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Barenboim

© dpa

Barenboim-Orchester: Die Utopie von der friedlichen Koexistenz

Daniel Barenboim und sein West-Eastern Divan Orchestra zu Gast in der Staatsoper: Das Konzert wird von Politbekundungen und Demonstrationen begleitet. Auch die Musiker haben eine Stellungnahme zum Nahost-Konflikt im Programmheft veröffentlicht.

Auftakt zur Jubiläumstournee: Das West-Eastern Divan Orchestra gastiert mit Daniel Barenboim in der Lindenoper. Der Bass in Brahms’ Vierter, die Passacaglia am Ende der Sinfonie. Wiederkehr des Immergleichen, sture acht Takte, 30 Mal hintereinander, kein Entrinnen, kein Durchbruch, keine neue Harmonie. Nur die Begleitmusik ändert sich bei der berühmten entwickelnden Variation, auch die Formation der Instrumente. Aber der Bass lässt sich kein bisschen bewegen, weder vom Einspruch der aus Himmelshöhen herabflüsternden Streicher, noch vom ehernen Chor der Hörner, noch vom Flehen der Flöte.

Die ungelöste Frage, die ewige Repetition, die Kreisbewegung – in der Musik ist Wiederholung etwas Wunderschönes. In der Politik, im Nahost-Konflikt, ist sie etwas Grausames. „Wir, die Mitglieder des West-Eastern Divan Orchestra, sind überzeugt davon, dass es keine militärische Lösung für den israelisch-palästinensischen Konflikt gibt“, schreibt das Orchester in seiner dem Programm beigelegten Erklärung über die Sinnlosigkeit militärischer Denkweisen.

Die allgemeine Symathie löst Unbehagen aus

Da stehen sie auf der Bühne der Staatsoper Unter den Linden, rund hundert Musiker aus Israel, den arabischen Ländern und Spanien – das Ensemble probt im andalusischen Sevilla, dem Sitz der Barenboim-Said-Stiftung – und eröffnen ihre Jubiläumstournee zum zehnten Orchestergeburtstag mit Beethoven und Brahms; wegen Gaza war das Konzert kurzfristig von Kairo nach Berlin verlegt worden. Da stehen sie nun und werden vom Publikum schon gefeiert, bevor sie sich auch nur hinsetzen können, bevor Daniel Barenboim das Pult erklimmt, bevor der erste Ton erklingt. Ovationen für eine musizierend erprobte Überzeugung: dass nur „völlige Freiheit und Gleichheit zwischen Israelis und Palästinensern“ als Alternativmodell taugen, wie es weiter in der Erklärung heißt.

Es werden noch mehr Ovationen an diesem Abend; am Ende des 20-Uhr-Konzerts steht das Publikum lange und jubelt, und bei der Spätausgabe um 23 Uhr, die wegen großer Nachfrage angesetzt worden war, ist das nicht anders. Es ist überhaupt ein von Politbekundungen und Manifestationen belagerter Abend. Vor den Pforten der Lindenoper verteilt Amnesty International Flugblätter mit Protestnoten gegen die völkerrechtswidrigen Angriffe beider Konfliktparteien, die Deutsch-Palästinensische Medizinische Gesellschaft wirbt für Spenden, auf dem benachbarten Bebelplatz protestieren junge Menschen unter palästinensischer Flagge und dem Banner-Slogan „Es ist ja nur ein Massaker“ mit Kerzenmeer gegen Israel, nur wenige Meter von Micha Ullmans Bücherverbrennungs-Mahnmal entfernt.

Ein Anblick, der ein ähnliches Unbehagen auslöst wie die eigene, ins allgemeine Wohlwollen im Saal eingebettete Sympathie für das Orchester. Berliner Sittengemälde: Am Wochenende gab es in der Hauptstadt die Palästinenser-Soli-Demo und die Israel-Soli-Kundgebung; wer beides nicht recht mochte, applaudiert nun in Anwesenheit von Bundespräsident Köhler den jungen Musikern, die die Utopie von der friedlichen Koexistenz so vorbildlich vorleben. Jene Koexistenz, die man gerade aus deutscher Perspektive so sehr herbeisehnt, wegen der historischen Mitverantwortung am Dilemma in Nahost. Die Musik, zum Glück, kann sich all dieser Symbolik und Indienstnahme entziehen.

Schöne junge Menschen

Das West-Eastern Divan Orchestra ist nicht zuletzt ein formidables Jugendorchester, wie es im Buche steht. Ungestüm, eher laut als leise, eher das Rhythmische betonend, von Barenboim unermüdlich zur Höchstleistung provoziert. Voller Temperament und Energie, zugleich voller Anmut und Lebenslust. Schöne Menschen (der Fatih-Akin-Typ in den zweiten Geigen! Die bezaubernde Kontrabassistin!) mit lachenden Gesichtern, die das Publikum am Glück teilhaben lassen, das es bedeutet, ein Instrument zum Singen, Zagen und Jubeln zu bringen.

Beethovens Leonore-III-Ouvertüre mit ihrer übermütigen Sext: ungeduldig, vorwärtsstürmend. Die Fünfte: eine Frischzellenkur für den Klassiker, vibrierend vor Vitalität. Keine Tricks, kein Hinterhalt, eine Musik des aufrechten Gangs mit gemeißelten Synkopen und Holzbläsern, deren lyrische Einsprüche an den unerbittlichen Tutti abprallen. Brahms’ Vierte: der Zukunft eine Gasse. Zugegeben, die Ohren sind am Ende nicht unvoreingenommen. Klingt das Nahost-Ensemble im Vergleich zu anderen Jugendorchestern nicht doch trotziger, intensiver, bodenständiger? Der Widerstreit der Stimmen, das sind Kämpfe, die sich lohnen.

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