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Wagner

© Imago

Bayreuther Festspiele: Ende einer Ewigkeit

Wolfgang Wagner tritt ab - nach über einem halben Jahrhundert. Damit endet eine Ära des exklusivsten Festivals der Welt: der Bayreuther Festspiele. Sieben große Wagnerianer sagen Auf Wiedersehen.

Morgen gehen die 97. Richard-Wagner- Festspiele mit der 496. Vorstellung des „Parsifal“ (seit dessen Bayreuther Uraufführung 1882) zu Ende. Auch über der Ära Wolfgang Wagner fällt damit der Vorhang. 57 Jahre lang hielt er seine Hand über Wohl und Wehe des exklusivsten Festivals der Welt. Zunächst, von 1951 bis 1966, an der Seite seines Künstler-Bruders Wieland, nach dessen Tod in alleiniger Verantwortung. Stand Wolfgang immer im Schatten Wielands, dessen karge Inszenierungen die Ästhetik Neu-Bayreuths prägten, so wusste er dessen Spuren alsbald gründlich zu beseitigen. Bühnenbilder wurden verbrannt, die Wieland-Kinder aus Wahnfried verjagt. Ein dichtes Netz von Verträgen spannt sich seither über den Grünen Hügel: 1973 werden die Festspiele in eine Stiftung überführt, 1986 gründet Wolfgang eine GmbH und lässt sich zum Festspielleiter auf Lebenszeit ausrufen. Seine eigenen Inszenierungen atmen gern den Charme eines „Autoreifens der Fünfzigerjahre“ (so einst die F.A.Z.). Indem er andererseits Künstler wie Götz Friedrich, Pierre Boulez, Heiner Müller oder Christoph Schlingensief engagiert, bewies Wolfgang Mut – und machte sich unangreifbar. Diesen Samstag feiert er seinen 89. Geburtstag, am Montag tritt der Stiftungsrat der Festspiele in Bayreuth zusammen, um nach einem kläglich gescheiterten Versuch 2001 nun endgültig über seine Nachfolge zu beraten. Die Wolfgang-Töchter Eva und Katharina treten gegen das Duo Nike Wagner und Gérard Mortier an. Wir haben sieben Persönlichkeiten des musikalischen Lebens gebeten, uns ihre Erinnerungen an W.W. zu erzählen. Le.

CHRISTOPH SCHLINGENSIEF

Wolfgang Wagner steht prototypisch für die Wirksamkeit, die ein Familienunternehmen entfalten kann. Das durch ihn geprägte Festspielhaus wirkt wie eine perfekt organisierte Arbeitsstätte zur Produktion von Spitzenleistungen, und keine der überall in diesem Gebäude zu findenden Vorschriften, mag sie auch noch so absurd klingen, ist ohne Sinn. Das hat mich beeindruckt. Ob dies für die Gestaltung von Musikfestspielen reicht, die einem der größten Künstler aller Zeiten gewidmet sind, lässt sich bezweifeln. Aber immerhin lieferte es in all den Jahren eine nahezu perfekte Basis für die dort tätigen Menschen. Für die Künstler und alle anderen. Auch für mich.

Ich werde W.W. als liebenswerten Patriarchen in Erinnerung behalten, erstaunlich besessen, erstaunlich tolerant, die künstlerische Freiheit achtend bis zur Schmerzgrenze und darüber hinaus. Nur an einem Punkt war Ende der Fahnenstange. Beim „Parsifal“, Wagners Weltabschiedswerk, hatte ich einen „Friedhof der Kunstwerke“ auf der Bühne, Grabsteine für Kunstwerke, von der Mona Lisa bis zu Beuys’ Honigpumpe.

Als Schlüsselwerk war dort auch das erste Readymade, das Urinal von Duchamp zu sehen, dem ich in meiner Arbeit sehr verpflichtet bin. Dieses Urinal verwandelte sich während der Proben in einen Zankapfel, ohne das ein Wort darüber gesprochen wurde. Tagsüber probten wir auf dem Friedhof der Kunstwerke und das Urinal war da, Nachts, wenn alles schlief, schlich sich Wolfgang nochmal auf die Bühne und entfernte eigenhändig dieses Objekt, das für ihn absolut nichts mit Wagner und „Parsifal“ zu tun hatte. Dies geschah an jedem Abend, nach jeder Endprobe. Und Wolfgang gewann durch Penetranz, und so blieb dem Urinal von Duchamp der Friedhof erspart. Und alle waren zufrieden. Der Readymade-Gedanke ist trotzdem aus der Oper nicht mehr wegzukriegen.

Wirklich, Wolfgang Wagner war ein fürsorglicher und ein guter Hausvater. Als er mich im September letzten Jahres durch Katharina fragen ließ, ob ich mir vorstellen könne, den „Tristan“ in Bayreuth zu inszenieren, war ich begeistert, aber nicht überrascht ....

Christoph Schlingensief, 47, inszenierte 2004 in Bayreuth „Parsifal“.

CHRISTIAN THIELEMANN

Wenn man so will, dann bin ich Wolfgang Wagners letzte Neuerwerbung. Da gab es so etwas wie eine väterlich-großzügige Fürsorge in seinem Verhalten, der hatte mich ins Herz geschlossen. Wobei er nicht gut loben kann, das muss man wissen. Nach einer „Parsifal“-Generalprobe hat er mir einmal gesagt, dass er den ersten Akt spannend gefunden habe, und nach einem „Siegfried“ meinte er, das sei schön durchsichtig gewesen. Ich habe in Bayreuth bis jetzt 82 Aufführungen dirigiert – wenn er viermal etwas Positives gesagt hat, dann ist das viel.

Ich habe unglaublich viel von ihm gelernt. Wolfgang Wagners Kenntnis der Werke seines Großvaters ist phänomenal. Er wollte ja ursprünglich selber Dirigent werden, deshalb kann man mit ihm konkret aus der Partitur heraus sprechen, über einzelne Stellen, Übergänge, Tempofragen. Überhaupt dirigiere ich anders, seit ich auf dem Grünen Hügel arbeite, und das hat viel mit seiner Person zu tun. Die Genauigkeit, die er als Regisseur hatte, ist meines Erachtens zu wenig bemerkt und honoriert worden. Man hat immer nur die Ästhetik seiner Aufführungen gesehen, das Bild, und nie, was er darin gemacht hat.

Wolfgang Wagner ist Künstler und Realist, Regisseur und Pfennigfuchser, ein genialer Handwerker, ein bedeutender Mann des Theaters. Und einer, der es immer ganz genau wissen wollte. Ich habe erlebt, dass er oben im Dirigentenzimmer persönlich nachgesehen hat, ob dort Toilettenpapier hing. Der war immer da und immer zu sprechen. Das Familiäre, das ist sein Geheimnis.

Christian Thielemann, 49, ist Generalmusikdirektor der Münchner Philharmoniker und dirigiert seit 2000 „Meistersinger“, „Parsifal“, „Tannhäuser“ sowie den aktuellen „Ring“ auf dem Grünen Hügel.

DANIEL BARENBOIM

Bei meiner ersten Begegnung mit Wolfgang Wagner habe ich kein Wort verstanden, er sprach ja Fränkisch. Wir saßen mit Patrice Chéreau in München im Hotel Vier Jahreszeiten, und es war wirklich ein Gespräch zwischen drei Tauben! Wir haben uns damals mit Französisch beholfen, und später habe ich dann auch besser Deutsch gelernt. Ich habe 18 Jahre lang auf dem Grünen Hügel dirigiert und habe dort wahnsinnig viel gelernt. Alles, was ich heute tue oder meine tun zu können, ist maßgeblich von dieser Zeit in Bayreuth beeinflusst. Das reicht vom musikalischen Detail bis hin zum Organisatorisch-Praktischen. Ich war damals ja ein Opern-Neuling. Und der Wolfgang hatte immer Zeit für mich. Er war der perfekte Intendant. Auch weil er das Schöpferische in jedem Regisseur verteidigt hat, ohne mit sich selbst in einen Konflikt zu geraten. Das hat mir unendlich imponiert. Denken Sie, wie verschieden die alle waren, Patrice, Götz Friedrich, Harry Kupfer, Heiner Müller . . .

Es gibt keinen Menschen auf dieser Erde, der die „Meistersinger“ intimer kennt als Wolfgang Wagner, und ich habe ja nur bei diesem Stück mit ihm zusammengearbeitet. Über die Umsetzung dieses Wissens ins Theatralische, darüber kann man wahrscheinlich streiten.

Was fehlen wird bei den Bayreuther Festspielen ohne Wolfgang Wagner? Na – Wolfgang Wagner!

Daniel Barenboim, 65, ist Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden und dirigierte von 1981 bis 1999 bei den Bayreuther Festspielen: „Tristan“, „Parsifal“, „Ring“ und „Meistersinger“.

JÜRGEN FLIMM

Er hat die Festspiele in der schwierigen Zeit nach dem Krieg konsolidiert, unter anderem mit dem schlauen Trick, dass die Sänger in Bayreuth nicht nach Namen, sondern nach Rollengröße bezahlt werden. So bekommt manch ein Star ein Sechstel dessen, was er sonst kriegt. Das könnte übrigens das Problem der Nachfolger werden. Außerdem hat Wolfgang den klugen Schritt getan, das Unternehmen in eine Stiftung zu überführen. Dass er sich in die Satzung als Intendant auf Lebenszeit hineinschreiben ließ, war allerdings kurios. Diesen Fehler hat ganz zuletzt selber korrigiert.

Der „Ring“ auf dem grünen Hügel ist schon rein dispositionell ein mörderisches Unternehmen: Man hat pro Oper nur vierzehn Probentage. Und dann versuchte Wolfgang im Verein mit Gudrun immer wieder, seine Sicht auf die Stücke des Opas durchzudrücken, von Konzeptionsbesprechungen bis in die Proben hinein. Davon können alle Kollegen ein Lied singen. Da waren die Grundsätze eines guten Intendanten, der den Regisseur unterstützt, außer Kraft gesetzt. In den späteren Jahren, als wir die Ruhe zur Korrektur, zur Ausarbeitung und Weiterentwicklung hatten, fand der Alte sogar lobende Worte. Eines meiner ungeschriebenen Bücher hieße „Meine Jahre mit Wolfgang“.

Jürgen Flimm, 67, ist Intendant der Salzburger Festspiele und inszenierte 2000 in Bayreuth den „Ring“.

NIKE WAGNER

Mein Onkel Wolfgang hat über Jahrzehnte – seit 1966, seit dem Tod seines Bruders Wieland – für die Bayreuther Festspiele sein Äußerstes getan. Er hat diese fragile Institution, die nur von den zehn Werken eines einzigen Komponisten lebt, zu einem mächtigen Unternehmen gemacht und dadurch die Anerkennung des Bundes mit Kanzlerin, des Freistaates Bayern, der Stadt Bayreuth mit wechselnden Oberbürgermeistern, eines assistierenden Stiftungsrates, privater Geldgeber und aller Wagnervereine dieser Welt gewonnen.

Das kann man nur bewundern.

Nike Wagner, 63, leitet das Kunstfest Weimar „pélérinages“. Seit 1991 bemüht sich die Nichte Wolfgang Wagners darum, in die Geschicke der Festspiele eingreifen zu dürfen. Bislang vergebens.

HANS-JÜRGEN SYBERBERG

Wolfgang Wagner. Nun der Letzte wohl. Einer untergehenden Familiengeschichte.

Erlebte ihn dreifach. Anlässlich der Winifred-Entstehung(„Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914 – 1975“). Er nahm den Film ab und war erleichtert, das hätte schlimmer werden können. Er erfand ein Nachwort. Sie las es, angehängt. Gottfried machte die Fotos. Nach der Presse dazu wollte er Änderungen. Das konnte nicht sein. Den Parsifalfilm in Bayreuth zum 100. Todestag Richard Wagners, die Deutschlandpremiere als Präsent (1982 vor der Bühnenaufführung) besuchte er nicht, als „das könne mir so passen mit ihm dabei“. Dann das passive und aktive Hausverbot total (Karten und Arbeit). Dafür ging ich nach Paris, dorthin, woher die Empfehlung für Bayreuth ursprünglich kam (vom ehemaligen Kultur-Minister und damaligen Leiter des Festivals d’Automne M.G., die Einladung nach Paris kam in Bayreuth vor dem Festspielhaus). Die Monologe entstanden, mit dem Abschied von RW gleich in „Die Nacht“ (1984/85). Dreimal also Wolfgang Wagner im Kampf für RW als Verlierer. Aber mit fränkischer Grandezza. Seine Figur wird uns fehlen.

Dies ist geschrieben von einem Ort, aus einem Haus, das es ohne „Die Nacht“ wohl nicht mehr gäbe und so auch nicht diese Gedanken von hier über Bayreuth mit einigem Abstand.

Hans-Jürgen Syberberg, 72, ist Regisseur und lebt in Nossendorf/Vorpommern. Er drehte Filme u.a. über Ludwig II., Karl May, Winifred Wagner und Adolf Hitler.

ELISABETH FURTWÄNGLER

Die Brüder Wieland und Wolfgang, haben uns Anfang der Fünfzigerjahre zweimal in der Schweiz besucht, weil sie wollten, dass der Furtwängler in Bayreuth wieder dirigiert. Sie waren beide, bei aller Unterschiedlichkeit, ausgesprochen nett, das kann ich nicht anders sagen, aber für Furtwängler kam dann eben nur Beethovens Neunte zur Wiedereröffnung der Festspiele 1951 in Frage. Die Mutter der beiden Jungs, Winifred, war nach dem Krieg ja eine sehr einsame Frau. Den Wolfgang habe ich seit damals als milden und bescheidenen Jüngling in Erinnerung. Seine eigenen Inszenierungen habe ich immer gemocht, die Stücke, die für Empörung sorgten und unter seiner Intendanz wohl auch stattfanden, habe ich meistenteils gar nicht gesehen. Für mich gilt: Bayreuth bleibt Bayreuth, das ist ein intakter Ort. Die Aura des Echten kann nichts und niemand wegnehmen, kein Familiengezänk und keine künstlerischen Skandale.

Elisabeth Furtwängler, 97, ist die Witwe von Wilhelm Furtwängler und besucht die Bayreuther Festspiele seit 1943.

Aufgezeichnet von Christine Lemke-Matwey und Rüdiger Schaper.

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