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Daniel Barenboim im Boulez Saal.

© Peter Adamik/PBS

Barenboim spielt Beethoven: Die Zeit und der Augenblick

Daniel Barenboim eröffnet seinen Beethoven-Sonaten-Zyklus im Berliner Pierre Boulez Saal mit der „Pathétique“.

Lauter Kenner und Liebhaber sind versammelt im Pierre Boulez Saal, auch sitzen etliche Pianisten im Publikum. Dafür gibt es einen guten Grund, denn jetzt geht es los: Barenboim will auf seinem Barenboimflügel sämtliche Barenboimsonaten spielen. So darf, so muss man das wohl sagen. Denn Daniel Barenboim, alter Hexenmeister, interpretiert das „Neue Testament aller Klavierspieler“, wie Hans von Bülow die 32 mit Opuszahl versehenen Klaviersonaten Ludwig van Beethovens getauft hatte, auf seine ganz besondere Art.

Er ist, unter den Pianisten unserer Zeit, der immer noch hoffnungsvolle Romantiker. Clavichordästhetik und Hammerflügelfarbe interessieren ihn weniger, seinen selbst entworfenen, parallel besaiteten, glockenklaren Maene-Barenboim-Flügel dagegen liebt er. Auch ist ihm Werktreue nur eine Kategorie aus Papier.

Was zählt, ist der klangerfüllte Augenblick – und der ist flüchtig, durchlässig und veränderlich, kann auch erinnerungstrunken geraten oder sentimental. Oder witzig: Wie rasch und leicht, zum Beispiel, der letzte Ton aus dem Eröffnungs-Presto der sogenannten Kuckucks-Sonate G-Dur op.79 dem Pianisten unter dem Finger wegfliegt! Kaum, dass er die Taste berührt hat, schon hängt dieses dreigestrichene „g“ himmelhoch in der Luft und ist wieder vorbei – um dann doch noch nachzuhallen in der Fermate. Perfekt!

Beiläufige Eleganz und ein weiches, volles Legato

So scharf und genau hat Barenboim diese Pointe dosiert, dass kurz ein Lächeln durch die Reihen geht, bevor wir uns gemeinsam in den zweiten Satz aus op.79 hineinbegeben, der bei anderen Pianisten gewöhnlich nach einem Lied ohne Worte klingt, mit Subtext und entsprechend starkem Espressivo; Barenboim indes, der die Legatobögen der Melodie traumverloren linear gestaltet und die Sache für ein Andante beinahe zu schnell nimmt, verwandelt sie in ein rätselhaftes Schubertstück.

Beiläufige Eleganz und ein weiches, volles, stets transparent bleibendes Legato, das sind zwei der Kennzeichen Barenboimschen Musizierens. Sie haben, was Beethoven anbelangt, eine entmystifizierende Nebenwirkung, nicht nur bei dieser G-Dur-Sonate aus dem Jahr 1809, die – zu Unrecht – als eine der leichteren, kleinen Sonaten angesehen wird; auch die vollgriffigen Schlachtrösser des Recitals profitieren davon. Die „Grande Sonate Pathétique“ c-moll op.13 vielleicht noch am wenigsten. Mit ihr eröffnet Barenboim, und mit ihr tut er sich am schwersten.

Leidenschaftlich schnelle Tempi im Alla-Breve

Gewiss ist die langsame Einleitung der „Pathétique“, das majestätische Grave, als Ouvertüre für das gesamte Großunternehmen nicht ganz unpassend. Doch nervöser Pedaleinsatz säumt diesen Griff nach einem der populärsten aller Sonatensterne. Leidenschaftlich schnelle Tempi im Alla-Breve, aber auch im finalen Rondosatz führen zu seltsam verrutschter Überpointierung und etlichen Unschärfen, letztlich auch zu Verspielern. Und erst im Lauf des ebenfalls zunächst sehr schnell angesetzten Variationensatzes aus der As-Dur-Sonate op.26, der „Trauermarsch“-Sonate weicht der Überdruck, es kehrt Sammlung ein.

Frei, leicht und wie organisch gewachsen perlt das Scherzo vorbei, damit ist der Bann gebrochen. Blockhaft stark akzentuiert und dramatisch abgetönt der Marsch auf den Tod eines Helden, wie es sich gehört. Ein atemlos brillanter Spaß dann das motorische Allegro-Rondo, so fein glitzernd, so schnell und auf Risiko gespielt, dass es den Pianistenhelden ums Haar doch noch einmal aus der Kurve trägt.

Wieder winkt Schubert von weitem

Als Barenboim später, zum Abschluss des Abends, die kleine Hammerklaviersonate A-Dur op.101 anstimmt, tönt ein völlig neuer, anderer Klang aus dem Flügel, glühend und hell. Sprachmächtig, in konzentrierter Ruhe, steigt die unendliche Melodie des ersten Satzes auf und breitet ihre Flügel aus. Wieder winkt Schubert von weitem. Sehr schnell, in lebhaftester Unruhe, nimmt Barenboim sich das vertrackte „Alla Marcia“ vor, welches Strawinsky einst „plattfüßig“ nannte, und wühlt sich, nach der frommen Adagio-Einleitung, mit nüchterner Verve ins symphonische Finale. Der Schluss, der nicht enden will, wird zum Gedicht. Unendlich dauert der Applaus, man spendet ihn im Stehen, irgendwann klappt Barenboim demonstrativ die Tastatur zu, wirft noch eine Kusshand in die Runde und wendet sich. Das war’s, fürs erste.

Beethoven biografisch betrachtet, hat er mit diesem ersten Abend des Zyklus einen großen Bogen gespannt, vom verliebten Wiener Salonlöwen und umschwärmten Improviationsartisten am Rande der beginnenden Ertaubung (1798/99) bis ins Triumphjahr des Wiener Kongresses, an den Rand des Spätwerks (1815/16). Zwei große Sonaten – op.13 und op.101 – rahmten zwei angeblich eher leichte. So wird Barenboim es auch bei den folgenden Abenden halten: Es geht nicht um die Chronologie, sondern um Zeitsprünge und Widersprüche. Da einerseits jede einzelne der 32 Sonaten von Beethoven ein ausgeprägtes Individuum ist, keine der anderen gleicht; da andererseits fast alle nur allzu gut bekannt und von einer dicken Glasur aus Missverständnis und schlechten Angewohnheiten überzogen sind, kann das nur nützlich sein.

Wieder am 26. Oktober, 19.30 Uhr. Nächstes Konzert: 14. Dezember

"Sprechen wir über Beethoven" heißt der soeben erschienene Porträtband von Eleonore Büning. Am Montag, den 5. 11., 19.30 Uhr präsentiert sie ihn im Alten Orchesterprobensaal der Lindenoper (Hinter der Katholischen Kirche 1) gemeinsam mit Staatsopernintendant Matthias Schulz.

Eleonore Büning

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