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Wer krallt sich den Gral? René Pape als Gurnemanz (Mitte) erzählt den Knappen von Titurel und Amfortas.

© Eventpress Hoensch

Barenboim dirigiert "Parsifal": Ritter von der Pudelmütze

Dmitri Tcherniakov inszeniert „Parsifal“ an der Berliner Staatsoper.

Nachdem der erste Aufzug ins Dunkel gesunken ist, bleibt es erst einmal ganz still im Zuschauerraum der Staatsoper im Schillertheater. Und das nicht nur, weil das Festspiel-Publikum natürlich weiß, dass Wagner Beifallsbekundungen während seines „Parsifal“ gar nicht schätzte. Es ist die stumpfe Gewalt der Gralsritterrituale, die da nachwirkt: das Brüten unter dicken Mützen und Schals, das Undurchpulste, das sich blitzartig in aggressiver Erlösungsforderung Luft macht. Nichts lebt in der vom russischen Regisseur Dmitri Tcherniakov auch gleich selbst entworfenen Gralsburg, einer Kreuzung aus archaischer Sakral- und Trutzarchitektur. In sie ist eine moderne Beleuchtungsanlage eingelassen, als sollte daraus mal ein Ausstellungsraum werden, bevor die EU-Fördermittel dafür ausliefen.

Wie ein Ritter sieht hier keiner aus, und würde man den jüngeren von diesen Aussteigern aus der Welt eine Kalaschnikow umhängen, es würde nicht im Geringsten verwundern. Da sie auch nicht recht wissen, wie sie in diese Einöde gelangt sind, zeigt Gurnemanz seinen Mitbrüdern Dias: vom Gral, von der Burg (in der sie doch sitzen), von der bösen, verführerischen Frau. Das einzig Gute daran: René Pape im Feldparka scheint seine Rolle als Zuchtmeister zu gefallen. Die Gurnemanz-Erzählung mit ihren gefürchteten Längen verwandelt der Bass-Weltstar der Staatsoper in einen seiner engagiertesten Auftritte der vergangenen Jahre. Eine wirkungsvolle Pape-Point-Präsentation.

Parsifal platzt als zielloser Ausreißer mit ansehnlicher Outdoor-Ausrüstung in die sieche Runde. Es liegt nicht an seiner Torheit allein, dass er nicht versteht, was um ihn vorgeht. Da Tcherniakov vieles ganz genau nach Wagners Regieanweisungen buchstabiert, fragt man sich bei den abweichenden Momenten zunächst, ob hier einfach ein Lesefehler vorliegt. Das Blut, das beim Abendmahl in den Gral rinnt, stammt direkt aus Amfortas’ Seitenwunde. Gierig trinken es die Pudelmützenritter, obwohl es nach dem Sündenfall ihres Königs ja nicht mehr rein sein dürfte. Ein ikonografischer Kurzschluss, dem ein unendlich kinderreicher Klingsor folgt, der doch von den Gralshütern verstoßen wurde, weil er sich entmannte, um enthaltsam leben zu können.

Klingsors Zauberreich entspricht exakt der Gralsburg, bloß schön frisch geweißelt. In Filzpuschen saust das biedere Männchen zwischen seinen hopsenden Blumenmädchen hin und her, von Tómas Tómasson auch stimmlich als ein Zwillingsbruder Mimes angelegt, nicht als gefallener, fürchterlicher Engel. Kein Gegner für Parsifal, niemand, der die Kraft hätte, über eine Kundry zu gebieten. Die aber hat im zweiten Aufzug ihren lichten Moment: Gleich zweimal lässt sich Anja Kampe von Intendant Jürgen Flimm als umfassend krank ansagen, für ihre große Szene sitzt gar eine Kollegin im Orchester, für den Fall des plötzlichen Stimmausfalls. Doch in ihrem Verführungswerk öffnet sich Kampes Kundry mutig der Verletzbarkeit der Liebe, weniger verrucht als von tiefem Mitgefühl getragen.

Daniel Barenboim hat eine tiefe Beziehung zu "Parsifal"

Wer krallt sich den Gral? René Pape als Gurnemanz (Mitte) erzählt den Knappen von Titurel und Amfortas.
Wer krallt sich den Gral? René Pape als Gurnemanz (Mitte) erzählt den Knappen von Titurel und Amfortas.

© Eventpress Hoensch

Parsifal, von dem wir erstmals erfahren, dass er von zu Hause ausriss, weil seine Mutter Herzeleide einst das tastende Liebesspiel mit der ersten Freundin harsch unterband, kann damit nichts anfangen. Auch stimmlich nicht. Andreas Schager, der 2017 als Parsifal den Grünen Hügel stürmen darf, bleibt an diesem Abend eine Heldentenorhoffnung: An Nuancen, Varianten und Textverständlichkeit kann er noch reichlich tüfteln, an Empathie ohnehin. Wolfgang Koch hat sich in Bayreuth wacker als Wotan durch den Castorf-Ring gekämpft, stetig an Präsenz gewinnend durch die unbedingte Zuwendung von Dirigent Kirill Petrenko. Als Staatsopern-Amfortas sinkt er wieder auf gutes Mittelmaß zurück, was in dieser Rolle letztlich zu wenig ist.

Daniel Barenboim hat eine tiefe Beziehung zu „Parsifal“, 1992 gab er mit Wagners Bühnenweihfestspiel seinen Einstand als Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor der Staatsoper. Harry Kupfer inszenierte damals eine elitäre, in Gemeinheiten ermattete Gralswelt, mit der man lieber nichts zu tun haben wollte. Barenboim aber legte das Fundament für seine einzigartige Erfolgsgeschichte mit der Staatskapelle.

Wie weit sie zusammengekommen sind, hört man vom ersten Ton an, der endlos zu sein scheint. Seine gegenwärtige „Hommage à Pierre Boulez“ aber setzt Barenboim am Parsifal-Pult nicht fort: Während Boulez 1966 in Bayreuth mit dem bis dato schnellsten Dirigat Wagners letztes Werk vom Leichenpomp befreien wollte, befindet sich die Staatsoper im sanften Schwelgemodus, aus dem sich immer wieder Stimmen herauslösen und ein kurzes Eigenleben beginnen.

Dabei unterschreitet Barenboim auch die Tempogrenze, die für die Sänger noch ohne Schnappatmung zu bewältigen ist. Auch die Härte, das Zehrende der Partitur sind mehr zu ahnen – in einem anschwellenden Finaldröhnen jedenfalls liegen sie nicht.

Leider wird von ihm auch der Regisseur ergriffen. Tcherniakov, der an der Staatsoper bereits eindrucksvoll „Der Spieler“ und „Die Zarenbraut“ inszenierte, sticht nach peinigenden Prozessionen ohne erkennbare Regungen kräftig zu. Kundry, in heftigen Küssen Amfortas zugetan, wird von Gurnemanz hinterrücks abgeschlachtet, als wäre der plötzlich Hagen. Was hätte sonst auch aus seiner Diasammlung werden sollen. Keiner widerspricht, Parsifal trägt die Tote entrückt lächelnd weg. Opfer müssen halt gebracht werden.

Gewitzt ist das nicht. Und auch keine allzu große Kunst. Dafür muss man durchs Staatsopern-Magazin blättern, wo sich zur aktuellen Premiere überraschenderweise lediglich ein Manifest von Jonathan Meese findet. „Entgralt alles“, schäumt der von den Festspielen als Regisseur des kommenden Bayreuther „Parsifal“ geschasste Künstler dort. „Befreit Euch, im Namen des Erzparsifaltums, befreit Euch von jeder Pupsideologie.“ Schön gesagt!

Weitere Vorstellungen am 31. März sowie am 3., 6., 12. und 18. April

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