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Kultur: Bauen ist Denken

Gewaltig schwebend: Im Basler „Schaulager“ zeigen Herzog & de Meuron ihre Architektur als Prozess

Wie ein umgedrehter Weidenkorb sehen Modell und Simulation für das Stadion von Peking aus. 2008 sollen hier die Hauptwettbewerbe der Olympischen Spiele abgehalten werden. Eine Struktur von einander überlagernden Trägern – wie eben die Zweige eines Geflechts – hält Tribünen und Dach zusammen. Zwei Jahre früher wird das technisch gleichfalls vorausweisende, im Bau befindliche Fußballstadion in Münchens Norden eröffnet (um das sich eine noch unaufgeklärte Bestechungsaffäre rankt). Und bereits im Betrieb – und äußerst erfolgreich – ist das Basler Stadion St.Jakob, wo der FC Basel soeben seine zehnte Schweizer Meisterschaft feiern konnte.

Der Zusammenhang ist gewiss kein kausaler; aber man darf wohl sagen, dass das zukunftsträchtige Stadion und der ebenso organisierte Fußballklub einander bestens ergänzen. Tagsüber ist das Basler Stadion kaum zu erkennen; eine Wohnhausscheibe schirmt es gegen die Straße ab. Bei Meisterschaftsspielen aber beginnt das Bauwerk zu leuchten. Hier sind es die Klubfarben Blau-Rot, in der bayerischen Hauptstadt sollen abwechselnd die Farben der beiden Münchner Vereine angeschaltet werden (vorausgesetzt, die abgestiegenen „Löwen“ wollen überhaupt noch im Neubau spielen).

Die beiden Architekten, Jacques Herzog und Pierre de Meuron, zählen zu den ganz Großen ihrer Profession; ausgewiesen beispielsweise durch den als „Nobelpreis der Architektur“ apostrophierten Pritzker-Preis, den sie im Jahr 2001 empfingen. Sie mögen es nicht gerne hören, aber sie sind signature architects – Architekten, die zahlungskräftige Bauherren ihres Namens wegen verpflichten. In Basel begannen sie vor 25 Jahren ihre Laufbahn, die sie mittlerweile in alle Welt getragen hat. In der Patrizierstadt, wo etliche ihrer Bauten stehen, haben sie jetzt eine Ausstellung , die besser nicht präsentiert werden könnte – sie findet in einem ihrer eigenen, hoch ambitionierten Bauwerke statt.

Das „Schaulager“ – sogar der Name ist urheberrechtlich geschützt – ist das Gehäuse für die umfangreiche Sammlung moderner Kunst, die die Pharma-Familie Sacher-Oeri seit einem halben Jahrhundert zusammenträgt. Das Haus ist ohne Vorbild: ein Kunstspeicher, der die Mittellage einnimmt zwischen öffentlichem Museum und abgeschotteten Depot. Hier wird die Kunst luftig bewahrt; und noch immer sei man nicht „mit dem Auspacken fertig“, wie Direktorin Theodora Vischer lässig ausführt, weil man „jedes Stück genau ansehen“ wolle.

Einmal im Jahr wird in Unter- und Erdgeschoss des insgesamt fünfstöckigen, 28 Meter hohen Betonklotzes eine öffentliche Ausstellung veranstaltet, und gleich die zweite ist den Architekten des Gebäudes gewidmet. Als „Nr. 250“ hat sie Eingang in deren Werkverzeichnis gefunden – denn, so Jacques Herzog, der für den Kontakt zur Öffentlichkeit zuständige Prinzipal, diese Ausstellung sei selbst ein Projekt und ein Schritt zu neuen Vorhaben.

Herzog & de Meuron sind ein Markenname. Sie bilden die Bannerträger des „Basler Minimalismus“, jener wohl nicht ganz zufällig der dort bevorzugten Glaubensrichtung entsprechenden Haltung, die nur das Notwendige anerkennt, alles Überflüssige aber mit Bannfluch belegt. Zu behaupten, es gebe in den Bauten von Herzog & de Meuron nichts Dekoratives, geht allerdings haarscharf daneben – weil das Notwendige selbst, wird es denn so perfekt ausgeführt, wie die beiden im selben Jahr 1950 in Basel gebürtigen Architekten es verlangen, zum Dekor gerät. Andächtig befühlen ihre Bewunderer die elegant-rohen Wände und Fußböden, wie sie im spektakulären Umbau des Londoner Museums Tate Modern oder der Duisburger Küppersmühle zu finden sind. Voller Ehrfurcht betrachten sie Fotos der aus steingefüllten Drahtkörben aufgeschichteten Wand der kalifornischen Dominus-Winzerei. Oder sie pilgern zum kupferumwundenen Stellwerks-Monolithen beim Basler Bahnhof SBB.

Das Duo – das mit mittlerweile 200 Angestellten ein auch international respektables Büro führt – ist nicht zuletzt für seine skrupulöse Materialwahl berühmt. Holz, Stein, Beton, Plexiglas, alles ist möglich; oder gar, wie bei der Fachhochschulbibliothek im brandenburgischen Eberswalde, nach Fotovorlagen bedruckte Betonfassaden. Diese Materialien bilden den Hauptinhalt der Basler Ausstellung. Sie weckt zudem mit einer ganzen Reihe von Modellen Neugier, die zwar nicht den gebauten Zustand zeigen, aber doch als Vor- und Zwischenstudien Einblick geben in das Denken der Architekten.

„In dieser Ausstellung finden sich all unsere Modelle und Materialexperimente sorgfältig nummeriert und beschildert auf Tischen ausgelegt; es ist also eine Archivausstellung, das heißt eine physische Ansammlung von Dokumenten, die wir herstellten, um gedankliche Prozesse in Gang zu bringen und zu beschleunigen oder im Gegenteil zu stoppen und in eine andere Richtung zu lenken“, schreiben Herzog & de Meuron im Katalog einer Werkausstellung im vergangenen Jahr: „So betrachtet, sind diese archivierten Gegenstände nichts als Abfallprodukte, denn der immaterielle, gedankliche Prozess des Verstehens, des Lernens und der Entwicklung stand stets im Vordergrund.“ Dieser dickleibige Katalog unter dem Titel „Naturgeschichte“ (Lars Müller Verlag, 472 S., 58 Franken) darf aus unerklärten Gründen in Basel nicht seinen Dienst tun; stattdessen wird ein Kurzführer verteilt. Doch der zitierten Maxime folgend sind im „Schaulager“ hunderterlei Entwurfsstadien und Gedankenstützen in hellblauem „Styrofoam“, in Pappe, Sperrholz oder Glas zu sehen, allerdings keine Pläne oder gar Fotografien der ausgeführten Bauten.

Schade – denn Herzog & de Meuron beginnen tatsächlich (beinahe) jedes Mal von vorne, wenn sie einen Entwurfsauftrag neu durchdenken. So haben sie sich beispielsweise der von Architekten-Stars verachteten Aufgabe des Einfamilienhauses angenommen. Mit satteldachgedeckten Häusern unternehmen sie eine „Neudefinition“ dieses verlachten Typus, die zugleich dessen pure Negation darstellt: In Stuttgart geht die tragende Struktur übergangslos ins gleichermaßen geschichtete Dach über, im elsässischen Leyhen schwebt das Haus, jeder „Bodenständigkeit“ spottend, auf einer Bodenplatte wie auf einem Tablett am Hang.

Bei den Sportstadien allerdings zeichnet sich eine mit dem Basler Prototyp beginnende „Markenfamilie“ ab. Weniger den Sport als dessen an den „Medien-Fassaden“ ablesbares Image transportiert die Architektur. Und so sind die Bauten von Herzog & de Meuron überhaupt grandiose Bilder. Sie haben die schal gewordene Doktrin des Funktionalismus – zu zeigen, wozu sie dienen und was in ihnen vorgeht – hinter sich gelassen und liefern stattdessen prägende Bilder – Bilder dessen, was ein Bauwerk heute sein kann, ohne dass es allzu viel von sich preisgeben muss. Am Anfang ist alles „Styrofoam“. Und so zeigen die beiden Architekten in ihrer Basler Ausstellung „Abfall“ – wohl wissend, dass solchen Trümmern in den Augen des Betrachters eine ganz altmodische Aura zuwächst.

Basel, „Schaulager“, Ruchfeldstr. 19, bis 12. Sept.; kein Katalog, Kurzführer gratis.

JACQUES HERZOG und PIERRE DE MEURON wurden im selben Jahr 1950 in Basel geboren und haben beide Architektur an der renommierten ETH Zürich studiert. 1978 gründeten sie in ihrer Heimatstadt ein gemeinsames Büro. Eine der ersten ihrer zahlreichen Auszeichnungen kam 1987 von der Berliner Akademie der Künste. Mit dem Haus der Sammlung Goetz in München (1992) erregten sie erstmals Aufsehen, mit dem Umbau eines Kraftwerks zur Tate Modern in London (2000) errangen sie Weltruhm. 2001 erhielten sie den Pritzker-Preis.

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