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Bekleidet. Vladimir Korneev ist einst als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen.

© Maxime Baqradze

Begegnung mit dem Sänger Vladimir Korneev: Meine Sprache ist die Liebe

Vladimir Korneev lässt die Herzen schmelzen wie kein anderer junger Chansonnier. Jetzt feiert er Premiere in der Bar jeder Vernunft.

Wie die in distinguiertes Schwarz und Grau gehüllte Gestalt hereinrauscht. Kinn hoch, Brust raus, das Lächeln gewinnend, der Händedruck warm. Alle Augen im Bistro schauen auf ihn. Auf den dunklen Prinzen der Melancholie. Kein Zweifel, Vladimir Korneev, der Sänger, der die Herzen zum Schmelzen bringt, wie in Deutschland derzeit kein zweiter junger Chansonnier, ist sich auch außerhalb der Bühne in jeder Sekunde seiner Erscheinung bewusst. Wie sich dann beim Gespräch im Wilmersdorfer Restaurant Mancini herausstellt, hält ihn das nicht davon ab, auch wahrhaftig zu sein. Korneev, der in Georgien geboren wurde und im Alter von sieben Jahren als Flüchtlingskind nach Deutschland kam, ist ein Charakter, den man im wahlweise ironischen oder coolen Showgeschäft fast schon für ausgestorben hielt: ein Mann, der beim Singen wie beim Reden das Herz auf der Zunge trägt.

Am heutigen Dienstag feiert sein neues Programm „Lieben“ in der Bar jeder Vernunft Premiere. Vor gerade mal zwei Jahren hat er dort unter dem schlichten Titel „Lieder“ debütiert. Die folgenden Gastspiele mauserten sich schnell zum ausverkauften Dauerbrenner. Schöner Mann, schöne Seele, schöne Stimme, schöne Schwermut – so das einhellige Urteil vieler Stimmen. Offenbar ist die Zeit wieder reif für einen Sänger, der seine Liedinterpretationen nicht mit Distanz imprägniert, sondern es genießt, knietief in Gefühlen zu waten.

Unbekleidet. Vladimir Korneev, Jahrgang 1987, stammt aus Georgien und lebt in Wien und Berlin.
Unbekleidet. Vladimir Korneev, Jahrgang 1987, stammt aus Georgien und lebt in Wien und Berlin.

© Mark Noorman

„Herz“, „Wenn ich fühl“ oder „Dein Lied“ heißen denn auch seine jüngsten, am Kunstlied orientierten Kompositionen, die Autor Carsten Golbeck für den in Wien und in Berlin lebenden Korneev betextet hat. Sie ergänzen den Liederabend aus französischen und deutschen Chansonklassikern, russischen Romanzen und chansonesk gecoverten Popsongs von Lady Gaga („Paparazzi“) und Abba („The Winner Takes It All“). Und weil es bei ihm immer um die Liebe und die Sehnsucht geht, darf man sich eigentlich nicht wundern, wenn man auf die harmlose Frage, was denn die eigentliche Sprache des deutsch, russisch, französisch und spanisch singenden Künstlers sei, diese verblüffend ernst gemeinte Antwort bekommt. „Meine Sprache ist die Liebe.“ Trotzig pariert er den stirnrunzelnden Blick des Gegenübers und setzt nach. „Ich sehe keinen Sinn darin, mit Menschen zu kommunizieren, ohne ihnen ein gutes Gefühl zu geben“.

Russische Volksweisen frisch und kraftvoll interpretiert

Das schließt selbstredend die Musik ein, die der 1987 geborene Korneev nach dem Gesangs- und Schauspielstudium an der Bayerischen Theaterakademie und verschiedenen Theater- und Musicalstationen seit 2014 als Solokünstler mit eigenen Programmen und Alben betreibt. Am Piano virtuos begleitet von Liviu Petcu, Kapellmeister am Gärtnerplatztheater in München. Er lässt Korneev, der einst selbst eine Pianistenkarriere anstrebte, auch im Programm „Lieben“ bei einigen Nummern an die Tasten. Korneevs Vorliebe für die Tonlage Moll harmoniert mit seiner zurückhaltenden Bühnenperformance. Am nächsten Tag, als Vladimir Korneev in der Bar jeder Vernunft für Fernsehkameras und Fotografen vorab ein paar Lieder aus dem neuen Programm singt, müssen sie ihn extra bitten, mehr mit den Armen zu gestikulieren. Der opernhafte gestische Furor ist seine Sache nicht.

Die große Geste schon. Und das nicht nur, weil der Schauspieler Korneev Gründonnerstag im jüngsten Donna-Leon- Krimi in der Rolle eines von Fans umkreischten Startenors in der ARD zu sehen war. Seinen voluminösen Bariton setzt er durch Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme farbenreich und theatralisch ein. Dreimal hat er am Bundeswettbewerb Gesang teilgenommen, jedes Mal ist er prämiert worden. Wegen der Stimme, aber auch wegen seines Muts, heillos verschlissene Nummern wie Jacques Brels „Amsterdam“ oder die in Deutschland sonst nur von gefürchteten Don Kosaken-Chören dargebotenen russischen Volksweisen „Schwarze Augen“ und „Kalinka“ frisch und kraftvoll zu interpretieren.

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„Ein Chanson ist die ganze Welt in drei Minuten“, sagt Vladimir Korneev. Eine Haltung, die ihn ungeeignet für eine Ensemblekarriere im Musiktheater macht. „Wenn ich am Abend 20 Lieder singe, sind das 20 verschiedene Theaterstücke, das ist viel spannender als nur bei einem mitspielen.“ Und weil er sich beim Singen so nackt wie in der Liebe mache, habe er sich auch für das Werbeplakat von „Lieben“ textilfrei und mit roten, teils striemenartig verschmierten Kussmündern bedeckt fotografieren lassen. Ein „Pin up in Moll“, nennt er das ob des waidwunden Blicks.

Für pathetisch hält er diese Attitüde nicht. „Das Wort kenne ich gar nicht“, schüttelt er den Kopf. Seine große Geste sei es vielmehr, keine aufgesetzte Bühnenfigur darzustellen. „Ich stehe da mit meinem ganzen Leben, mit allem, was ich durchgemacht habe.“ Gemeint sind seine Erlebnisse in den neunziger Jahren, als der Krieg zwischen Georgien und Abchasien auch ihn samt der in der Nähe von Tiflis lebenden Familie erreicht. Der Vater ist Offizier in der russischen Armee, hat aber nach zwei Afghanistan-Einsätzen die Nase vom Töten voll und will vor allem nicht seine georgischen Landsleute bekämpfen. Also flieht die Familie nach Deutschland und fängt noch mal von vorne an. Sprachlos, mittellos, in einem Asylantenheim in Augsburg. Ehrgeizig um Integration bemüht, erinnert nach einigen Jahren nur noch das Stottern von Vladimir Korneev an die harten Anfänge im fremden Land. Der Gymnasiast und Klavierschüler überwindet es mit 17, als er beginnt, in einem Jugendtheater mitzuspielen.

Aus jedem Mist etwas Gutes machen

Sich als Künstler nur auf der Bühne so richtig zu Hause zu fühlen, ist ein Klischee gewordener Satz. Wenn Korneev ihn ausspricht, hört er sich echt an. So lauter wie die deutsche Berufswahl seines Vaters: Altenpfleger. Die Lieder der russischen Chansongrößen Alla Pugacheva und Vladimir Vyssotzky haben ihn ebenso geprägt wie das Vorbild seiner Eltern, aus jedem Mist etwas Gutes zu machen. Ihr Ratschlag: „Hinfallen, Krone richten, wieder aufsetzen und weitergehen.“

Den wendet er auch anderntags beim Pressetermin im Spiegelzelt an. Er trägt ein prächtiges, rot gemustertes Sakko, das seine Nervosität nicht verhehlen kann. Die erste Version von Theo Mackebens „Nur nicht aus Liebe weinen“ missfällt ihm prompt. „Bitte noch mal, wir machen alles eine Terz höher“, sagt er zum Pianisten Liviu Petcu. Als der sich beim eiligen Transponieren verspielt, ist die dritte Version dran. Voll durchsingen sei ja gar nicht nötig, merkt eine weniger am perfekten Ton als am guten Bild interessierte Fotografin an. Da ist sie bei Vladimir Korneev an den Falschen geraten. Er hat die Krone schon wieder auf und die passende Antwort parat. „Ich singe immer voll durch!“

Bar jeder Vernunft, 17. bis 29. April, 20 Uhr, sonntags um 19 Uhr

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