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Marathon-Mann. In der neuen Saison inszeniert Barrie Kosky fünf Produktionen.

© Jan Windszus Photography

Barry Kosky im Interview: „Ich habe jetzt die Power, ich möchte wieder Kunst machen“

Der Intendant der Komischen Oper muss in der Krise als Chefregisseur ran. Ein Gespräch über Inszenieren in Corona-Zeiten und das Privileg öffentlicher Bühnen.

Barrie Kosky ist seit 2012 Intendant der Komischen Oper. 1967 in Melbourne geboren, studierte Kosky Klavier und Musikgeschichte in seiner Heimatstadt und begann dort sowohl Theater wie Oper zu inszenieren. 2001 kam er nach Europa und wurde Ko-Direktor des Wiener Schauspielhauses. Ab 2005 war er freiberuflich tätig, vor allem im Bereich des Musiktheaters. 2017 hat Kosky die „Meistersinger bei den Bayreuther Festspielen inszeniert, 2019 „Orpheus in der Unterwelt“ bei den Salzburger Festspielen.

Seine äußerst erfolgreiche Berliner Amtszeit wird Barrie Kosky 2022 beenden. Er will der Komischen Oper aber als Regisseur weiterhin verbunden bleiben. Als erste Premiere der neuen Saison bringt Barrie Kosky Arnold Schönbergs Monodrama „Pierrot Lunaire“ mit Dagmar Manzel heraus. Die Premiere findet am 30. September statt. Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

Herr Kosky, gleich um die Ecke von der Komischen Oper liegt der U-Bahnhof Mohrenstraße. Er soll umbenannt werden. Ein Vorschlag war, ihn nach der angrenzenden Glinkastraße zu benennen, die einen russischen Komponisten des 19. Jahrhunderts ehrt. Sogleich regte sich Widerstand: Glinka, hieß es, sei nicht nur ein Nationalist, sondern auch Antisemit. Wie ist Ihre Haltung in dem Namensstreit?
Die Diskussion kommt mir vor, als ob sie von Monty Python erfunden wäre. Mir kann keiner erzählen, dass Begriffe wie Mohrenstraße oder Judengasse nicht abwertend gemeint sind. Der Name muss weg. Wichtig.

Dann wird Glinka vorgeschlagen – und sofort rufen irgendwelche selbsternannten Experten: Der war ein Antisemit! Ach was! Und warum war dann sein Komponistenkollege Giacomo Meyerbeer – ein gläubiger Jude – einer der Sargträger bei Glinkas Beerdigung?!

Angeblich soll Glinka sich in einem Satz mal antisemitisch geäußert haben. Man sieht hier, wie problematisch Polarisierung ist. Wenn eine Nebenbemerkung eines Menschen als Grund ausreicht, den U-Bahnhof Mohrenstraße nicht in Glinkastraße umzubenennen, dann muss man sofort 80 Prozent aller Straßen in Berlin umbenennen, einschließlich des U-Bahnhofs Richard-Wagner-Platz.

Solch ein Fundamentalismus ist nicht hilfreich. Wenn man das Wort „antisemitisch“ zu leichtfertig benutzt, macht man das Wort schwach – das trifft auch auf den Begriff „Nazi“ zu. Es gibt hier kein Schwarz-Weiß. Man muss von Fall zu Fall entscheiden.

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Was schlagen Sie also vor? Welchen neuen Namen soll die Mohrenstraße erhalten?
Na, U-Bahnhof „Komische Oper“ natürlich!

Schauen wir auf Ihre Pläne für die neue Saison. Sie haben wegen der Abstands- und Hygienevorschriften die Planung bis zum Jahresende über Bord geworfen und machen nun fünf coronaregel-konforme Produktionen – die Sie alle selber inszenieren. Waren andere Regisseurinnen oder Regisseure nicht zu bekommen?
Wir sind öffentlich finanziert, und das ist ein großes Privileg im Vergleich zum Rest der Welt. Aber trotzdem müssen und wollen wir sparen, um am Ende des Jahres nicht in die roten Zahlen zu kommen. Ein Teil dieses Sparprogramms ist, dass ich als Chefregisseur sehr viel selbst inszeniere.

Eigentlich hatte ich in den kommenden Monaten Regieverpflichtungen im Ausland, aber diese Engagements fallen wegen Corona aus – und so bin ich frei für mein Haus. Wir haben übrigens die Regisseure gefragt, die unsere Herbst-Premieren „Katja Kabanova“ und „Tom Sawyer“ machen sollten, ob sie ihre Konzepte umarbeiten möchten. Aber beide haben sich dafür entschieden, die Produktionen lieber zu verschieben.

Haben Sie trainiert für den Marathonlauf der nächsten Monate?
Ja, noch nie in meinem Leben habe ich so lange nicht inszeniert. Ich habe jetzt die Power, ich möchte wieder Kunst machen. Und wir wollen das einmalige deutsche System des Repertoiretheaters feiern, bei dem es nicht nur hauseigenes Orchester und hauseigenen Chor gibt, sondern auch festangestellte Solistinnen und Solisten. In den meisten anderen Ländern wird nach dem Stagione-Betrieb gearbeitet, das heißt, die Theater haben kein eigenes Ensemble, sodass für jede Rolle, auch die kleinste, immer neue Gäste engagiert werden müssen.

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Arbeiten Sie für das neue Programm nur mit hauseigenen Kräften?
Ja, bis auf ein paar Stammgäste wie Dagmar Manzel, Max Hopp und Katharine Mehrling sind alle Rollen aus unserem Ensemble besetzt. Wir wollen die größeren Produktionen wie die „Großherzogin von Gerolstein“ sowie die Corona-Version unserer „Zauberflöte“ jeweils mit festen Gruppen von Künstlerinnen und Künstlern aufführen, inklusive des 16-köpfigen Orchesters. Alle Produktionen sind zwei- oder sogar dreifach besetzt, wir haben also verschiedene autonome Casts. Sollte es einen Krankheitsfall geben, muss dann nur eine Gruppe in Quarantäne, und eine andere kann die Vorstellungen übernehmen.

Anders als die Komische Oper haben die Staatsoper und die Deutsche Oper nur wenige Wochen zu Beginn der Saison modifiziert und nicht das ganze Programm bis Silvester. Warum konnten Sie sich auf keine gemeinsame Linie einigen?
Mit meinen beiden Intendantenkollegen Dietmar Schwarz und Matthias Schulz habe ich dafür gekämpft, dass es innerhalb der Opernstiftung eine einheitliche Regelung gibt, dass alle Künstlerinnen und Künstler, die schon Verträge unterschrieben hatten, jetzt aber nicht auftreten können, Ausfallhonorare erhalten.

Wir haben außerdem gemeinsam Kurzarbeit für Teile der Belegschaft beantragt, und auch die Termine bei Kultursenator Klaus Lederer machen wir immer zu dritt. Als wir uns dann aber über die Pläne für den Herbst ausgetauscht haben, wurde schnell klar, dass das, was gut für die Komische Oper ist, nicht für die anderen beiden Häuser funktioniert. Unter den Linden und in der Bismarckstraße sind zehnmal mehr internationale Künstler engagiert als bei uns, weil von ihnen erwartet wird, dass alle großen Partien mit Stars besetzt sind.

Die können also nicht einfach alles umschmeißen. Zum anderen will Dietmar Schwarz die Hoffnung nicht aufgeben, das er am 27. September Richard Wagners „Walküre“ herausbringen kann, nachdem ihm Corona schon den ersten Teil des neuen „Ring des Nibelungen“ verdorben hat, das „Rheingold“, das nur in einer Notversion auf dem Parkdeck der Deutschen Oper herauskommen konnte. Und die Staatsoper plant eine wichtige Uraufführung einer neuen Oper von Luca Francesconi nach Heiner Müllers „Quartett“ am 3. Oktober. Bei uns macht am 30. September „Pierrot Lunaire“ mit Dagmar Manzel den Auftakt.

Wirtschaftsfachleute sagen voraus, dass es zu einer massiven, lang anhaltenden Rezession kommen wird. Meinen Sie, dass dann auch die Diskussion wieder losgeht, ob sich Berlin drei Opernhäuser leisten kann?
Unsere Pflicht ist es jetzt, wirtschaftlich verantwortungsbewusst zu handeln. Wir werden alles dafür tun, dass wir unsere Etats einhalten. Vielleicht wird es im kommenden Jahr Kürzungen für die gesamte Kulturszene geben. Fünf, zehn oder fünfzehn Prozent, wer weiß? Aber unabhängig davon sind wir als Institution gesichert, denn der Senat bestätigt uns weiterhin, dass die Generalsanierung und Erweiterung unseres Hauses auf jeden Fall kommen werden. Die öffentliche Hand muss schließlich in Krisenzeiten die Wirtschaft aktiv unterstützen, etwa durch Investitionen in Bauprojekte.

Immerhin hat bereits die erste Sitzung der Fachjury stattgefunden, die im Oktober einen Sieger im Architektenwettbewerb küren soll. Sind Sie zufrieden mit den Entwürfen, die eingereicht wurden?
Darüber darf ich leider im laufenden Verfahren nicht sprechen. Aber ich kann sagen, dass die vorgeschlagenen Lösungen für diese komplexe Aufgabe sehr interessant und vielfältig sind. Es war gut, dass wir im Vorfeld unsere Ziele klar definiert haben und uns intensiv mit dem Denkmalschutz darüber abgesprochen haben, dass hier ein Trio der Stile und Epochen nebeneinander möglich ist – aus dem originalen Torso von 1896, den Um- und Anbauten aus der DDR-Zeit und einem neuen Gebäudeflügel für das 21. Jahrhundert.

Alle Senatsstellen haben aus dem Skandal um die Staatsopernsanierung gelernt. Zu solch einer Katastrophe soll es diesmal nicht kommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende einen tollen Siegerentwurf haben werden.

Die Kulturszene blickt derzeit nach Salzburg, wo die Festspiele unter besonderen Regeln stattfinden. Im Zuschauerraum gilt lediglich eine Abstandspflicht von einem Meter, hinter den Kulissen finden kontinuierliche Corona-Tests für alle Mitarbeiter statt. Ein Vorbild für Berlin?
Man muss vorsichtig sein beim Vergleich mit Salzburg. Ein Sommerfestival ist etwas anderes als ein Repertoirebetrieb. Unsere Herausforderungen sind andere, wir haben an der Komischen Oper 450 Menschen von der Technik bis zum Chor, die vier, fünf Vorstellungen pro Woche machen. Kontinuierliche Corona-Tests für die gesamte Belegschaft können wir uns da nicht leisten.

Was wir aber vom „Salzburger Modell“ hier benutzen könnten, ist der „Schachbrett-Zuschauerraum“ mit versetzt platzierten Besuchern. Damit könnten viel mehr Menschen im Saal sein, als derzeit in Berlin zugelassen sind. Wir befinden uns gerade mit dem Kultursenator im guten Austausch darüber. Nun müssen wir erst einmal abwarten, wie sich die reduzierten Abstände in den Kinos bewähren.

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