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So oder so ähnlich sieht Bartholomäus Grills Begegnung mit dem Sterben aus.

© Siedler Verlag / Ausschnitt

Bartholomäus Grills Buch über den Tod: Die Kunst des Sterbens

Der Tod wird in unserer modernen Gesellschaft verdrängt und verbannt - und ist doch nie aus der Welt: Bartholomäus Grills Buch „Um uns die Toten“.

Als der „Spiegel“ neulich einen Vorabdruck von Bartholomäus Grills Buch „Um uns die Toten“ veröffentlichte, überschrieb er diesen mit der Zeile „Sterben ist zur Privatsache geworden“. Aber trifft das wirklich zu? Hat nicht der im August 2013 verstorbene Schriftsteller Wolfgang Herrndorf in seinem Blog „Arbeit und Struktur“ über drei Jahre sein Sterben öffentlich gemacht? Oder Christoph Schlingensief? Und stehen nicht Bücher wie „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ oder Christiane zu Salms „Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben“ seit einer halben Ewigkeit ganz oben in den Bestsellerlisten?

Bartholomäus Grill weiß um die Konjunktur, die der Tod öffentlich hat, und stellt ein Paradoxon fest: hier die Verdrängung, das Verstecken des Todes, dort das Sterben und der Tod der Prominenten, „das kollektive Bedürfnis, den verdrängten, verbannten und scheinbar gezähmten Tod wieder näher ans wirkliche Leben heranzuholen“. Grill versucht mit seinem Buch, das den Untertitel „Meine Begegnungen mit dem Sterben“ trägt, diesem Bedürfnis gerecht zu werden und dabei zudem eine „sehr subjektiv gefärbte Phänomenologie des Todes“ vorzulegen. Als langjähriger Afrika-Korrespondent zuerst für die „Zeit“ und inzwischen für den „Spiegel“ sind die Voraussetzungen für so ein Unterfangen nicht die schlechtesten. In Afrika hat Grill tatsächlich in die unterschiedlichsten Gesichter des Todes geblickt, in Südafrika, Uganda, Somalia, Äthiopien oder auch im heute kongolesischen Goma, wo er nach dem Genozid in Ruanda 1994 war.

Autobiografisch ist das Buch aber nicht nur deshalb und weil Grill zunächst von seiner Kindheit in einer zutiefst katholischen Familie und Umgebung erzählt, von den Toten in seiner Familie, der Todeskultur auf einem Bergbauernhof, den Todes- und Trauerriten in der tiefsten bayerischen Provinz. Nein, Grill, der 1954 in Oberaudorf am Inn geboren wurde, beschäftigt sich hier noch einmal auch mit dem Schicksal seines Bruders Urban, der 2004 im Alter von 46 Jahren unheilbar an einem Mundhöhlenkarzinom erkrankte und die Dienste des Zürcher Sterbehilfevereins Dignitas in Anspruch nahm. Grill schrieb ein Jahr später über das Sterben des Bruders eine lange, als „Zeit-Dossier“ veröffentlichte und mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnete Reportage und löste damit hierzulande eine Debatte über die Sterbehilfe aus. Er stellte sich dieser Diskussion nicht zuletzt dadurch, dass er mit dem Philosophen und Sterbehilfe-Gegner Robert Spaemann ein langes Streitgespräch führte, welches in einer gekürzten Fassung ebenfalls Bestandteil seines Buches ist.

Grill hat ein Streitgespräch mit Robert Spaemann in sein Buch integriert

Tatsächlich ist „Um uns die Toten“ so auch mehr als eine Mischung aus einer Autobiografie, einer Meditation über Sterben und Tod und einem Versuch, deren mannigfaltige Ausgestaltungen wieder mehr ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Es ist zudem vor dem Hintergrund des Bruderleidens- und todes ein vorsichtiges, wohlabgewogenes Plädoyer für die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in Deutschland; für eine weitere Konkretisierung unserer rechtlichen und moralischen Normen bezüglich dieser Frage. Selbst wenn Grill betont, sich nach der damaligen Debatte nie wieder zum Thema Sterbehilfe öffentlich geäußert zu haben und äußern zu wollen (sein Buch ist natürlich so eine Äußerung).

Es zeichnet Grill aus, das Streitgespräch mit Robert Spaemann in sein Buch integriert zu haben. Allein dieses lohnt die Lektüre des zum Teil bewegenden, bei der Beschreibung der insbesondere katholischen Bilder- und Vorstellungswelten auch obsessiven Buches. Zumal Spaemann es dem Journalisten und Afrikareporter wirklich schwer macht mit seinen Argumenten: von den Grauzonen, in denen die „Tötung ohne Verlangen“ stattfinden kann (wer bestimmt über die Wertigkeit des Lebens?) über merkwürdige Koninzidenzen (hier eine immer älter und somit auch kränker werdende Gesellschaft, dort die Diskussion über aktive, passive oder indirekte Sterbehilfe, über ihre Legalisierung oder Kriminalisierung) bis hin zu Fragen der Schuld, die Todkranke gegenüber ihren Angehörigen empfinden könnten, weil sie diesen ihre Pflege aufbürden. Und Spaemann stellt auch die Autonomie des Subjekts in Extremsituationen überhaupt infrage; er postuliert das Sterben als Teil des Lebens und hält dieses gleich von zwei Seiten für beschützenswert: „vor den Leuten, die Menschen zum Leben zwingen wollen, und vor jenen, die den Sterbensprozess abschneiden wollen.“

Grill bleibt dabei, dass die Entscheidung jedem Einzelnen überlassen sein müsse, dass das Sterben eben doch die „größtmögliche Katastrophe“ für jeden Menschen sei, der Tod stets auch als Mörder empfunden, mit jemand wie Elias Canetti verflucht und verachtet werden könne. Man muss jedoch in der Lage sein, sich mit ihm zu arrangieren (was bleibt einem über?), sich seiner wieder bewusster zu werden (was Grill mit seinem Buch zu katalysieren vermag). Am Ende ist es die Erinnerung an die Toten, sind es die Toten um und unter uns, die zum Leben gehören und sie so weniger tot erscheinen lassen. Das ist ein kleiner Trost, aber immerhin.

Bartholomäus Grill: Um uns die Toten. Meine Begegnung mit dem Sterben. Siedler Verlag, München 2014, 224 Seiten, 19,99 €

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