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Kultur: Bei den Top Cops

Michael Jürgs hat ein Buch über das BKA, Europol und Scotland Yard geschrieben

Von Frank Jansen

Es gibt Themen, die sogar Journalisten lieber meiden. Nur wenige befassen sich mit einer der widerwärtigsten Erscheinungsformen der Kriminalität: der sexuellen Gewalt gegen Kinder. Dabei gibt es reichlich Anlässe, die Abgründe der Kinderpornografie auszuleuchten, erst recht im Zeitalter des Internets. Laut Unicef sind dort ungefähr vier Millionen Seiten mit kinderpornografischen Inhalten verfügbar, also mit Videos und Fotos vergewaltigter Babys, Kinder und Jugendlicher, mit Chatrooms pädophiler Erwachsener aus allen Schichten der Gesellschaft, die sich über Ländergrenzen hinaus vernetzen und in ihren kriminellen Aktivitäten bestärken. Der Umsatz mit Herstellung und Handel von Kinderpornografie soll geschätzt zwischen fünf und 18 Milliarden Dollar betragen, schreibt Michael Jürgs, ehemaliger Chefredakteur des „Stern“, in seinem neuen Buch. Er konfrontiert die Leser darin mit vielen weiteren Details zu diesem Thema.

Jürgs ist einer der großen Namen im deutschen Journalismus, deshalb sind die Erwartungen an ein Buch von ihm beachtlich, erst recht, wenn auf dem Cover in dicken blauen Buchstaben „BKA“ steht. Und etwas kleiner, „Europol“, „Scotland Yard“ sowie „Die Jäger des Bösen“. Packende Reportagen über Kriminelle und ihre Gegner in den Sicherheitsbehörden, insbesondere dem Bundeskriminalamt (BKA), würden nun auf 340 Seiten präsentiert, suggeriert der Titel. Es kommt dann allerdings etwas anders. In zwei der zehn Kapitel beschreibt Jürgs die Umtriebe von „Pädokriminellen“, in einem weiteren Kapitel steht ebenfalls das bis heute ungeklärte Schicksal eines Kindes im Mittelpunkt. Jürgs geht dem Fall des im Mai 2007 in Portugal verschwundenen englischen Mädchen Madeleine McCann nach, weltweit bekannt als „Maddie“. Diese drei Kapitel wühlen auf, Jürgs schildert mit viel Empathie, jenseits voyeuristischer Sensationslust, das schreckliche Leid, das Kindern angetan wird, bis hin zu der nur zu mutmaßenden und gerade auch deshalb unerträglichen, an der knapp vierjährigen Maddie verübten Gewalttat. Schwer verdauliche, beeindruckende Kriminalliteratur.

Die anderen Kapital sind eher eine Geschichte über Jürgs’ Recherche selbst. Er begibt sich vor allem auf einen Selbsterfahrungstrip zur „Festung BKA“, wie er die Behörde oft nennt. „Meine Ermittlungen beginnen auf der übernächsten Seite“, schreibt Jürgs am Ende des Prologs, und so geht es weiter. Jürgs tastet sich an die vielen Abkürzungen heran, die sich im Organigramm des Bundeskriminalamts finden, in pädagogischem Ton erklärt er sich und den Lesern die Strukturen des BKA. Er lobt kräftig und behauptet sogar, das BKA sei „technisch gesehen die beste Behörde der Welt“. Der Duktus ist hymnisch und Jürgs präsentiert die Kriminalbeamten ein wenig stereotyp als harte Kerle: „Euro-Fighter“ arbeiten bei Europol, beim BKA „Cyber Cops“ und beim Landeskriminalamt in München sind es „bayerische Top Cops“.

Das BKA scheint sich dem Publizisten in Teilen jedoch verweigert zu haben, obwohl Jürgs vehement für die von der Behörde gefordert Vorratsdatenspeicherung plädiert. Doch wie sonst ließe sich erklären, dass eines der seit zehn Jahren zentralen Themen des BKA, die Bekämpfung des islamistischen Terrors, im Buch nur gestreift wird? So hinterlässt die Lektüre einen ambivalenten Eindruck. Es ist Jürgs’ Verdienst, die ungeheuerliche Dimension der sexuellen Gewalt gegen Kinder kenntlich gemacht zu haben, außerdem überrascht er mit der Geschichte über eine deutsche Geografin, die bei Scotland Yard arbeitet, ohne je bei der Polizei in der Bundesrepublik gewesen zu sein. Doch der Titel „BKA“ bedient die Erwartungen der Leser nur bedingt. Ein Reportagebuch von Michael Jürgs speziell über Kinderpornografie – das wäre eine Großtat. Es kommt hoffentlich noch.









— Michael Jürgs:
BKA, Europol, Scotland Yard. Die Jäger des Bösen. C. Bertelsmann, München 2011. 352 Seiten, 19,99 Euro.

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