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Kultur: Bar jeder Vernunft: Die Welt als Furche

Die Hose rutscht. Er zieht sie hoch.

Die Hose rutscht. Er zieht sie hoch. Der Anzug ist etwas groß und hat Streifen, parallel ausgerichtet. Seine typische Handbewegung ist die parallele Ausrichtung der Handflächen: So verlaufen Furchen einer Kindheit auf dem Acker. Furchen des Lebens. Furchen in einer Seele. Er sieht gut aus, blond. Seine Tolle fällt ihm ins Gesicht. Zwischendurch putzt er Staub vom schwarzen Flügel. Auf dem Flügel liegt ein Knopf. Der stört. Die Tolle fällt, die Hose rutscht. Schon wieder ist der Flügel staubig. Die Stimme kippt zur Fistelstimme: sein Gewissen. Das Gewissen eines Feministen. Das Gewissen eines Lehrers. Dann spricht er wieder normal. "Die Frau hat so geweint," sagt er. "Provinz ist da, wo der Lehrer zu den Intellektuellen zählt." Er streicht über die Tasten, singt ein kleines Lied. Im Sitzen rutscht die Hose nicht. Aber der Flügel ist schon wieder eingestaubt.

Andreas Rebers ist beklommen komisch. In der Bar jeder Vernunft erzählt er mit roten Ohren verspannt souverän von seiner Welt, der Welt eines Bauernjungen und Studentenführers, eines Entertainers und Bräutigams. Er gibt den Macho als Hausmeister und den Hobbykoch, der nach großem Essen mit der Hand abwäscht, damit die Spülmaschine unbefleckt bleibt. Er ist bekennender Walstreichler und steht zu der Erfahrung, dass "so ein Wal sich viel interessanter anfühlt als ein Arbeitsloser". Er streift durch das Paradies der Obsessionen. "1000 Jahre Sex im Dunkeln" heißt die Ballade über das Zivi-Dasein in Braunschweig: "Du wartest auf Leben, dann irgendwann gehst du in die Stadt Pizza essen." Minimalistisch pointiert kommen seine Liedchen daher; er war mal Musikalischer Leiter am Staatstheater Braunschweig. Sein Stimmungssong vom herrlichen Treffen aller Leute, die Günther heißen, ist die perfekte Satire auf jedes klaustrophobische Mir-san-Mir-Milieu. "Das ist doch das, wovon wir alle träumen: einfach mal rausgehen und was Wichtiges sagen, " sagt Andreas Rebers. "Karl Marx ist tot, Karl Moik lebt, das muß ja Gründe haben."

Er macht tückische Pausen. Da, ein falscher Lacher: Er stellt Fallen. Furchen-Fallen. Geografisch pflügt er irgendwo zwischen Josef Hader und Woody Allen: der Deutsche als Niedersachse, der Angstbeißer als Besserwisser - eine Kabarett-Entdeckung für Berlin. "So ist das im Idealismus," sagt er, "alles was ich mal wollte, ist eingetreten; würden Sie zu meinem Friseur gehen?" Nicht der Anzug ist zu groß, die Frau näht den Knopf nicht an. Der Melancholiker stellt Ordnungsfragen. Die Tolle fällt, die Hose rutscht. In jeder Furche ein Abgrund. Ein Männlein läuft gegen die Wand.

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