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Kultur: Barfuß wirst du nicht Chefdirigent

Sir Simon Rattle tritt als Chefdirigent bei den Berliner Philharmonikern an. Ein Gespräch über Karajans Erbe und Zukunftsklänge. Und über die Sehnsucht, ein öffentlicher Musiker und zugleich ein Privatmensch sein zu wollen

Sir Simon Rattle startete seine Dirigentenkarriere als 15-Jähriger. Nach einer ersten Station in Bournemouth übernimmt der gebürtige Liverpooler 1980 das Birmingham Symphony Orchestra, das er 18 Jahre leitet und zu internationalem Ruhm führt. Rattle debütiert 1987 bei den Berliner Philharmonikern, 1999 wird er zum Nachfolger von Claudio Abbado gewählt. Sein Debütkonzert am Sonnabend ist ausverkauft, für die Wiederholung am Sonntag gibt es noch Restkarten.

Sir Simon, es gibt viel Medienrummel um Ihren Start bei den Philharmonikern. Haben Sie überhaupt noch Lust auf Interviews?

Ich war in diesem Hotel, als Jodie Foster ihren Film „Panic Room“ promotete. Sie hatte zwei Dutzend Interviews am Tag – nachdem sie um sieben Uhr früh aufgestanden war für das Make-up! Ich mache heute vier Termine – und kann so schlecht aussehen wie immer.

Sie sehen ziemlich gut aus.

Danke.

Ist es das erste Mal, dass Sie in so einen Hype geraten? Erschreckt Sie das?

Sicher, wenn ich es ernst nehmen würde. Falls ich anfange, an diesen Hype zu glauben, holen Sie mich bitte mit einer Ohrfeige zurück in die Realität! Aber im Ernst: Wenn wir erst einmal so Musik machen, wie wir es uns vorgenommen haben, wird das ganz und gar für sich sprechen. Und wenn jemand wie ich, der daran glaubt, dass Musik vor allem Kommunikation ist, anfängt, sich gegen Kommunikation zu sträuben, passt das nicht zusammen. Aber ich muss mich immer wieder selbst daran erinnern, dass ich eine Figur des öffentlichen Lebens bin. Als ich mich das erste Mal im Fernsehen sah, wollte ich unter eine Decke schlüpfen und nie mehr rauskommen. Manche Menschen lieben Kameras, ich gehöre zu den anderen.

In der neuen Rattle-Biografie von Nicholas Canyon ist viel über den Dirigenten zu lesen – aber nichts über den Privatmann.

Ist das nicht wundervoll!?

Nun ja, die Leute interessieren sich schon dafür, was Sie machen, wenn Sie vom Podium steigen. Doch man erfährt nur, dass Ihr Sohn Sacha Klarinette spielt. Ihr zweiter Sohn wird nicht einmal mit n erwähnt...

...was, Eliott steht da nicht drin!? Unglaublich! Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich meine allerprivatesten Gedanken offenbare, wenn ich dirigiere. Vielleicht bin ich blauäugig, wenn ich hoffe, in Zeiten des Personenkults ein öffentlicher Musiker sein und ein privater Mensch bleiben zu können. Eliette von Karajan sagte mir einmal: „Du kannst dich nicht länger an die Illusion klammern, dass du keine Macht hast.“ Sie hat leider Recht. Meine Frau behauptet immer, ich versuche mich als barfüßiger Knabe mit Hirtenstab zu sehen. Doch man wird nicht Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, wenn man keine Schuhe trägt.

Sie haben eine tolle Idee aus ihrer Zeit in Birmingham nach Berlin mitgebracht: Das Publikum soll selber neue Werke in Auftrag geben.

Es wäre toll, wenn wir das Prinzip auch hier etablieren könnten. Die Idee stammt von Simon Clugston, einem Cellisten aus Birmingham. Er sagte: In jedem Konzert sollte ein neues Werk erklingen. Aber wie bekommen wir das Geld dafür zusammen? Also hatte er die Idee zum „Sound Investment Program“, bei dem man sozusagen Aktien an einer Uraufführung erwerben kann. Die Leute, die Geld geben, lernen den Komponisten kennen, erleben, wie die Partitur entsteht und sind bei der ersten Probe dabei. Gerade in einer elektrisierenden Stadt, die immer ein Zentrum der Moderne war, müsste das doch funktionieren!

Andererseits suchen die Berliner gerade wegen der rasanten Zeitläufte immer auch nach etwas, an dem sie sich festhalten können.

Na klar, das ist auch wichtig. So sehr sich die Royal Shakespeare Company in ihrer Geschichte auch gewandelt hat, sie spielt immer noch Shakespeare. Manche Werke möchte man immer um sich haben. Meine Frau, die keine Musikerin ist, fasziniert es stets aufs Neue, dass in der klassischen Musik dieselben Stücke jedes Mal anders sind. Wie bei Shakespeare. Mich freut der Ge danke, dass die zu künftigen Dirigenten, die jetzt sieben Jahre alt sind, einmal zueinander sagen werden: Du willst das doch nicht etwa noch im Stil von diesem Rattle spielen, oder? Nikolaus Harnoncourt hat es wunderbar formuliert: Du bist auf einem Schiff und weißt plötzlich nicht mehr, was sich da bewegt – das Schiff oder der Strand. Nur eines ist klar: Du kannst nicht mehr zurück. Harnoncourt hat übrigens mehr in Berlin gearbeitet als in Wien. Und er war ein Lebensretter...

Für wen?

Für mich! Und für das Orchester natürlich auch. Wir haben so viel von ihm gelernt! Natürlich wird er immer ein paar Leute in den Wahnsinn treiben, aber das ist ja gerade das Tolle an den Philharmonikern. Nicht alle sind immer mit allem einverstanden. Jeder wird im Konzert sein Bestes geben – und hinterher doch immer wieder fragen: Warum machen wir das so und nicht anders?

Immer wieder Diskussionen zu führen, kann auf die Dauer anstrengend werden...

Dennoch sind diese Diskussionen die Vitamine für die gemeinsame Zukunft. Meine Aufgabe ist es, jetzt zu säen, damit viele neue Pflanzen wachsen und sich vermehren können. Wenn wir einmal den richtigen Sound für Ravels „Ma mère l’oie“ erarbeitet haben, können wir ihn danach auf alle Arten französischer Musik anwenden. Dasselbe gilt für Haydn, für Mozart. Es geht nicht um special events, sondern um die Basis. Das ist Probenarbeit für mich.

Vor allem in Sachen Mozart wird das eine extreme Umstellung für das Orchester. Denn Daniel Barenboim, der hier oft Mozart gemacht hat, pflegt ja eine Klangästhetik, die an die Ära Furtwängler erinnert.

Ich erinnnere mich, wie ich mit dem „Orchestra of the Age of Enlightenment“ nach Berlin kam. Wir spielten die drei letzten Mozart- Sinfonien auf historischen Instrumenten, und viele Philharmoniker kamen, um uns zu hören. Nach dem Konzert fanden wir heraus, dass sie nur zwei Tage zuvor mit Barenboim dieselben Stücke gespielt hatten! Trotzdem waren viele von unserem Sound begeistert. Es gibt eben nicht nur einen einzigen Weg, wie man Mozart spielen kann.

Wenn sie erklären, es müsse ein neues Fundament aufgebaut werden, dann könnten sich die Philharmoniker fragen: Was haben wir denn seit 1945 eigentlich gemacht!?

I ch erinnere mich gut an das Karajan-Orchester. Das war eine absolut atemberaubende Maschine – wenn das Stück in ihr System passte. Aber es fehlte die individuelle Seite. Die Offenheit, die Flexibilität war nicht so hoch wie heute. In den letzten Jahren hat sich der Sound hörbar verschlankt. Claudio Abbado ist kein harter Probenarbeiter. Seine Gaben liegen woanders. Bei ihm wird jedes Konzert zum einmaligen Ereignis. Und wenn er gut drauf ist, ist es so gut, wie man es sich nur vorstellen kann – und noch besser! Orchester reflektieren stets die Stärken und Schwächen ihrer künstlerischen Leiter. Die einzige Angst, die Karaj an je kannte, war das Pizzicato. Bis heute ist das bei den Philharmonikern ein Problem. Was haben wir schon in den Proben gelacht, wenn wir das merkten. Ich sage dann immer: Machen Sie’s sich doch einfach leicht. Ich gebe den Schlag, und Sie machen „plopp“. Dann klappt es, und alle sagen: Das ist ja tatsächlich ganz einfach!

Ein anderes Erbe der Ära Karajan ist die Konkurrenz zwischen Wiener und Berliner Philharmonikern. Sie arbeiten seit langem intensiv mit beiden Orchestern. Ende September kommen die Wiener auf Einladung der Berliner in die Philharmonie.

Das war eine komplett künstliche Konkurrenzsituation. Jedes Mal, wenn sich Karajan mit den Berlinern zerstritten hatte, ließ er die Wiener auf eigene Kosten kommen. Aber das gehört der Vergangenheit an. Wir hatten schon sehr gute Treffen in einem Heurigen-Lokal, als Abbado auf seiner Abschiedstournee mit den Berlinern in Wien war und ich in der gleichen Zeit mit den Wienern den Beethoven-Zyklus spielte. Ich hoffe, die Beziehungen werden in den kommenden Jahren immer besser. Gerade, weil es so unterschiedliche Sphären sind: Bei den Berlinern herrscht schon das Jahr 2007, in Wien wird es wohl immer 1876 bleiben. Ich träume davon, dass ich eines Tages beide Orchester zusammen auf einer Bühne dirigiere.

Der Pianist Alfred Brendel, mit dem Sie seit langem befreundet sind, hat gesagt, er kritisiere sie in nur einem Punkt: Dass Sie Ihre Lebenszeit mit zweitklassigen Komponisten verschwenden.

Man muss sich vor Augen halten, dass kaum ein halbes Dutzend Komponisten Gnade bei ihm finden. Heute würde er das wohl nicht mehr so sagen. Er kam zum Beispiel zu dem Konzert, in dem ich Berlioz’ „Roméo et Juliette“ gespielt habe. Hinterher sagte er zu mir: Vielen Dank, aber ich habe nicht eine Note der Musik verstanden. Brendel ist eben ganz eigen. Es macht Spaß, sich mit ihm zu kabbeln, er hat mir viel Orientierung gegeben. Aber es gibt Bereiche der Musikgeschichte, wo wir niemals zusammenkommen werden. Sogar bei Werken, die wir zusammen aufführen.

Sie interessieren sich für so viele Komponisten, so viele Stile – gibt es eine bestimmte Richtung, wenn Sie jetzt auf Entdeckungsreise mit den Berlinern gehen?

Ich glaube, es ist meine Pflicht, so vielseitig wie möglich zu sein, damit wir sehen können, wo wir stehen. Wenn wir erst ein Repertorie gemeinsam so erarbeitet haben, dass es uns in Fleisch und Blut übergegangen ist, können wir bestimmte Bereiche intensiver ausleuchten. Als Gastdirigent können Sie machen, wozu Sie Lust haben. Wenn Sie aber der Chef sind, müssen Sie auch darauf achten, was gut für die Musiker ist, was andere Dirigenten nicht machen und was wir für unsere Tourneen brauchen.

Ein letzter Versuch, etwas Privates zu erfahren: Werden Sie in Berlin einen Ort haben, an dem Sie Ihren Kaffee auf jene mysteriöse, „zeremonielle Art“ zubereiten können, von der Nicholas Canyon in seiner Biografie schreibt?

(lacht) Das muss etwas sehr Exotisches für Nicholas gewesen sein. Bei dieser Zeremonie handelt es sich um eine ganz normale italienische Cappuccino-Maschine!

Das Gespräch führten Frederik Hanssen und Christine Lemke-Matwey.

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