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Staub sammeln. Die Bildhauerin Barbara Caveng bei ihrer Arbeit auf den Straßen von Damaskus.

©  Yamen Youssef

Barbara Caveng: Der Staub von Damaskus

"Sie haben Gewehre in den Händen. Schüsse, Rauch." Die Künstlerin Barbara Caveng hat in Syrien erfahren, wie das Land auf den Abgrund zusteuert.

Der Airbus aus Berlin bringt 19 Passagiere nach Damaskus. Vor dem Immigrationsschalter sucht ein Kamerateam nach Touristen. Ich stehe im Zwischenland. „Is it your first time in Syria? What do you think? Will you come back?“ Am Abend sehe ich mich als Propaganda-Touristin in den Nachrichten.

Die aktuelle Lage in Syrien beherrscht das Gespräch während der Autofahrt und beim Essen im Apartment der Kuratorin. Abir Boukhari hat mich zum Festival „AllArtNow“ eingeladen. Ich finde mich in dem Gespräch nicht zurecht. Das Gute ist böse und das Böse gut? Assad, der Diktator, ein Hoffnungsträger? Syrien ein offenes Land? Die Infiltration kommt von außen. Aus dem Westen, aus Saudi-Arabien …

Baschar al Assad lächelt von den Hauswänden, sein Konterfei auf Heckscheiben sorgt für den nötigen Sicherheitsabstand. Abir steuert ihren Mini-Cooper mit Tränen in den Augen. Sie hat lange dafür gekämpft, zeitgenössische Kunst in Damaskus zeigen zu können. Seit 2005 hat sich ihr internationales Festival etabliert. Schützen in Camouflage überwachen die Straße. In der Gästewohnung blüht der abblätternde Putz wie eine Seerose. Ich fühle mich wohl hier, zwischen den syrischen Nachbarn.

Das falsche Blond meiner Haare leuchtet offensiv fremd. Augen lachen mich aus einer Burka an: Hello, Barbie! Damaskus, die schöne Arabeske, betört mit ihren Klängen, Düften und Farben. Der Takt ist schnell. Paradies auf Erden soll der Prophet Mohammed die Stadt einst genannt haben.

Am Mittwoch sagt Abir: Wir warten mit deinem Vortrag bis nach Freitag. Freitag – Tag der Angst. Die Grünfläche am Bab Musalla Platz ist dicht besetzt: Sicherheitskräfte in Lederjacken, schwarzen Hosen und schwarzen Schuhen unter blauem Himmel. Die Altstadt von Damaskus, Weltkulturerbe seit 1979, ist gesperrt. Es ist April, der letzte Freitag, an dem das Leben sich noch frei bewegt.

Auf dem Berg Qasiyun, außerhalb von Damaskus, nimmt das Regime Tuchfühlung auf. Bewaffnete in fünf, sechs Zivilautos, der Anführer steckt in einem Jogginganzug. Ein Polizist in Uniform wird mein Verbündeter. Er vermittelt über Stunden zwischen dem Geheimdienst und einem General, ruft schließlich Abir an. Ich spüre ihre Angst, den Ärger über all die Spuren, die wir hinterlassen.

Acht syrische Künstler kommen am Sonntag ins AllArtNow-Büro. Für einen Moment gewinnt die Kunst die Oberhand. Abirs täglicher Gang ins Ministerium bleibt erfolglos, das Festival wird nicht genehmigt. Sie ändert die Pläne: Ein Gruppenworkshop wäre nun zu auffällig. Yamen soll mit mir arbeiten, die anderen besuche ich in den Ateliers. Der Bildhauer will über seine Skulpturen reden. Ich finde, sie haben zu viel Kopf. Über Nacht schlägt er die Köpfe mit dem Beil ab. Sorgfältig pinseln wir den Staub von Straßen und Plätzen, legen verdeckte Oberflächen frei. Samples nennt Yamen die schwarzen Plastikbeutel mit der Spurensammlung. Der Staub klebt auf der feuchten Haut. Rubar, das bedeutet Staub. Das erste R wird im Rachen gegurgelt, das zweite vorne gerollt. Mein Arabischlehrer ist geduldig. Ich gehe bis zu 30 Kilometer am Tag, immer öfter allein. Die Menschen sind neugierig. Ana nahata, ana Almanya. Ich bin Bildhauerin, ich komme aus Deutschland. Sie nicken: Welcome to Syria.

Was der genaue Auslöser war, den Staub der Stadt zu sammeln, erinnere ich nicht. Vielleicht das Verborgene hinter allen Worten, vielleicht die Spuren der nahen und fernen Vergangenheit, die ich täglich aus den Kleidern wasche. Wenn ich sie zum Trocknen über die Fenster hänge, winkt mir der Nachbar zu. Unser tägliches Ritual. „Don’t go out this evening“, sagt Abir. Yamen flüchtet sich in den Schlaf. Die Kommunikation versiegt, auch die ins Ausland.

Der Präsident hat zum zweiten Mal gesprochen. Neue Hoffnung in den Gesichtern. Am Busbahnhof von Palmyra warten Taxen auf Touristen. Bis vor zehn Tagen zählte die Wüstenstadt täglich 2000 Besucher. Jetzt wird das Frühstück im Hotel umsonst serviert. For hospitality. Auf dem Rückweg kommt der Bus alle fünf Kilometer zum Stehen. Gepäckkontrolle. Keiner der Passagiere spricht. Menschen säumen die Straßen. Gewehre in den Händen der einen, Stöcke in den Händen der anderen. Schüsse. Schwarzer Rauch. Im Zickzackkurs umfährt der Busfahrer die Straßensperren. Die Schweißperlen in seinem Bart zittern.

Diese Freiheit will ich nicht, sagt Abir. Mein Land und all meine Träume zerfallen im Namen der Demokratie. Was wollen diese Menschen? Drogenabhängige, Extremisten, Muslimbrüder. Die Briten und Amerikaner haben das Land als Erste verlassen. Ich lege Vorräte an. Kaufe Rahmjoghurt bei Zacharias, Mozarella bei der Armenierin in Plüschgewändern. Die Kuratorin bricht den Kontakt ab. Informanten berichten ihr, dass es mir gut geht.

Freitag – Tag des Zorns. Weißes Licht zerreißt den dunklen Himmel. Wassermassen schwemmen Steine und Staub durch die Gassen. Die Menschen beten, Hagelkörner trommeln das Dies Irae. Ich verteile 250 Kilo Staub im Ausstellungsraum und forme aus Fundstücken den Schriftzug: Djannat al-Ard. Paradies auf Erden. Im Bericht des Senders Al Dschasira ist der Himmel über Damaskus an diesem Freitag strahlend blau. Meine Arbeit ist beendet, maile ich der Kuratorin, und dass ich in zwei Tagen gehe. Sie stimmt einem Treffen zu. Die Anwesenheit des Schweizer Botschafters und des Gesandten macht die Begegnung leichter. Der Schuh zwischen den Brotstücken, sagt Abir, das ist es, was mit unserem Leben passiert: Es wird zertreten. Noch im Juni will sie die Ausstellung eröffnen.

Zehn Tage früher als geplant verlasse ich Syrien mit den Tränen von Nesrin: „Wenn es zum Krieg kommt, sind wir alle Flüchtlinge – und wer auf der Welt will uns dann haben?“

Freitag – Tag des Zorns, Anfang Juni. Allein in der Stadt Hama haben über 50000 Syrer gegen Assad demonstriert, heißt es in den Meldungen. Im ganzen Land wurden an diesem Wochenende über 90 Menschen getötet.

Barbara Caveng, 1964 in der Schweiz geboren, lebt in Berlin. Zuletzt wurde ihre Installation „Neuköllner Sozialparkett“ im Museum Neukölln präsentiert. Ihre Beobachtungen zeichnete Michaela Nolte auf. Eine ausführliche Fassung gibt es unter www.caveng.net

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