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Kultur: Barockes Universum

Die kleinen Großen (3): Schloss Friedenstein in Gotha bietet eine Fülle von Schätzen, darunter 23 Cranach-Gemälde

Rund um Berlin gibt es Museen, die kaum jemand kennt. Anlass genug für sommerliche Kunstreisen zu den „kleinen Großen“ in die Provinz. Zuletzt ging es ins Pommersche Landesmuseum nach Greifswald (25.7.) und in den Ziegeleipark Mildenberg bei Zehdenick (4.8.). Heute: Schloss Friedenstein in Gotha.

Die Liebe war im Spätmittelalter ein seltsames Spiel. Nach außen hatte sie dezent aufzutreten, zeigen durfte sie sich allenfalls im Spiel der Hände und Blicke. So wie hier: Der junge Mann hat eine Hand auf die Taille seiner Geliebten gelegt. Mit der anderen Hand greift er in die Fransen des „Schnürleins“ in der Mitte des Bildes, eines kostbaren Zeichens der Treue. Das Mädchen hat den Blick züchtig gesenkt und hält eine Heckenrose. Auf dem kunstvoll verschnörkelten Spruchband über ihren Köpfen ist zu lesen, dass die Frau „unbyllich“, also unrechtmäßig, mit dem Mann zusammengelebt, ihn aber sehr geliebt und ihm deshalb das Schnürlein geschenkt habe.

„Das ist unsere Mona Lisa“, sagt Roland Krischke, der Kommunikationsdirektor der Stiftung Schloss Friedenstein. Das Doppelporträt der Liebenden, entstanden um 1480, ist tatsächlich so berühmt, dass es als „Gothaer Liebespaar“ in die Kunstgeschichte eingegangen ist. Gemalt hat es ein gefeierter Grafiker der Vor-Dürer-Epoche, von dem nur dieses eine Tafelbild erhalten ist. Anhand eines Wappens wurde die Identität der Dargestellten aufgeklärt. Es handelt sich um den Grafen Philipp d. J. von Hanau-Münzenberg und seine bürgerliche Konkubine Margarethe Weißkircher, mit der er nach dem Tod seiner Gattin zusammenlebte.

Allein für das Gothaer Liebespaar lohnt sich die Reise in das Thüringer 45 000-Einwohner-Städtchen. Doch die Fülle der Schätze, die die gewaltige Schlossanlage mit ihren 23 000 Quadratmetern Nutzfläche birgt, ist unüberschaubar. Und immer noch viel zu unbekannt. „Wer weiß denn schon, dass wir 23 Cranachs besitzen und eine weltweit einzigartige Sammlung der Skulpturen von Jean-Antoine Houdon?“, fragt Stiftungsdirektor Martin Eberle. Dieses Wissen ist derzeit noch ziemlich exklusiv, was damit zu tun hat, dass Gotha zwischen Eisenach, Erfurt, Weimar und Jena an einer Perlenkette historisch bedeutsamer Städte liegt, mit denen es um Aufmerksamkeit zu konkurrieren hat.

Das Liebespaar hängt hinter Panzerglas im ersten Stockwerk des Schlosses, in unmittelbarer Nähe zu anderen Kostbarkeiten wie dem betörend schönen, aus Buchsbaum geschnitzten „Adam und Eva“-Figurenpaar vom Renaissancemeister Conrad Meit oder einem überraschend modern anmutenden Nahansichtsporträt von „Christus und Maria Magdalena“ von Lucas Cranach d. Ä., um das sich Museen in aller Welt als Leihgabe reißen. Noch hängt es da, muss man präzisieren. Denn die Stiftung plant eine Neuaufteilung der Museen und Sammlungen auf dem Areal, die sich stärker an der ursprünglichen, historisch gewachsenen Situation orientieren soll. So sollen die Kunstschätze des Schlossmuseums bis 2012 ins Herzogliche Museum umziehen, das 1897 im Schlosspark – übrigens der älteste englische Landschaftsgarten in Deutschland – eröffnet worden war und nach 1945 ausschließlich das Museum der Natur beherbergte. Umgekehrt werden dessen Tierpräparate, Dinosaurierversteinerungen und Mineralien ins Schloss wandern.

Es wurde höchste Zeit für diesen Um- und Ausbau. „Das Schloss besteht aus einer Fachwerkkonstruktion und ist buchstäblich bis unters Dach mit Kunst gefüllt“, erzählt Eberle. Das klingt in Thüringen nach dem Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek eher beunruhigend. So stellten Bund sowie Freistaat und Stadt je zehn Millionen Euro bereit für Renovierungsmaßnahmen und den Bau eines Depotgebäudes. Schloss, Park und Sammlungen sollen künftig stärker als Gesamtkunstwerk wahrgenommen werden. Den Slogan dazu gibt es auch schon: „Das barocke Universum im Herzen Deutschlands“. Schloss Friedenstein wurde 1643 auf den Ruinen der siebzig Jahre vorher zerstörten Festung Grimmenstein errichtet. Der Name sollte ein Friedenssignal am Ende des Dreißigjährigen Krieges setzen, mit der äußeren Bescheidenheit des dennoch monumentalen Dreiflügelbaus demonstrierte Bauherr Ernst I. der Fromme von Sachsen-Gotha-Altenburg sein protestantisches Selbstverständnis. Das Territorium des Herzogtums zerfiel durch Erbteilung unter den sieben Söhnen von Ernst. Für das Schloss war dieser Abstieg ein Glücksfall. Weil die Räume nun für die Repräsentation zu groß waren, wurde nach einem Herrscherwechsel das alte Appartement des Landesherrn nicht umgebaut, sondern ein neues in einem anderen Flügel angelegt. So kann man heute in Filzschuhen auf knarrendem Parkett durch Zimmerfluchten schlurfen, in denen sich der Geschmack einer Ära wie in einer Zeitkapsel erhalten hat.

Der Festsaal zeugt mit seinem überladenen Stuck-Dekor vom Glanz des Barock, während in der klassizistischen Strenge des Westflügels noch das „Napoleonbett“ zu bewundern ist, das der durchreisende Kaiser verschmähte, weil es ihn an einen „Sarkophag“ erinnerte. Die herzogliche Bibliothek, seinerzeit größer und bedeutender als die in Weimar und Jena, besuchte Goethe gleich drei Dutzend Mal. Voltaire, der fünf Wochen zu Gast war, lobte das „entzückende Schloss“ und meinte damit wohl eher die Herzogin. Und an das Audienzzimmer, in dem der Herzog im 17. Jahrhundert seinen Besuchern unter einem Baldachin entgegentrat, grenzen nun Räume mit einem Sammelsurium aus dem 19. Jahrhundert, darunter ein Gemälde von Queen Victoria.

Ihr Gatte Albert brachte das Haus von Sachsen-Coburg-Gotha auf den englischen Thron. Bismarck verspottete die blaublütige Familie als „Gestüt Europas“ weil sie mit fast allen Kronen des Kontinents verbandelt war. 1945 floh die Herzogsfamilie über die Zonengrenze nach Coburg, und die Rote Armee verbrachte einen großen Teil des Schloss-Schätze als Kriegsbeute in die Sowjetunion. Erst 1958 wurden die wichtigsten Kunstwerke – darunter auch das „Liebespaar“ – an die DDR zurückgegeben, aber wesentliche Bestände gelten bis heute als vermisst.

Einen Vorgeschmack auf das „barocke Universum“ bieten fünf Räume der zweiten Schloss-Etage, in denen seit 2009 die herzogliche Kunstkammer rekonstruiert ist. Hier stoßen, feierlich illuminiert, Kunst und Natur, Genie und Handwerk, Wunderbares und Wunderliches im schönsten Kuddelmuddel aufeinander: gravierte Tiefseemuscheln, südamerikanische Vogelmasken, Kirschkerne mit Fürstenporträts, Wachsfiguren. Der Makrokosmos, vereint im Mikrokosmos. Aber auch der Abstieg in die erste Etage lohnt. Dort hat sich das Ekhof-Theater mit seiner originalen „Schnellkulissenverwandlungsmaschinerie“ von 1687 erhalten. Viele Barocktheater verbrannten, weil in ihnen mit Feuerwerk hantiert wurde. In Gotha ließ der Herzog immer zwei Wachen im Theater abstellen, damit die Kuriositäten in den Räumen darüber nicht ein Raub der Flammen werden konnten.

Bis 24. Oktober läuft die Ausstellung „Anatomie“, die sich mit dem menschlichen Körper in Medizin und Kunst beschäftigt. Infos unter www.stiftungfriedenstein.de

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