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BARRY KOSKY IM WORTLAUT: „Türkische Künstler auf unserer Bühne – das ist überfällig!“

Als ein in Australien geborener Jude mit Großeltern aus Weißrussland, Ungarn und Polen fühle ich mich vollkommen zu Hause hier in Berlin. Berlin ist eine Stadt für Zigeuner und Wanderer.

Als ein in Australien geborener Jude mit Großeltern aus Weißrussland, Ungarn und Polen fühle ich mich vollkommen zu Hause hier in Berlin. Berlin ist eine Stadt für Zigeuner und Wanderer. Eine Stadt für Vertriebene, Träumer und verlorene Seelen.

Meine Großeltern flohen in den 30er Jahren aus Europa und hatten im Gepäck nichts als ihre Sprache, ihre Geschichten und ihre Erinnerungen. Sie waren glücklich und stolz, in Australien leben zu können. Der Umgang mit ihrer neuen Heimat war von keinem Dogma und keiner Grundsatzerklärung geprägt. Sie sprachen im einen Moment Russisch, Ungarisch oder Polnisch, im anderen Englisch. Sie mussten sich nicht zwischen der Kultur ihres Ursprungslandes und der neuen australischen Kultur entscheiden. Die Kulturen vermischten sich einfach. Die geschichtlichen Hintergründe vermischten sich. Die Sprachen vermischten sich. Die Esskulturen vermischten sich – wie Kultur, Geschichte, Sprache und Esskultur das immer schon, seit Tausenden von Jahren auf diesem Planeten getan haben.

Die Debatte, die in Deutschland derzeit über diese Dinge stattfindet, ist überaus wichtig, kommt aber ein wenig spät. In

anderen Ländern ist sie schon vor Jahrzehnten geführt worden. Es ist ein bisschen so, als wachte Deutschland aus

einem süßen Dornröschenschlaf auf, um zu bemerken, dass der Rest der Welt sich verändert hat. Vielleicht hat das mit der Tatsache zu tun, dass Deutschland keine postkoloniale Vergangenheit besitzt. Es gibt einen derartigen Dialog weder zwischen Deutschland und Asien noch mit Südamerika. Es geht hier nicht um

„Multikulti“. Es geht um „Interkultur“.

Es geht nicht um Dogmen und Grundsatzerklärungen. Es geht um kulturelle Unterschiede, kulturelle Vielfalt und Simultaneität. Wem das nicht gefällt, der sollte besser einen Weg finden, dass es ihm gefällt .... Es wird in den kommenden Jahrzehnten sogar noch komplizierter und interessanter werden!

Oper ist kosmopolitisch. Oper ist interkulturell. Musik ist interkulturell. Ein Opernhaus sollte dies begrüßen und auch nach außen widerspiegeln. Ich freue mich, diese wunderbare Möglichkeit in der Arbeit mit türkisch-deutschen Künstlern an der Komischen Oper weiterzuentwickeln. Ich bin nicht interessiert an „Eintagsfliegen“, mein Interesse gilt einer längerfristigen Unterstützung von Künstlern und Publikum über mehrere Jahre hinweg. Wir müssen türkischen Künstlern einen Platz zum Träumen auf unserer Bühne geben. Das war längst überfällig!



Barry Kosky wird ab 2012

die Komische Oper Berlin leiten

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