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Der Literaturkritiker Denis Scheck.

© picture alliance / Rolf Vennenbernd / dpa

Bas Kast, Maja Göpel, Richard David Precht: Denis Scheck kommentiert die Bestsellerliste

Einmal monatlich bespricht der Literaturkritiker die „Spiegel“-Bestsellerliste – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesmal: die Rubrik Sachbuch.

10) Peter Hahne: Seid Ihr noch ganz bei Trost! (Quadriga, 128 S., 12 €)

„Deutschland war einmal Maß und Mitte“, schreibt Peter Hahne. „Goethe, Schiller, Thomas Mann gaben ganzen Epochen Maß und Mitte.“ Leider vergisst er zu erwähnen, dass diese seligen Epochen, in denen die großen Dichter wirkten, von Despotie und dem Terror der Französischen Revolution sowie dem Ersten Weltkrieg, der Nazi-Barbarei und dem Zweiten Weltkrieg geprägt waren.

So sehr mir der Algorithmen-Alarmismus eines Frank Schirrmacher auf die Nerven ging: Früher brachten die Konservativen doch etwas mehr Gewicht auf die intellektuelle Waage als mit Peter Hahnes Stammtisch-Gezeter.

9) Kathrin Passig/Aleks Scholz: Handbuch für Zeitreisende (Rowohlt Berlin, 336 S., 20 €)

Die kurzweilige Umsetzung einer originellen Idee: Jetzt, da Reisen im Raum problematisch geworden sind, werden Zeitreisen immer beliebter. Warum also nicht mal eben auf einen Kurztrip zu den Dinosauriern oder noch mal die öden Jahre der DDR mit dem lustigen Münzgeld erleben? „Halten Sie sich nicht für eine Gottheit“ ist übrigens nicht nur für Reisen in der Zeit ein nützlicher Rat.

8) Dirk Steffens/Fritz Habekuß: Über Leben (Penguin, 238 S., 20 €)

Paradoxerweise ziehen der Fernsehmoderator Steffens und der Wissenschaftsjournalist Habekuß in ihrem aufrüttelnden Essay ein positives Fazit über die Fähigkeiten der Demokratie, Krisen wie Corona oder den Klimawandel zu bewältigen: „Wenn die Bevölkerung aufgeklärt ist, wenn sie weiß, was auf dem Spiel steht und was getan werden muss, dann handeln die allermeisten sehr verantwortungsbewusst.“ Ein ermutigendes Buch.

7) Markus Schorn/Frank Thelen: 10 x DNA (Thelen Media GmbH, 256 S., 19,99 €)

Auf der Oberfläche handelt dieses populäre Sachbuch des aus der TV-Sendung „Die Höhle des Löwen“ bekannten Investors Frank Thelen und des Unternehmensberaters Markus Schorn von brandneuen Technologien wie KI, Blockchains, 5-G-Netzen, 3-D-Druck-Verfahren, Bio-Hacking oder gar dem „Menschen 2.0“.

Aber in seiner hysterisch aufgekratzten Sprache erinnert es mich sehr an die vertraute Welt der guten alten Diät-Ratgeber. Die meisten von Thelens Sätzen könnten auch in einer Abnehm-Fibel stehen: „Die größte Herausforderung, aber auch der größte Hebel unserer persönlichen Entwicklung ist unser Mindset.“ Vielleicht ein neues Geschäftsfeld?

6) Michelle Obama: Becoming (Deutsch von Harriet Fricke, Tanja Handels, Elke Link, Andrea O’Brien, Jan Schönherr und Henriette Zeltner. Goldmann, 544 S., 26 €)

Neben sehr viel menschlicher Weisheit und politischer Weitsicht ist diesen Memoiren auch zu entnehmen, worüber die britische Queen und die amerikanische First Lady bei einem Empfang für die Staatschefs der G-20-Länder miteinander sprechen. „Ich verriet der Queen, wie sehr mir die Füße wehtaten. Sie verriet mir, dass es ihr nicht anders erging, Wir schauten uns an und unsere Blicke schienen zu sagen: Wann hat das Herumstehen mit den Staatschefs dieser Welt endlich ein Ende? Im nächsten Moment lachte sie ganz bezaubernd auf.“

5) Bas Kast: Der Ernährungskompass (C. Bertelsmann, 320 S., 20 €)

„Essen Sie echtes Essen“: Das ist vielleicht der wichtigste Tipp Bas Kasts, der in seinem Sachbuch für einen vernünftigen Speiseplan eine Meta-Analyse aller zwischen 1950 und 2013 durchgeführten Ernährungsstudien auswertet. Kast könnte übrigens das Kunststück gelingen, bald parallel mit seinem ersten Roman „Das Buch eines Sommers“ auf der Belletristik-Bestsellerliste zu stehen.

4. Maja Göpel: Unsere Welt neu denken (Ullstein, 209 S., 17,99 €)

Ein kluges Plädoyer für eine Anpassung unseres Wirtschaftssystems angesichts begrenzter Ressourcen und globaler Probleme: „Wir alle können jeden Tag Teil der Veränderung sein, die wir uns für die Welt wünschen, auch wenn sich diese Veränderung erst einmal klein und wenig anfühlt.“

3) Philippa Perry: Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (Deutsch von Karin Schuler. Ullstein Verlag, 303 S., 19,99 €)

Ein kurzweilig zu lesender Ratgeber mit vielen beherzigenswerten Tipps zur Kindererziehung. Der wichtigste Tipp fehlt allerdings: Warum der Verzicht auf Kinder für viele Menschen am besten wäre – und für unseren Planeten sowieso.

2) Ferdinand von Schirach/Aleaxander Kluge: Trotzdem (Luchterhand, 75 S., 8 €.)

Eine sehr geistreiche und anregende Plauderei zweier gebildeter, erzählfreudiger Juristen über Corona, Freiheit und die Menschenrechte, aus der sich unter anderem erfahren lässt: „George Washington, der erste Präsident der Vereinigten Staaten, trug ein Gebiss aus den Zähnen seiner Sklaven, auf seinen Plantagen waren rund 500 schwarze Zwangsarbeiter beschäftigt.“

1) Richard David Precht: Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens (Goldmann, 251 S., 20 €)

Ein eminent lesenswerter Essay über das ganz andere des menschlichen Lebens: die künstliche Intelligenz und warum wir uns „futuristische Naivität“ nicht länger leisten können. „Sollte es in hundert Jahren noch Historiker geben, werden sie über die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts wohl vor allem eines sagen: dass wir versuchten, wie Götter zu werden, während wir wussten, dass tatsächlich nur noch Götter auf ihm hätten leben können.“

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