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Kultur: Beim Streit um die Berliner Finanznöte hilft ein Blick nach Wien

"Kultur ist Ländersache" lautet im Streit um Struktur und Finanzen der Hauptstadtkultur ein lange als ehern geltender Grundsatz. Bei strikter Anwendung dürfte es auch einen "Staatsminister im Kanzleramt für die Angelegenheit der Kultur und der Medien" gar nicht geben.

"Kultur ist Ländersache" lautet im Streit um Struktur und Finanzen der Hauptstadtkultur ein lange als ehern geltender Grundsatz. Bei strikter Anwendung dürfte es auch einen "Staatsminister im Kanzleramt für die Angelegenheit der Kultur und der Medien" gar nicht geben. Dabei nimmt dieser Minister nicht einmal alle Kulturkompetenzen des Bundes wahr - nicht die der Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes oder Teile des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Wäre Kultur nur Ländersache, dürfte es auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht geben. Deren Aufgabe ist es, die ihr übertragenen preußischen Kulturgüter "für das deutsche Volk zu bewahren". Träger der Stiftung sind alle deutschen Länder und der Bund. Wie hier die Gewichte liegen, zeigt die Stimmenverteilung: Der Bund hat 120 Stimmen, die Länder 80, davon 23 Berlin als ehemalige Hauptstadt Preußens.

Ein wirklich wichtiger, verpflichtender und berechtigender Grundsatz des deutschen Föderalismus, der Grundsatz der Bundestreue, war jahrzehntelang die verfassungsrechtliche Basis für das Gesetz über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes. Darin verpflichtete sich der Bund, Berlin finanziell einschließlich seiner ruhenden Hauptstadtfunktion zu unterstützen. Ohne dieses Gesetz wäre wohl West-Berlin im Kalten Krieg nicht gehalten worden. Sicher aber wäre die vielfältige Theater-, Musik- und Museumslandschaft nicht bewahrt und ausgebaut worden. Gleichfalls auf- und ausgebaut wurde auch das kulturelle Gegenbild, das in der damaligen Hauptstadt der DDR entstanden ist. Und selbst die provisorische Hauptstadt Bonn erhielt zur kulturellen Selbstdarstellung der alten Bundesrepublik Beträge, die höher waren als die 100 Millionen, die jetzt im Bundeshaushalt für spezielle Berliner Kultureinrichtungen vorgesehen sind. Nach der Wiedervereinigung haben die Leistungen des Bundes für die Sicherung der Kultur in den neuen Ländern und der große Anteil von den 2,71 Milliarden Mark, die der Region Bonn im Zuge des Berlin-Bonn-Gesetzes für den Auf- und Ausbau von Forschungseinrichtungen zugesagt worden sind, die Kompetenzen des Bundes gegenüber der Kulturhoheit der Länder ausgeweitet.

Nicht zuletzt hat sich der Bund im Berlin-Bonn-Gesetz verpflichtet hat, das Land Berlin "bei den ihm vom Bund zur Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Repräsentation" durch den Hauptstadtvertrag übertragenen besonderen Aufgaben zu unterstützen. Auch die nichtkulturellen Teile dieser Aufgaben, etwa hauptstadtbezogene Sonderbelastungen der Polizei, berühren klassische Länderkompetenzen. Es passt ins Bild, dass Bund und Land von einer Einigung über die Fortschreibung der nicht kulturbezogenen Sonderbelastungen im Hauptstadtvertrag ziemlich weit entfernt sind.

Zu den Unerquicklichkeiten des Streits zwischen Bund und Ländern über die Hauptstadtkultur zählt, dass verfassungsrechtliche Argumente vorgeschoben werden, um besondere Kontroll- und Finanzoptionen zu stützen. Der Eindruck entsteht, als wolle der Bund maximale Mitsprache bei minimalem Finanzeinsatz und als wolle Berlin maximale Finanzzuweisungen unter Beibehaltung alleiniger Verteilungskompetenz. Beides kann es nicht geben, schon gar nicht unter Berufung auf verfassungsrechtliche Vorgaben. Das Beispiel der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt, dass trotz heiklerer Ausgangslage - es geht um bundesweit in den Ländern verstreute Kulturgüter des untergegangenen Staates Preußen - von allen Ländern und dem Bund gemeinsam ein tragfähiges Gesamtkonzept durchgesetzt werden kann. Immerhin so erfolgreich, dass der Siegelbewahrer des Föderalismus, das Land Bayern, wenn auch mit wenig Geld und nur einer Stimme, der Preußen-Stiftung treu bleibt.

Ein Konzept für die Hauptstadtkultur kann nur erfolgreich erstellt werden, wenn die Ausgangslage offengelegt und analysiert wird, und zwar gemeinsam von Bund und Land Berlin. Gegenseitige Schuldzuweisungen sind unvermeidlich, aber letztlich fehl am Platze. Der jüngste Grundsatzbeschluss der Ministerpräsidenten der Länder zur Neugestaltung des Länderfinanzausgleichs zeigt, dass nach einer Phase des Jammerns die Sacharbeit beginnen muss.

Bei einem Gesamtkonzept ist zu beachten, dass zur Selbstdarstellung eines Staates nach innen und außen, ebenso wie seine Bauten, etwa der Reichstag mit seiner die Stadt überstrahlenden Kuppel, besonders wichtige kulturelle Einrichtungen der Hauptstadt gehören. Hauptstadtkultur ist stets eine gesamtstaatliche und damit auch Bundesangelegenheit. Sie ist eine öffentliche Aufgabe des Bundes und des Landes Berlin. Beide Parlamente, Bundestag und Abgeordnetenhaus, haben darüber zu debattieren und zu entscheiden. Gesteigert gilt dies für ein Land, das sich als Kulturstaat versteht, und dies gerade durch sein weltweit einzigartiges Theater- und Musikleben unter Beweis stellt.

Ein Blick auf eine Stadt, die wie Berlin, als ehemalige Hauptstadt einer untergegangenen europäischen Großmacht, als Stadtstaat und zugleich als Hauptstadt eines Bundesstaates existiert, ein Blick auf Wien also, sollte die Erstarrung lösen. Gemäß § 1 des österreichischen Bundestheaterorganisationsgesetzes sind "die Wiener Staatsoper, die Wiener Volksoper, das Burgtheater und das Akademietheater die repräsentativen Bühnen der Republik Österreich und spielen eine wesentliche Rolle innerhalb des österreichischen Kulturlebens. Diese Führungsrolle resultiert aus der Verfolgung ihres kulturpolitischen Auftrags". Auf die im zweiten Satz genannte Führungsrolle sollte man im Hinblick auf München, Stuttgart oder Hamburg besser verzichten. Aber eine Übernahme bestimmter Berliner "Leuchttürme" durch den Bund könnte und sollte nach einer Einigung mit dem Land Berlin erfolgen. Eine Bundeskulturstiftung für Berliner Institutionen von gesamtstaatlicher bedeutung wäre dabei Mischformen in gemeinsamer Trägerschaft vorzuziehen.Der Verfasser ist Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Berliner Humboldt-Universität.

Ulrich Battis

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