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Wieder fit. BAP-Sänger Wolfgang Niedecken erlitt vor einem halben Jahr einen Schlaganfall. Jetzt gibt er wieder dreistündige Konzerte. Nur sein neuer Bart irritiert ein wenig.

© dpa

Bap: Noh all dänne Johre

Volle Packung: Wolfgang Niedecken dankt seinem Schutzengel und rockt mit BAP die Berliner Columbiahalle.

Grottenschlechter Fußball, desaströse Verkehrsprojekte, Streit um die Finanzierung von Kulturinstitutionen – Köln und Berlin begegnen sich in Sachen Negativschlagzeilen derzeit etwa auf Augenhöhe. Wie man angesichts dieses Horrors den Humor behält und sogar munter Lokalpatriotismus zelebriert, demonstriert wohl kaum jemand souveräner als die Kölner Band BAP, die gerade auf ihrer „Das volle Programm“-Tournee durch Deutschland ist. Hinter der Bühne hängt ein riesiger Vorhang mit den drei goldenen Kronen aus dem Kölner Stadtwappen, und während die Musiker hereinkommen, ertönt Domglockengeläut vom Band. Ach ja, da hüpft das Herz der vielen Exil-Kölner und Rheinländer unter den 2800 Besuchern der Berliner Columbiahalle.

Los geht’s mit „Halv su wild“, dem Titelstück ihres 2011 erschienenen Albums. Leider ist das Orgelmotiv von Michael Nass, das dem Song einen hübschen Dreh gibt, nicht zur hören. Die durchgeschrammten E-Gitarren rocken alles nieder. Später ist die Mischung dann besser, der Sound ausgewogen. Im Zentrum steht natürlich der Gesang von Wolfgang Niedecken, der seit seinem Schlaganfall im letzten November nichts von seiner Kraft eingebüßt zu haben scheint. Der 61-jährige Sänger und Gitarrist wirkt fit, auch wenn er sich während der gesamten knapp dreistündigen Show nicht von dem etwa drei Meter langen Teppich herunterbewegt, auf dem sein Mikrofon steht. Das stört aber niemanden, alle hier sind froh, dass die Band den abgesagten Wintertermin überhaupt nachholen kann. Wolfgang Niedecken bedankt sich nach zwei Auftaktliedern für die große Anteilnahme an seiner Krankheit. „Manche Menschen sind entgegen ihrer Gewohnheit sogar in die Kirche gegangen oder haben nach Mekka gebetet,“ sagt er und leitet zu seinem „persönlichen Glaubensbekenntnis“ über, der Toleranz-Hymne „Kron oder Turban“.

Etwa die Hälfte der über zwei Dutzend Songs im Programm der 1976 gegründeten Kölschrock-Band stammt von ihren letzten beiden Alben. Dabei fällt auf, wie stark vor allem die „Halv su wild“-Stücke sind. Die Ballade „Noh all dänne Johre“ – Niedecken nennt sie die Seele des Albums – hält mühelos die Balance zwischen Melancholie und leiser Unruhe, die sich beim Blick auf sechs Jahrzehnte und den vorbeifließenden Rhein einstellen.

Die älteren Titel werden vom mitklaschfreudigen Publikum besonders bejubelt. „Nix Wie Bessher“ hat erst einen leichten E-Street-Band-Touch und klingt mit dem „Uh-hu“-Chor am Schluss fast ein bisschen nach „Song 2“ von Blur. Bei „Alexandra, nit nur du“ zerrt Helmut Krumminga, der schon nach 15 Minuten das erste Hemd durchgeschwitzt hat, ein extra-langes Solo aus seiner Gitarre. Er muss tatsächlich in jedem Stück seine Fingerfertigkeit unter Beweis stellen, was irgendwann doch etwas beliebig erscheint. Ist aber zum Glück auch immer schnell wieder vorbei. Inzwischen hat sich Geigerin Anne de Wolff zu den fünf Herren gesellt und gibt dem langsamen Mittelteil des Konzertes einen schönen zusätzlichen Farbton.

Als BAP wieder Fahrt aufnehmen, sagt Niedecken: „Jetzt müssen wir ja noch auf unsere Fußballvereine zu sprechen kommen.“ Lachend bescheinigt der große FC-Fan seinem Club eine Saisonleistung jenseits des „Fremdschäm-Äquators“. Sowohl die vielen Köln-Anhänger im Saal als auch die paar Hertha-Schal-Träger wissen nur zu gut, wovon er spricht. Gemeinsam können sie nun Trost finden in „Woröm dunn ich mir dat eijentlich ahn?“, das die ewige Fan-Qual treffend beschreibt und mit seinem sanft-resignativen Refrain auch gar nicht so tut, als gäbe es Erlösung im Mitgröl-Chor. Nein! Das geht immer weiter, denn: „Et jitt drei Saache, die söök sich keiner uss: Vatter und Mutter un – wat willste maache – dä Club, mit dem man leiden muss“, singt Wolfgang Niedecken. Nächstes Jahr dann in der Zweiten Liga.

Vorher gibt es noch eine Packung BAP- Hits: „Kristallnaach“ in einer schnellen Version, „Arsch huh, Zäng ussenander“ und selbstverständlich „Verdamp lang her“, die Hommage an Niedeckens Vater – inzwischen tatsächlich verdammte 31 Jahre alt. Man nimmt der Band, die einfach weiter ihr bodenständiges Ding durchzieht, das alles immer noch ab. Und wenn Niedecken die Zugabe „Paar Daach fröher“ dann ganz beiläufig seinem Schutzengel widmet, ist das schlicht entwaffnend. Fast wie eine Spielanalyse von Lukas Podolski, dem Bald-Londoner mit dem kölschen Herz. Nadine Lange

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