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Begegnungen mit Schlingensief (3): Das platschende Ende einer Ära

Am Sonnabend starb der Regisseur Christoph Schlingensief. Seine Arbeit hat begeistert, aufgewühlt – und verstört. Erinnerungen an einen großen Künstler. Tagesspiegel-Redakteur Christian Schröder ging im Wolfgangsee mit ihm baden.

Das Wasser war flaschengrün und, wenn ich mich richtig erinnere, angenehm kühl. Ich bin damals mit hinausgeschwommen in den Wolfgangsee, allerdings in gebührendem Abstand zu Christoph Schlingensief und seiner Entourage, die von Motorbooten mit Kamerateams umkreist wurde. Auch Martin Wuttke war mit im Wasser, Elfriede Jelinek hatte zwei Gummi-Enten geschickt. Sich raushalten, Distanz wahren, diese Reportertugenden wurden im Fall Schlingensief immer schnell über den Haufen geworfen. Sein Theater kannte keine vierte Wand, wer über diese seltsamen Inszenierungen berichten wollte, stand selbst mit im Bild. Der Hysterie, die von Schlingensief ausging, konnte man sich nur schwer entziehen. An diesem sehr heißen Septembernachmittag des Jahres 1998 sind nur drei, vier dutzend Leute miteinander baden gegangen. Aber sogar die „Tagesthemen“ haben darüber berichtet. Nur Helmut Kohl hat natürlich nicht hingeguckt.

Mit Schlingensief und seiner Truppe brach damals das Chaos über die Butzenscheiben-Beschaulichkeit des 3000-Einwohner-Städtchens St. Gilgen herein, wo in den 30 Jahren, die Dr. Kohl dort schon Urlaub machte, die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Schlingensief hatte die Anti-Partei „Chance 2000“ gegründet, er wollte sechs Millionen deutsche Arbeitslose „wieder sichtbar machen“, indem sie alle in den Wolfgangsee springen sollten. Es wäre das platschende Schlusssignal der Ära Kohl gewesen, des Kanzlers, gegen den Schlingensief anagitierte, seitdem er in einem Theater-Happening die gerichtsnotorische Parole „Tötet Helmut Kohl“ skandiert hatte. Der dadaistische Nonsens des Vorhabens wurde von den Österreichern verkannt. Die Zeitungen wetterten gegen den „unwillkommenen Deutschen, der sich Regisseur nennt“, die Salzburger Festspiele luden ihn wieder aus, und in St. Gilgen konnte Schlingensief nach einer Morddrohung nur unter Polizeischutz auftreten.

„Wähle Dich selbst“, lautete ein Slogan der Schlingensief-Partei. Jeder ist sein eigener Spitzenkandidat, Anführer sind überflüssig. So waren das Schönste an dieser Zeit im Salzkammergut die anderthalb Tage, die wir auf Schlingensief warteten. Wir, das war ein bunt gewürfelter Haufen aus „Chance 2000“-Aktivisten, Journalisten und Event-Schlachtenbummlern, von denen einige gleich anschließend zu einem „Orgien-Mysterien-Theater“ des Aktionskünstlers Hermann Nitsch weiterreisen wollten. Wir waren im „Batzenhäusl“ am Ortsrand untergebracht, dösten in der Sonne, fuhren mit der Seilbahn hoch zum „Zwölferhorn“ (1522 m). Als Schlingensief kam, sagte er: „Man muss seine Eigenverantwortung spüren, deshalb gehe ich jetzt schwimmen.“ Es waren schnelle, gleichmäßige Schwimmzüge, mit denen er sich durchs Wasser bewegte. Ich sehe ihn noch vor mir, ein dunkler Punkt vor dem azurblauen Himmel, der kleiner und kleiner wird. Christian Schröder

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