das Ballhaus angereist ist. Sie entstand 2007 noch am Hebbel am Ufer, ebenfalls in Lukas Langhoffs Regie. Die beiden Arbeiten korrespondieren miteinander. Erst hat man die Kinder gehört, jetzt sprechen die Eltern. Jene, die versucht haben, „sich tatsächlich im System zu etablieren“, wie Langhoff sagt. Menschen wie der Berliner Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu, die Schauspielerin Hülya Duyar, die Kommunikationsmanagerin Emel Zeynelabidin oder die Polizeikommissarin Dilek Sillmann. Sie alle erzählen persönliche, berührende Geschichten, die nicht nur vom Erfolg des Ankommens handeln, sondern auch von Verlusten. Diese migrantischen Aufstiegsbiografien werden in New York mühelos verstanden.

Die Geschichten nehmen dabei, wie der Regisseur betont, nicht für sich in Anspruch, repräsentativ für eine deutsch-türkische Gesellschaft zu stehen. Aber Shermin Langhoff gibt auch zu bedenken: „Wenn eine Emel nach 30 Jahren ihr Kopftuch ablegt, sich mit 50 Jahren neu verliebt und von ihrer Familie trennt – und es ist nicht der Islam, der sie daran hindert –, dann sagt dieser Emanzipationsschritt ja etwas aus.“

Im Anschluss an die Vorstellung wird über die Situation der Migranten in Deutschland diskutiert, über Diskriminierung und Integration, fast alle Protagonisten erzählen, dass sie nur dem Pass nach als Deutsche gelten, und dann kommt auch der Name Sarrazin ins Spiel. „Who is this Säärasin?“, will eine Amerikanerin wissen – ob das eine Figur aus dem Mittelalter sei? Es meldet sich eine deutsche Zuschauerin zu Wort, die seit zwölf Jahren in New York lebt. Sie sagt, das Bild eines ausgrenzenden Deutschlands, das hier im Gespräch aufkäme, verstöre sie doch sehr. Freilich ist das nicht die Botschaft, die das Stück aussendet. Aber die Ballhaus-Künstler sind nach New York auch als Botschafter einer komplexen Problemlage gekommen, die daheim noch auf ihre Lösung wartet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false