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Junge Menschen im Treptower Park, Berlin.

© imago

Be smarter, Germany: Wie ein US-Rückkehrer den Umgang mit Covid-19 erlebt

Unser Autor lebt nach zwei Jahren USA wieder in Deutschland. Sein Eindruck: Das Land wiegt sich in Scheinsicherheit. Die Kolumne Spiegelstrich.

Klaus Brinkbäumer war zuletzt Chefredakteur des „Spiegel“. Das Buch „Im Wahn – die amerikanische Katastrophe“ von Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby erschien am 28. 9., eine gleichnamige Doku sendet das Erste am 26. 10.

In Deutschland gibt es Krabbensalat, in den USA Lobster Rolls. In Deutschland haben wir das Millerntor (dürfen aber nicht hinein), in New York steht der Madison Square Garden (dito). Deutschland hat Elbstrand und Tiergarten (am Donnerstag habe ich ihn durchwandert, beglückt wie immer, wenn ich dann das Brandenburger Tor sehe, hindurchgehe, drüben bin, wo seit 30 Jahren ebenso Heimat ist), und ich hab’s nicht vergessen: Es gibt Ostsee, Alpen, gleichfalls vermisst.

Die USA haben eine Pazifik- und eine Atlantikküste und dazwischen Yosemite, Grand Canyon, White Mountains; die USA sind halt 30-mal so groß und hundertmal so weit wie Deutschland.

Hier haben wir Ampeln und bleiben stehen, wenn es rot leuchtet. „Denken Sie an die Kinder!“, höre ich, geschimpft. In Manhattan rennt jemand meinen Sohn um, sobald wir bei Rot nicht gehen.

Die digitale Suche nach der Apokalypse hat in den USA einen eigenen Namen

In Deutschland: kein Stress im Café, nach dem Essen darf ich sinnfrei herumsitzen. In den USA: Komplimente auf der Straße, schon reden wir, erzählen einander unsere Leben. Deutschland berichtet aus der Welt, die USA reden über die USA und über Trump. „Doomscrolling“ ist ein Wort der amerikanischen Gegenwart, es meint die digitale Suche nach der Apokalypse.

Mundnasenbedeckung“ ist mein deutsches Wort der ersten Woche (die Amerikaner sprechen von „mask“, der Maske, und hätten eine in den Terminus integrierte Gebrauchsanweisung sehr viel nötiger).

Obwohl ... hätten sie? Stimmt das noch? Wie eigentlich können wir derart fahrlässig sein, wir Deutschen? Glauben wir wirklich, dass die fensterlosen Hinterzimmer unserer engsten und ältesten Restaurants Belüftungssysteme mit Filtern haben, die alle Aerosole wegsaugen?

Wieso tragen wir Masken „auf Laufwegen“, wie wir’s definieren, aber nicht sitzend? Weil redende, hüstelnde Nachbarn im Konzertsaal schon okay sind, da sie ja sitzen, während entgegenkommende Hüstelnde eine Gefahr darstellen?

Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.
Tagesspiegel-Kolumnist Klaus Brinkbäumer.

© Tobias Everke

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Die USA scheitern an Covid-19, da sich zwei Hälften des polarisierten Landes nicht auf eine Wirklichkeit und darum nicht auf eine Strategie einigen können. (New York, Epizentrum der ersten Wochen, ist seit Monaten entschlossen, solidarisch, erfolgreich, New York trägt Maske, hält Abstand, lebt das öffentliche Leben draußen.)

Deutschland wirkte in meinen ersten sieben Tagen regelverliebt und inkonsequent. Die Maske ist Alibi-Accessoire, wenn wir sie permanent ab- und aufsetzen; wenn wir in geschlossenen, schmalen Räumen zusammen essen und uns ebenso permanent an Mund und Augen fassen.

Ein Land in selbstgewisser Scheinsicherheit, so wirkt es: Weil Deutschland zu Beginn der Pandemie schlau und effektiv war, weiß es womöglich nicht, fühlt es nicht, was andere Gesellschaften durchmachen – ein wenig so wie die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Kontaktdaten zu erfassen, ja, das ist schlau, stringenter als in den USA, aber es hilft erst hinterher. Um den Schaden einzugrenzen.

St. Pauli gab mir den Rest

Während meiner zwei Jahre in Amerika habe ich die Deutsche Bahn vermisst. Weil Amerikas Bahnhöfe verfallen. Weil’s rumpelt. Jetzt vermisse ich Amtrak, denn Amtrak lässt Nebenplätze frei; Züge, die zu einem Drittel gefüllt sind, sind für andere nicht mehr buchbar.

Digitale Reservierungen: funktionieren dort, hier nicht. Die Deutsche Bahn stopft sechs Fahrgäste ins Abteil, die Mundnasenbedeckungen wandern hinauf und hinab, der Deutsche zupft an sich herum, räuspert sich, muss hier und jetzt essen.

St. Pauli, Freitagnacht, Tausende eng an eng, keine Maske nirgendwo, gab mir den Rest. Ein zarter Rückkehrerratschlag: Be smarter, Germany.

Klaus Brinkbäumer

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