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Bayreuther Festspiele: Eine schrecklich nette Familie

Am Dienstag tagt der Stiftungsrat der Bayreuther Festspiele. Wer folgt auf Wolfgang Wagner?

Die Wagners befinden sich dieser Tage auf dem Gesundheitstrip. So lässt Wolfgang Wagner, hartnäckig amtierender Chef auf dem Grünen Hügel und 88, nichts unversucht, sein langes Dasein um das möglicherweise entscheidende Stück zu verlängern. Hier ein Aufbauspritzchen, da ein Muntermacherchen (sagen seine Feinde) – was die ärztliche Kunst so hergibt. Den Rest besorgt der Weltrespekt vor seiner unbestrittenen Lebensarbeitsleistung. Eva Wagner-Pasquier und Nike Wagner wiederum, Tochter und Nichte Wolfgangs, beide 62, trinken nicht und rauchen nicht und erhalten schon dadurch ihre Spannkräfte, dass sie seit Jahrzehnten am Bühnentürl der Bayreuther Festspiele rütteln. Bislang vergeblich. Katharina Wagner schließlich, 29, jüngste Tochter Wolfgangs, die Kronprinzessin, ist eine konsequente Anhängerin der Powerfitness. Und wenn man bedenkt, mit welch stählerner Kondition sie den Rummel um ihre diesjährige „Meistersinger“-Inszenierung bewältigt hat, dann kann man sich den bösen Gedanken nicht verkneifen, sie habe hier und da mit ein bisschen Doping nachgeholfen.

Eine schreckliche nette Familie? Gewiss, aber das war bei den Wagners nie anders. Wenn am kommenden Dienstag der Stiftungsrat der Bayreuther Festspiele tagt, dann geht es allerdings um mehr als die übliche Ranküne, den notorischen künstlerischen Niedergang oder drohende Finanzlöcher. Das heißt, um Letztere wird es auch gehen müssen, denn für die Saison 2008, so Ewald Hilger, Ehrenpräsident der mächtigen Gesellschaft der Freunde von Bayreuth, wurde erstmals ein „nicht ausgeglichener Wirtschaftsplan“ vorgelegt. Gar von „Misswirtschaft“ ist die Rede. Diese Annahme, kontert die Festspielleitung, gehe von den 2004 eingefrorenen Subventionen aus. Schon im März aber hätten die Zuschussgeber (Bund, Freistaat Bayern, Bezirk Oberfranken, Stadt Bayreuth) Verständnis dafür signalisiert, dass „die eingeplanten Preissteigerungen absolut nachvollziehbar sind und aufgefangen werden müssen“.

Transparenz indes scheint nicht erwünscht, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Im Sommer etwa war die Instandsetzung der Bayreuther Untermaschinerie fällig. Doch was den „Freunden“ im Frühjahr als Notwendigkeit galt, rücken sie heute ins Licht von Geschäftsuntüchtigkeit. Überhaupt stellen die „Freunde“ einen recht merkwürdigen Verein aus gutmütigen, großherzigen, aber lautlosen Spendern und großtönenden Politikveteranen. Besonders schillernd: ihr Vorsitzender Karl Gerhard Schmidt, ein Pleite-Bankier (zudem von einem Strafgericht wegen Untreue verurteilt), der über die Spendengelder wacht. Einstweilen hortet die Gesellschaft diese Gelder – wohl für die Zeit nach Wolfgang Wagner. Belief sich das Vermögen 2006 noch auf knapp 4,8 Millionen Euro, betrug es Anfang des Jahres bereits sechs Millionen. In den nächsten drei Jahren soll es auf fast neun Millionen aufgestockt werden. Für die Festspiele fällt dabei nur das Nötigste ab. Eine strategische Daumenschraube und auch ein Ohnmachtsbeweis.

Der springende Punkt auf der Tagesordnung des 6. November findet sich jedoch unter „Verschiedenes“. Er betrifft – wer hätte das gedacht? – die Nachfolge Wolfgang Wagners. Über die Brisanz dieser Frage kursieren unterschiedliche Ansichten. Zur Erinnerung: Das letzte, von ihm selbst eingeleitete Nachfolgeverfahren ließ Wolfgang Wagner 2001 an die Wand fahren, nachdem sich seine zweite Frau Gudrun neben Eva Wagner-Pasquier als Doppelspitze nicht durchsetzen ließ, der Stiftungsrat wollte nur Eva alleine. Seitdem sitzt Wolfgang, der einen Vertrag auf Lebenszeit in Händen hält, die Sache aus.

Und wie um den „Alten“ mit seinen Waffen zu schlagen, sieht plötzlich auch das Bayerische Kultusministerium keinerlei Handlungsbedarf, liebäugelt stattdessen ebenso uncharmant wie unverantwortlich mit der „biologischen Lösung“. Dass man sich in der leidigen Angelegenheit keine zweite Watsch’n einfangen möchte, ist nur zu verständlich. Auch vom ohnehin peinlichen Sonderkündigungsrecht will man nicht Gebrauch machen: Es besagt, dass der Mietvertrag für das Festspielhaus zur Disposition steht, sollte Wagner nicht mehr in der Lage sein, die Festspiele effektiv selbst zu leiten. Trotzdem sind Zweifel angebracht, wenn Toni Schmid, der zuständige Ministerialdirigent, gegenüber dem Tagesspiegel erklärt, er halte den 6.11. für „weit überschätzt“. Hier handele es sich „keineswegs um den Tag, an dem über die Zukunft Bayreuths entschieden wird“.

Das dürften die drei kandidierenden Damen anders sehen – in seltener Einmütigkeit mit Vater respektive Onkel Wolfgang. Hatte sich der Festspielchef in der Vergangenheit allen missliebigen Auseinandersetzungen durch Totschweigen und attestierte Abwesenheiten entzogen, legt er jetzt offenbar ein gesteigertes Interesse an den Tag, die Dinge zu regeln. So wird er am Dienstag womöglich doch erscheinen. Tochter Katharina nämlich hatte Anfang September mit dem Dirigenten Christian Thielemann die Initiative ergriffen und ein Konzept ausgearbeitet. Neben den bekannten, eher pragmatischbodenständigen als intellektuell kühnen Inhalten (Beibehaltung des Stückekanons, Gründung einer Akademie für den Wagner-Nachwuchs, „kritische“ neben „kulinarischen“ Lesarten des Œuvres) sieht es einen Stufenplan zur Einnahmensteigerung vor sowie einen dritten Mann an der Schnittstelle zwischen Kunst und Kommerz. Das Argument, Katharina sei zu unerfahren, um das Festival mit der nötigen Umsicht zu leiten, und Thielemann zu wenig für verwalterische und organisatorische Pflichten zu begeistern, es soll offensiv beseitigt werden.

Ob die Konstruktion überzeugt, wird vom Profil jenes Dritten abhängen. Die Politik, die von der Personalie bereits in Kenntnis gesetzt wurde – vornehmlich der Bund in Gestalt von Kanzlerin Merkel persönlich (Kulturstaatsminister Bernd Neumann interessiert sich nicht sonderlich für Oper) und das Land Bayern mit Ministerpräsident Günther Beckstein –, scheint nicht abgeneigt. So könnte die Rechnung bei erfolgreichem Strippenziehen und Stimmensammeln am Ende überraschend einfach aussehen und rascher kommen, als viele denken.

Wobei nicht unterschätzt werden darf, dass mit der Lösung „Katharina“ eine Kröte zu schlucken ist: die, ihrem dickschädeligen Vater einen letzten Gefallen getan zu haben. Und mag man die 29-Jährige mit noch so prominenten Buddys polstern: Wolfgang Wagners Führungsstil der letzten Jahre (nicht nur Jürgen Flimm, Intendant der Salzburger Festspiele mit Bayreuth-Erfahrung, spricht hier längst vom „Gudrun-Stil“) hat ihm keine Sympathien eingebracht. Auch ist Gudruns heimliche Stellvertreterschaft juristisch ein Unding. Die Wagners haben 1973 ihr gesamtes Festspielvermögen aus Festspielhaus, Villa Wahnfried, Archiv und Bibliothek in die Stiftung eingebracht. Ein Privattheater sind die Bayreuther Festspiele deswegen aber noch lange nicht.

Was die Qualifikation der beiden verbleibenden Konkurrentinnen betrifft, Eva und Nike, so steht diese in der Öffentlichkeit erstaunlicherweise weniger infrage. Dass Alter und Erfahrung allerdings nicht vor Blässe schützen, zeigt ein Blick in Evas Bewerbungpapiere vom Dezember 1999: Alles bleibe, wie es ist, steht da in rührend einfältiger Weise geschrieben. Nur sollten sich die Führungsaufgabe künftig ein künstlerischer und ein geschäftlicher Leiter teilen. Für diese Position brachte sie ihren Cousin Wieland Lafferentz ins Spiel, der jedoch das Handtuch warf, als Evas Machtansprüche mit dem Rückenwind des Stiftungsrates wuchsen. Inhaltlich ist das Papier dünn und keinesfalls durch Bayreuth-Erfahrung zu kompensieren.

Bis 1976 hospitiert und assistiert Eva Wagner-Pasquier jeweils im Sommer, mit der Konzeption der Festspiele hat sie nichts zu tun. Und auch in ihrem späteren Opernleben zwischen London und Aix-en-Provence bekleidet sie nie eine alleinverantwortliche Position. Sie habe sich „verstoßen“ gefühlt und Jahre gebraucht, um den ersten Bruch mit dem Vater zu verwinden, berichtet sie Anfang Oktober im Gespräch mit der „Bunten“. Der zweite Bruch von 2001 dürfte ihr noch frisch in Erinnerung sein. Ob die Tiefe solcher Verletzungen psychologisch eine günstige Arbeitsvoraussetzung bildet, ist nicht ausgemacht – so grausam das klingt.

Nike indes, derzeit Leiterin des Kunstfests Weimar, gibt sich entspannt. Jenseits ihres Konzepts von 2000 (Bayreuther Dramaturgie unter Berücksichtigung des „ganzen Wagners“, thematische Kohärenzen, Akademiegedanke) plädiert sie für die einmalige Chance des historischen Einschnitts – und dafür, die Festspiele aus der „Diktatur der Gene“ zu befreien. Jetzt müsse gehandelt werden, damit die Festspiele mit Hilfe eines international renommierten, unabhängigen Intendanten im Sinne ihres Gründers endlich zurück zur Kunst fänden.

Schöne Worte, die allerdings insofern ins Aus zielen, als die Familie laut Stiftungssatzung so lange zu bevorzugen ist, solange sie „geeignete Kandidaten“ aufbietet. Vom öffentlichen Identifikationsfaktor zu schweigen. Und wenn alles doch noch ein bisschen dauert? Dann hält sich nicht nur Nike weiterhin fit – und stellt sich auch in fünf Jahren, wie sie sagt, „freudig“ jeder amtsärztlichen Untersuchung.

Christine Lemke-Matwey, Peter Siebenmorgen

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