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© ddp

Bayreuther Festspiele: Wie weiter mit dem Wahn?

Vom Mythos zur Demokratie: Die Bayreuther Festspiele starten in die Zukunft. Dass es 30 Jahre dauern sollte, bis sie ihren Vater beerbt und tatsächlich dort steht, wo er immer gestanden hat, hätte sich Katharina Wagner wohl nie träumen lassen.

Wenn Eva Wagner-Pasquier am Samstagnachmittag auf dem roten Teppich steht und Hände schüttelt, dann wird sie das zweite lange Kleid ihres Lebens tragen. Das erste hatte ihr vor Jahrzehnten ihr Vater Wolfgang geschenkt: in Rosa, ganz wie es sich für eine Kronprinzessin und Wunschmaid gehört. Dass es 30 Jahre dauern sollte, bis sie ihren Vater beerbt und tatsächlich dort steht, wo er immer gestanden hat, hätte sie sich wohl nie träumen lassen. Das zweite Kleid soll nun farblich mehr in Richtung Obst und Gemüse tendieren, also Aubergine oder Brombeere. Eine Bekräftigung, im wahrsten Wortsinn. Eva Wagner-Pasquier ist 64 Jahre alt und muss sich nicht mehr beweisen. Eigentlich.

Fragen an die Zukunft der Festspiele und wohin sie sich bewegen: Die so unterschiedlichen Biografien der beiden neuen Bayreuther Chefinnen markieren hier nur einen neuralgischen Punkt. Katharina ist 31 und unter den Fittichen ihres Vaters und dem Regiment ihrer Mutter Gudrun auf dem Grünen Hügel groß geworden. Ihr Erbe stand immer fest. In exakt demselben Alter wurde Eva, Tochter Wolfgangs aus erster Ehe, einst vom Hügel gejagt – ein Lebenstrauma, dem sie in London, Paris, Houston, Paris, Madrid und Aix-en-Provence zu entfliehen suchte. Katharina, Regisseurin von Beruf, hat sich mit ihren raubauzigen Inszenierungen zumindest unter Wagnerianern den Ruf einer jungen Wilden erworben. Eva hingegen, die Kulturmanagerin, wusste zuletzt mit ihren Wagner-Besetzungen für Simon Rattles „Ring“ in Aix nur mäßig zu überzeugen.

Die ältere Halbschwester dürfte stärker unter Beobachtung stehen als die jüngere

Projiziert man beides auf Bayreuth, sieht es düster aus. Gewiss: Auch Wolfgang Wagner war kein genialer Regisseur und hat trotzdem inszeniert. Die Frage der Sängerbesetzung aber ist heikel, insofern dürfte die ältere Halbschwester stärker unter Beobachtung stehen als die jüngere. Wollen die Festspiele bei der Wagnerpflege tatsächlich wieder die Nase vorn haben, dann muss in Bayreuth deutlich besser gesungen werden als im stetig größer werdenden Rest der Wagnerwelt. Nicht nur laut, sondern textverständlich vor allem und stilistisch sauber, mit Stimmen, die nicht per se am eigenen Limit herumlavieren.

Bedenkt man, dass das dramatische Fach auf dem Sängermarkt ohnehin Mangelware ist, kann einem angst und bange werden. Eine Art Wagner-Internat müsste her, in dem junge Stimmen in Ruhe und ohne Anfechtungen gedeihen können. Ein Kontrapunkt zum Betrieb müsste gesetzt werden, eine Umkehr eingeleitet. Sonst haben die Bayreuther Festspiele keine Chance. Es ist eine Illusion, zu glauben, die Musik passe sich chamäleongleich an jede Zeit und alle Bedingungen an, ohne an Qualität, an Substanz zu verlieren. Die Gründung der Festspiele durch Richard Wagner 1876 war nicht zuletzt ein Akt des Sich-Herauskatapultierens aus den Zwängen der gemeinen künstlerischen Schlamperei. Diesen „Urknall“ dürfen die Verantwortlichen nicht aus den Augen verlieren.

Das Ansehnen der Festspiele scheint in der Branche gesunken zu sein

Dass ein Jonas Kaufmann 2010 auf dem Grünen Hügel den Lohengrin singt, macht da wenig Hoffnung. Der deutsche Tenor ist, wie bei seinem Lohengrin-Debüt in München Anfang Juli zu hören war, auf einem guten Weg zu dieser Partie. Aber muss es ein Jahr später schon Bayreuth sein? Einerseits zeigen sich hierin Gier und Größenwahn des Markts; andererseits scheint der Wert, das Ansehen der Festspiele in der Branche beträchtlich gesunken zu sein.

Hier singt man heute Wagner, wie man es früher vielleicht in Stuttgart (Wieland Wagners „Winter-Bayreuth“) oder Dresden getan hat. Und wenn Eva Wagner- Pasquier der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ anvertraut, dass Anna Netrebo „alles“ könne und man ihrer Elsa in Bayreuth jedes nur erdenkliche Feld bereiten würde, dann schlägt das dem Fass vorsorglich den Boden aus. Für eine tragfähige Festspiel- Zukunft reicht es nicht, dem Grünen Hügel ein paar falsche Glamour-Lichter aufzustecken.

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Schwestern: Katharina Wagner (r.), 31, eröffnet am Samstag ihre erste Saison. Eva Wagner-Pasquier, 64, steht ihr zur Seite. -

© Enrico Nawrath/Festspiele

Überhaupt: Wo bleibt der Geist? Nach außen hin besteht sicher nicht der geringste Anlass, dass Eva und Katharina vor Nike Wagner, ihrer ewigen Kusine (und gescheiterten Konkurrentin im Nachfolge-Rennen von 2008), zu Kreuze kriechen. Wenn sie klug sind, tun sie es trotzdem. Nikes Idee von einer „Bayreuther Dramaturgie“ mag vielen als spröde und allzu dialektisch-aufgeklärt in den Ohren läuten. Eine Leitlinie, an der entlang sich in den „Koloss Wagner“ jenseits aller szenischen Interpretationen hineinhören ließe, böte sie allemal. Nicht jedes anberaumte Symposium muss ja automatisch zur Wagner’schen Selbstentleibung führen.

Blickt man in die Spielpläne bis ins Jahr 2015, so lesen sich diese alles andere als schlecht. Die Wagner-Frischlinge Sebastian Baumgarten („Tannhäuser“, 2011) und Sebastian Nübling („Holländer“, 2012) geben ihre Hügel-Debüts, Hans Neuenfels wird endlich zu Gast sein („Lohengrin“, 2010), und durchweg interessante Dirigenten wie Andris Nelsons, Thomas Hengelbrock und Kirill Petrenko (mit dem „Ring“ im Wagner Jahr 2013) erhalten die Chance, neben dem bislang konkurrenzlosen Graben-Star Christian Thielemann zu leuchten. Für 2015 dann, ihrem vorläufig letzten Jahr in der Festspielleitung, hat Katharina Wagner mit „Tristan und Isolde“ ihre nächste eigene Festspiel-Inszenierung angesetzt.

Können wirklich bis in alle Ewigkeit dieselben zehn Werke gespielt werden?

Eine Rückkehr also, wenigstens auf dem Papier, zu jüngeren Dirigenten: Eine Tradition, die schon Wieland Wagner Anfang der fünfziger Jahre mit André Cluytens, Joseph Keilberth oder Herbert von Karajan zu begründen suchte. Und eine Rückbesinnung auf gelernte Regisseure. Nach den letzten beiden Quereinsteiger- Flopps mit Lars von Trier und Tankred Dorst hat man dazu gelernt. Aber sind Profis allein des Zukunftsrätsels ganze Lösung?

Natürlich wird es im Musiktheater immer wieder Feuerköpfe geben, die aus dem Wagner’schen Œuvre Funken schlagen. Aber können auf dem Grünen Hügel wirklich bis in alle Ewigkeit dieselben zehn Werke gespielt werden? Sind diese armen Partituren nicht längst erschöpft, ausgepumpt? Nikes Dramaturgie übrigens sah als gelegentliche Ergänzung das Wagner’sche Jugendwerk vor, also „Die Feen“, „Das Liebesverbot“ und „Rienzi“. Das könnte ein Anfang sein, ebenso die Hörproben mit Musik anderer Komponisten, die Katharina Wagner vor ihrer Wahl an der Seite Thielemanns in Aussicht stellte. Auch das wäre garantiert aufschlussreich, nur wird davon schon verdächtig lange nicht mehr gesprochen.

So preiswert  wie unter Wolfgang Wagner werden die Festspiele nie wieder sein

Nun schreibt die Bayreuther Stiftungssatzung diesen Kanon natürlich fest. Gerne wird behauptet, es wäre ein juristisches Sakrileg, daran etwas zu ändern. Was alles geändert werden kann, um die Festspiele auf neue Füße zu stellen, juristisch, politisch, verwaltungstechnisch, organisatorisch, ist kurz vor Eröffnung der Festspiele gut zu beobachten (und wird die Zuständigen noch die nächsten zwei, drei Jahre im Schweiße ihres Angesichts beschäftigen). Die Forderung der Gewerkschaft Verdi nach einem Tarifvertrag für das nichtkünstlerische Personal ist nur die Spitze jenes Eisberges, den manche schon lange haben treiben sehen. So preiswert und flexibel wie unter Wolfgang Wagner, pflegt der Stiftungsratsvorsitzende Toni Schmid zu sagen, werden die Bayreuther Festspiele nie wieder sein.

Als der „Alte“ vergangenen Sommer aus allen Ämtern schied, trat er seine Stiftungsanteile an vier Gesellschafter ab, die zugleich als Hauptgeldgeber fungieren: der Bund, der Freistaat Bayern, die Stadt Bayreuth und die Gesellschaft der Freunde. Seit dem 1. September 2008 sind die Bayreuther Festspiele kein staatlich subventioniertes Familienunternehmen mehr – 5,5 Millionen Euro pro Jahr bei einem Gesamtetat von derzeit 14,7 Millionen –, sondern ein Staatsbetrieb mit dynastischem Etikett. Das bringt zweifellos mehr Transparenz und Kontrolle, birgt aber auch Gefahren.

Wie viel Demokratie vertragen die Bayreuther Festspiele? An dieser Frage scheint sich die Zukunft vorläufig mehr zu entscheiden als an fehlgeleiteten Sängern oder aufmüpfigen Regisseuren. Der Neubeginn 2009 markiert somit allenfalls einen Übergang, eine Metamorphose.

Ein Gutteil des Mythos, der Aura und des Geheimnisses wird schwinden

Der mit knapper Not am frühen Donnerstagabend abgewendete Streik ist dafür nur ein Symptom. Die streitenden Parteien mögen sich schneller oder langsamer auf Löhne, Arbeitszeiten und rechtliche Details geeinigt haben – ohne die (noch ausstehende!) Zustimung des Verwaltungsrats der Festspiele, der Tarifkommission, des Bundes und des Landes Bayern läuft hier nichts. Man stelle sich einmal praktisch vor, ein strittiger Betrag von 150 000 Euro muss in München und Berlin bewilligt werden und landet auf den Schreibtischen zweier sommermüder Finanzbeamter. Wie soll man ihnen erklären, dass die Bühnenarbeiter zwar mehr Geld bekommen, die Choristen aber (noch) nicht – und dass nicht automatisch mehr Geld in die Kassen sprudeln kann? Fazit: Es dauert. Die öffentlichen Mühlen mahlen langsam und gerne an den Bedürfnissen der Kunst vorbei.

Dies alles dürfte sich über kurz oder lang einrenken. Die Kosten dürften steigen, die Kartenpreise auch, die beiden traditionellen Gewerkschaftsvorstellungen (mit denen Wolfgang Wagner sich vor Zugriffen schützte) werden abgeschafft. Mit der Willkür aber und dem absolutistischen Größenwahn, von dem die Bayreuther Festspiele bislang zehrten, wird auch ein Gutteil des Mythos, der Aura und des Geheimnisses schwinden. So gesehen hat die soziale Verträglichkeit, die niemand ernsthaft in Zweifel zieht, einen hohen Preis. Mit Geld allein jedenfalls ist Bayreuths verlorene Ehre nicht zu bezahlen.

Christine Lemke-Matwey

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