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Kultur: Bauen mit dem „Blob“

In der Schweizer Fondation Beyeler vermählen sich Architektur und Skulptur

„Wirkliche Architektur ist Skulptur“, bemerkte der Bildhauer Constantin Brancusi, als er sich 1926 angesichts der New Yorker Skyline in sein Atelier versetzt fühlte. „Alles ist Architektur“, entgegnet Hans Hollein vierzig Jahre später. Wiederum dreißig Jahre später landet schließlich im Baskenland ein Bauwerk, von dem sich nicht mehr eindeutig sagen lässt, ob es nun Architektur oder Skulptur ist: Frank Gehrys Guggenheim Bilbao. Das sind die markanten Stationen der ausgesprochen sehenswerten Ausstellung „ArchiSkulptur“ in der Fondation Beyeler bei Basel. Sie besticht vor allem durch herausragende Qualität ihrer Exponate. Kurator Markus Brüderlin wagt zwar die eine oder andere streitbare These, doch den naheliegenden Paragone-Streit, welche denn nun die höchste aller Künste sei, lässt er hinter den Kulissen der Ausstellungsarchitektur ruhen. Stattdessen bringt er die historische Gemengelage von Skulptur und Architektur in einen vielstimmigen Dialog, innerhalb dessen sich die Schnittmenge „ArchiSkulptur“ ergibt.

Diese Schnittmenge ist gewaltig. Die „Vor-Geschichte“ in drei Kapiteln zeigt, dass es hier eine Tradition gibt. In epochalen Salti führt der Weg vom Revolutionsarchitekten Etienne-Louis Boullées über Malewitschs „Architektonen“ zu Gerhard Merz’ für die Ausstellung konzipierter Lichthommage an Boullée. Von Gehrys Arbeitsmodell für den Guggenheim-Bau in Bilbao kehrt man über den Konstruktivismus von Wladimir Schuchows Moskauer Radioturm (1919) zu Robert Delaunays Bild der gotischen Kirche „St. Séverin“ von 1909 zurück. Ein weiterer Kirchenbau, Borrominis Kuppellaterne Sant’ Ivo della Sapienza in Rom (1642–1660), konfrontiert wiederum die geschwungene Vorhangfassade von Gaudis Casa Millà (1905–1910) mit ihrem barocken Vorläufer.

Diese Bezugnahmen sind ebenso vage wie mutig. Wesentlich dichter werden die Konstellationen, wo sich die Ausstellung auf Entwicklungen innerhalb des 20. Jahrhunderts beschränkt: Brancusis „Vogel“ von 1923 kehrt da in dem von Norman Foster entworfenen Neubau der „Swiss Re“ (2004) in London wieder, und Hermann Finsterlins Gipsmodell „Villayette“ wird mit einem Fragment von Friedrich Kieslers „Endless House“ (1950–59) konfrontiert. Die „Eroberung des Raumes“ vollzieht sich am „Neoplastizismus“ eines Piet Mondrian oder Theo van Doesburg nicht nur architektonisch, sondern sie wird in Jacques Lipchitz’ „Femme debout“ (1918/19) oder Lehmbrucks „Gestürztem“ (1915/16) zum Ausdruck körperlichen Befindens. Lehmbrucks gebrochene Gestalt steht wiederum in Nachbarschaft zu Mies van der Rohes „Barcelona Pavillon“, der sowohl als Modell als auch in einer Jeff-Wall-Fotografie zu sehen ist. Neben den Koordinaten Plastik und Raum wird mit dem menschlichen Körper eine vierte Dimension ins Spiel gebracht: In Dan Grahams begehbarem Pavillon „Two Joined Cubes“ spiegelt sich nicht nur eine Skulptur Carl Andres, sondern auch Alberto Giacomettis „Großer Kopf“ von 1960.

In Konstellationen wie diesen gelingt es der Ausstellung, eine „archiskulpturale“ Vision zu entwickeln, die sich durch die Überfülle der Werke ansonsten zu selten einstellt. Das „New Babylon“ jedenfalls, das der belgische Künstler Constant im Laufe der Fünfzigerjahre erdachte, droht in den postmodernen Modellstädten eines Walter Jonas oder Arata Isozaki zu verstummen. Dass sich die Ausstellung am Ende ihrer Chronologie vor allem auf die Seite der Architektur schlägt, unterstreicht die These Brüderlins, nach der die Geschichte der Skulptur von der Architektur fortgeschrieben wird. Zugegeben: Die These ist verlockend, zumal das neue Jahrtausend – zumindest in der Entwurfspraxis – dort anzusetzen scheint, wo sich Architektur und Skulptur am nächsten kommen. „Metamorph“ ruft etwa derzeit die Architekturbiennale in Venedig, während die Zunft mit einem satten „Blob“ antwortet. Dieser „Blob“ steht stellvertretend für eine technologische Hochrüstung, die nahezu jede computergenerierte Form Architektur werden lassen kann. Für eine jüngere Architektengeneration ist Gehrys Guggenheim-Bau in Bilbao nur der Anfang, entsprechend euphorisch blickt sie in die Zukunft. Endlich kann sie das Feld der freien, ja autonomen Form beackern. Dass ihr dort kaum ein Bildhauer in die Quere kommen wird, liegt auf der Hand: Dieses Feld hat die Skulptur bereits vor vierzig Jahren verlassen.

Riehen bei Basel, Fondation Beyeler, bis 30. Januar. Katalog 58 SFr.

Ralf Christofori

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