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Kultur: Bauchtanz für den Frieden

Ausgerechnet ein Berliner aus New York mit jüdischen Wurzeln spielt in „September“ einen pakistanischen Muslim

Er hat die allerletzte Szene im Film. Die optimistische Szene, die Zukunftsszene. Der pakistanische Pizzabäcker kommt zurück zu seiner deutschen hochschwangeren Freundin und sagt die eigentümlichen Worte: „Ich habe da eine Idee. Aber zuerst machst du mir einen Tee.“ Die Tee-Szene ist schon jetzt berühmt. Ja, wenn der pakistanische Pizza-Bäcker vor dem Bauch seiner hochschwangeren Freundin gesagt hätte „Allah ist groß“, wäre das noch irgendwie in Ordnung gewesen, ist halt eine andere Kultur, aber „Zuerst machst du mir einen Tee“? Mitten hineingesprochen in eine nachdevote Gesellschaft.

Sich mit Schauspielern verabreden, denkt man, ist ganz leicht. Man kennt sie ja schon. Einfach einen pakistanischen Pizzabäcker suchen. Aber vorm Café „103“ am Zionskirchplatz sitzt keiner. In dem lässigen weißen Hemd hat René Ifrah viel mehr Ähnlichkeit mit einem türkischen Nachrichtensprecher nach Feierabend. Er sieht ein bisschen wie Moritz Bleibtreu aus. Das sagen viele. Ifrah hat sich schon daran gewöhnt, dass Bleibtreu seine Unterlippe kopiert. Er trinkt keinen Tee, sondern einen Milchkaffee. Auch sind Kellnerinnen viel weniger neurotisch als Filmkritikerinnen. Wenn man zu Kellnerinnen sagt: „Und zuerst machst du mir mal einen Milchkaffee!“, geht das in Ordnung.

Aber die Tee-Szene ist nicht die einzige Untiefe in diesem Wir-nach-dem-11.-September-Film, und Ifrah muss fast alle Untiefen von „September“ allein spielen. Auch den Pizzabäcker-Gleichmut nach der Katastrophe. Wenn dieser Tag die Welt verändert hat, so doch nicht die Welt eines pakistanischen Pizzabäckers. „Ausgerechnet ich!“, sagt Ifrah. Denn er ist gar kein Pakistani, sondern Amerikaner, genauer: ein New Yorker, der seit zehn Jahren in Berlin lebt. Und er ist auch kein Muslim, seine Wurzeln sind jüdisch. René Ifrah, Sohn eines amerikanischen Juden und einer Deutschen, geboren vor 31 Jahren in Frankfurt, aufgewachsen in Brooklyn. „Ich wusste wirklich nicht, ob ich das spielen kann“, sagt er und hat für Sekunden den alten Zweifel im Gesicht.

Ifrah hat in New York selbst fünf Jahre lang Pizza gebacken, schließlich musste er seine Schauspielausbildung finanzieren, und Schauspieler wollte er werden, seit er mit zehn Jahren Filme wie „E.T.“ im Kino sah. Es gab nicht nur künftige Schauspieler unter seinen Mit-Pizza-Bäckern. Ifrah kannte sogar einen New Yorker Pakistani, der sich wie Ashraf im Film als Italiener ausgab, weil „Pizzen aus Pakistan“ nach keiner guten Geschäftsidee klingt. Andererseits ging es Ifrah genau, wie „September“ es zeigt. Plötzlich war da nach dem 11. September dieser fremde Blick auf alle pakistanischen Pizza-Bäcker. Als sähe man sie zum ersten Mal. „Das Gefühl war beinahe Hass“, gesteht Ifrah. Er war am 11. September 2001 in Berlin, auf dem Weg zum Frisör erfuhr er von den Anschlägen. Er rief sofort seine Mutter in New York an. Von ihrem Schlafzimmerfenster aus konnte sie das World-Trade-Center sehen. Nun nicht mehr.

„Aber ich bin Schauspieler!“, sagt Ifrah, und seine Moritz-Bleibtreu-Unterlippe schiebt sich herausfordernd nach vorn. Und ein Schauspieler muss sich, aber auch sein Gegenteil spielen können. Vor allem aber sämtliche Personen, die dazwischen liegen. Und dass dieser Ashraf ein richtig symphatischer Muslim sein sollte, fand er gleich gut. Charmant, großherzig, witzig, irgendwie anders als die deutschen Männer. Er versteht überhaupt nicht, warum es augenscheinlich schon jetzt, bevor der Film richtig angelaufen ist, Menschen gibt, die seinen Ashraf nicht mögen. Er jedenfalls hat gleich an seine Verwandten auf Sizilien denken müssen und seine anderen Verwandten in Israel. Die Männer, die er dort kennt, könnten Ashrafs sein, obwohl sie Juden sind. Vielleicht versteht man das hier nicht mehr, in Deutschland mit seinen Klein- und Kleinstfamilien. Nein, wie man seinen Ashraf „klischeehaft“ finden kann, begreift er nicht. Der 11.-September-Freudentanz ist schließlich nicht mehr drin im Film. Tanzen sollte er zuerst, vorm Fernseher, als die Türme fallen, aber Ifrahs Beine wurden bleischwer. „Ich habe schlecht getanzt“, sagt er.

Dabei ist Ifrah ein begnadeter Tänzer. Sein Schwangeren-Atemgymnastiktanz ist atemberaubend. Der pakistanische Pizzabäcker sitzt in der Schwangerengruppe hinter seiner deutschen Freundin, die Acht-Monats-Bäuche kommen näher, immer näher, und plötzlich beginnt er zu tanzen. Mit einer wunderschönen Inderin, mit vibrierendem Waschbrettbauch. Und Ashraf vibriert mit. „Männerfantasie!“, lautet das harsche Urteil. Ein deutsches Frauenurteil. René Ifrah aus Brooklyn hat manchmal Schwierigkeiten mit deutschen Frauenurteilen. Was wären Männer eigentlich ohne Fantasie? Und außerdem ist diese Szene ungemein lustig. Aber vielleicht darf man das gar nicht sagen, überlegt Ifrah. Frauen halten ihn hier ohnehin manchmal für einen Macho. Dabei ist er in Wirklichkeit ein Frauenversteher.

Wäre René Ifrah aus Brooklyn kein Frauenversteher, wäre er sicher nie zurück nach Deutschland gekommen. Er wollte einfach mal nachgucken, was für ein merkwürdiges Land das ist, das seine Mutter daran hindert, sich ganz zu Hause zu fühlen in New York. Das sie manchmal so komisch sein lässt, deutsch eben. Ifrah kam mit einem Zwei-Wochen-Ticket Anfang der Neunziger. Er konnte ja nicht wissen, wie leicht man hängenbleiben kann. Zuerst für drei Jahre. Beim zweiten Mal schon länger. Bis heute. Ja, wenn man erst anfängt, in einer Stadt Theater zu spielen („Friends of the Italian Opera“) und Filme fürs Fernsehen zu drehen („Der Mann mit den grünen Augen“, „Eine Handvoll Glück“). Gerade entsteht „Scharia“, der nächste Kinofilm.

Ifrahs Freundin ist aus Lichtenberg. Aus dem Osten also. Ob eine junge Frau aus Lichtenberg ihm den Tee macht? Wahrscheinlich würde Ifrah sie nicht fragen, denn deutsche Frauen sind ein bisschen komisch. Trotzdem ist er in dieser Frage eindeutig auf Ashrafs Seite. Der Vorschlag „Und zuerst machst Du mir einen Tee“ ist nämlich in Wahrheit eine Liebeserklärung. Es heißt, übersetzt René Ifrah mit Feuer: „Ich will ja gar nicht von jedem einen Tee. Aber von dir schon!“ Die Kellnerin schaut irritiert herüber: „War das jetzt Ihre Bestellung?“

„September“ läuft in fünf Berliner Kinos.

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