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Auf Großbaustellen (hier die Hamburger Elbphilharmonie) werden Kostensteigerungen als gottgegeben hingenommen. Meistens ist aber schon die Kalkulation viel zu knapp – damit das Projekt genehmigt wird.

© dapd

Bauen in Deutschland: Ins Blaue

Wenn die öffentliche Hand baut, wird es fast immer teurer als geplant. Wir erklären, warum das so ist, und warum Politiker mit Großprojekten überfordert sind.

Fassungslosigkeit allenthalben. Nach politischen Konsequenzen wird gerufen. Doch interessant ist, dass der Mediensturm rund um den Flughafen BER sich wenig um konkrete Fehler und Versäumnisse dreht. Die Materie ist so kompliziert, dass Journalisten sich kaum wirklich sachkundig machen können. Wer kennt schon den Unterschied zwischen Bauaufsicht, Bauleitung, Bauüberwachung, Projektsteuerung und Controlling? Der Aufsichtsratsvorsitzende aus der Politik bestimmt nicht. Da kann man schon mal die Falschen als Schuldige sehen und entlassen.

Das Grundproblem: Politiker bauen einen Flughafen, einen Münchner S-Bahntunnel oder einen Containertiefwasserhafen nur einmal im Leben. Sie haben keine Erfahrung mit Großprojekten (die bau-, verwaltungs- und finanztechnisch auch noch immer komplizierter werden). Niemand verlangt dieses Fachwissen von ihnen, doch zu ihrer Qualifikation als Politiker gehört, dass sie in der Lage sind, sich den Fachverstand ins Haus zu holen. Es gibt ja Projektsteuerer, die in aller Welt Milliardenprojekte stemmen, wie Drees & Sommer mit 34 Standorten. Das Unternehmen verantwortete die Steuerung des 800-Millionen-Baus Neue Messe Stuttgart. Bauzeit: 36 Monate, Fertigstellung kosten- und termingerecht.

So einer gehört an die Seite der Politik. Stattdessen sitzen die Experten samt Juristenarmada auf der Gegenseite und ziehen die Politiker über den Tisch, wie bei der Hamburger Elbphilharmonie. Beim BER hatten Länder und Bund die Bauherrenfunktion auf die Flughafengesellschaft übertragen – und ließen diese ohne Kontrolle agieren. Übrigens war Drees & Sommer 2008 als „Construction Manager“ zum BER geholt worden, um das Projekt auf Bauherrenseite zu steuern. Als 2009 die großen Umplanungen begannen und Drees & Sommer darauf hinwies, dass dadurch entweder die Kosten enorm steigen würden oder der Termin nicht zu halten sei, wurde das Unternehmen mit einem Vergleich verabschiedet – mit der Verpflichtung, Schweigen zu bewahren.

Die Flughafengesellschaft und der nach wie vor aktive Projektsteuerer CBP haben die komplexe Baustelle nicht im Griff. Jene zentrale Instanz, die Planungen, Bauleistungen und Abläufe koordiniert, war und ist überfordert. Auf das erwartbare Chaos haben die (nicht weisungsbefugten) Planer, also die Architekten und Ingenieure, in Brandbriefen und Protokollen immer wieder hingewiesen. Aber der Aufsichtsrat unter Klaus Wowereits Vorsitz köpfte im Juni 2012 wieder nur die Überbringer der schlechten Nachrichten, entließ die Planer samt Sachverstand und Detailwissen von 300 Experten und erwartete, dass jetzt alle anderen in die Hände spucken und einen Endspurt hinlegen. Doch die Firmen legten nicht los, weil niemand mehr da ist, der ihnen Pläne gibt und sagt, wie es weiter geht. Und kassieren erst mal Honorare für freihändig vergebene Aufträge in der heißen Phase vergangenen Jahres. Die Planer zu entlassen, um Tatkraft zu beweisen, war nicht die einzige teure Fehlentscheidung des Regierenden. „Das können wir billiger“, hatte er 2003 gesagt, als ein privater Investor gesucht wurde und Hochtief das Angebot vorlegte, ein Stück Flughafen komplett für eine Milliarde Euro zu bauen. Heute ist man bei 4,3 Milliarden, die fünf Milliarden sind nicht mehr weit. Wie schläft ein Politiker, der Kostensteigerungen in Milliardenhöhe zu verantworten hat?

Ob es gelingen wird, bei Stuttgart 21 ähnliches Unheil zu vermeiden? Darauf würde kaum einer wetten. Nichts ist wahrscheinlicher, als dass die Stuttgarter (und die Baden-Württemberger, und die Bahnkunden, also wir alle) erneut in ein teures und endloses Desaster taumeln. „Sehenden Auges“ kann man nicht sagen, angesichts der Scheuklappen der Verantwortlichen. In Stuttgart ist das Problem anders gelagert als in Berlin – mit zu vielen Beteiligten und einer noch komplexeren Problemlage, vom Bahnbetriebswesen bis zum Juchtenkäfer, vom Denkmalschutz bis zum Mineralwasser im Untergrund. Ein solches Projekt ist am ehesten noch im totalitären China zu stemmen.

Ach ja, China, das wird jetzt gern als Vorbild angeführt. Mögen unsere Gesetze Bauvorhaben inzwischen zum Hürdenlauf machen, so will man Umsiedlungen, Umweltschäden und miserable Bauqualität hier aber bestimmt nicht haben. Beim Pekinger Olympiastadion, dem „Vogelnest“, wurden wegen übereilter Planung Unmengen teuren Stahls verbaut, bei der Bauausführung wurde derart improvisiert, dass einem allein bei der Dachuntersicht schlecht werden kann. Über die Kosten kursieren nur inoffizielle astronomische Zahlen. Und wenn eine Hochstraße durch Schanghai geknüppelt und nach fünf Jahren wieder abgerissen wird, kräht dort kein Hahn danach. Von den immensen Kostensteigerungen zu schweigen.

Was den Bürger zu Recht erzürnt: Finanzierungsprobleme. In Zeiten anämischer Haushalte sind öffentliche Großbauvorhaben zu Haushaltsrisiken geworden. Immer das Gleiche: Zuerst hilft ein ohne Puffer kalkuliertes Budget dem Projekt durch Gremien und Parlamente. Kaum ist der Bau auf der Schiene, kommen Wünsche und Erweiterungen. Kostensteigerungen werden als gottgegeben hingenommen, Gelder nachgeschossen. Und irgendwann sind die Verantwortlichen fürs politische Versagen bei Beauftragung oder Überwachung nicht mehr dingfest zu machen, denn die Projekte laufen länger als eine Legislaturperiode.

Es gibt viele Gründe für Verzögerungen und Kostenexplosionen. Selten liegt es an Fehlplanungen, obwohl in der Öffentlichkeit gern reflexartig den Architekten die Schuld gegeben wird. Ausweitung und Veränderung des Bauprogramms, Firmeninsolvenzen, unerwartete Kostensteigerungen, Baugrund, schlechtes Management, überforderte Projektsteuerung, zuweilen alles zusammen wie bei der Elbphilharmonie, sind letztlich in der erschreckenden Unprofessionalität öffentlicher Bauherren begründet.

Politiker sollten diese Risiken im Vorfeld abschätzen lassen und Projekte im Zweifel stoppen. Keine schlechte Idee, dass der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn Zusatzzahlungen der Stadt für das Megaprojekt Stuttgart 21 verweigert, nachdem die Bahn über die veranschlagten 4,5 Milliarden Euro hinaus neue Kostensteigerungen von 340 Millionen auflistet. Kuhn sieht sich der Phalanx aus CDU, SPD und FDP gegenüber – was die Grünen nicht davon abhalten sollte, Stuttgart 21 auf finanzielle, organisatorische und bautechnische Risiken abzuklopfen.

Dringend abzuklopfen wäre auch das Projekt „Wiederaufbau Berliner Schloss“. Seit Jahren wird von Fachleuten vorhergesagt, dass das vom Bundestag „gedeckelte“ Budget weit überschritten werden wird. Ziemlich geräuschlos ist der Deckel schon einmal angehoben worden, von 552 auf von 590 Millionen („Indexierung“ nennt man das, Anpassung an die Teuerung im Bauwesen). Weitere Steigerungen sollen durch Einsparungen aufgefangen werden: keine historischen Bauteile im Innenhof, keine Kuppel. Billiger Innenausbau wird im Inneren aber keine Schlossgefühle aufkommen lassen. Es ist an der Zeit, die Risiken dieses Projekts von unabhängiger Seite prüfen zu lassen. Andernfalls müssen eines Tages womöglich dramatische Entscheidungen gefällt werden. Wie beim Transrapid. In München ist es einmal gelungen, rechtzeitig die Notbremse zu ziehen.

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