zum Hauptinhalt

Kultur: Bekehrter Teufel

Von Bernhard Schulz Unerwartet ruhig verlief gestern die Eröffnungspressekonferenz der Documenta 11. Die 100-tägige „Weltkunstschau“ von Kassel, die im fünfjährigen Turnus stattfindet, geriet über die vier Jahre ihrer Vorbereitung hinweg in den Verdacht unsinnlicher Theorielastigkeit.

Von Bernhard Schulz

Unerwartet ruhig verlief gestern die Eröffnungspressekonferenz der Documenta 11. Die 100-tägige „Weltkunstschau“ von Kassel, die im fünfjährigen Turnus stattfindet, geriet über die vier Jahre ihrer Vorbereitung hinweg in den Verdacht unsinnlicher Theorielastigkeit. Ihr künstlerischer Leiter, der seit zwei Jahrzehnten in New York lebende Nigerianer Okwui Enwezor, hatte sich bis vor kurzem zu den n der ausgewählten Künstler und ihrer - überwiegend eigens für Kassel geschaffenen - Arbeiten in vollständiges Schweigen gehüllt. Statt dessen ließ er die Kunstwelt bei vier, in verschiedenen Ländern abgehaltenen „Plattformen“ mit langatmigen Diskursen über Politik und Geschichte versorgen.

Gestern nun gab sich der in der Vergangenheit eher kämpferisch aufgetretene Enwezor überraschend defensiv. Als letzter ergriff er nach seinen sechs Ko-Kuratoren das Wort, um sich in geschliffener Rhetorik über die „Platitüden“, die eine verständnislose Journalie über ihn verbreitet habe, zu beklagen. Den Vorwurf, er halte Kunst für ein Werk des Teufels, konterte er elegant: „Der Teufel ist bekehrt worden".

Im Folgenden zog sich Enwezor allerdings auf seine bekannte Perspektive des Postkolonialismus zurück. Die These, dass es auch in den Künsten kein „Zentrum“ - schon gar nicht das des Westens - mehr gäbe, sondern dass die Welt von den tiefen Brüchen aus der Zeit während und nach dem Imperialismus gekennzeichnet sei, bildet dabei den Rahmen für die diesjährige Documenta. Es sei nicht das Ziel gewesen, eine reine Kunstausstellung zu organisieren. Enwezor sprach von einem „ethischen Bekenntnis“, das die vorangegangenen Diskussionen mit geformt hätten. Den von seinem südafrikanischen Kurator Sarat Maharaj zuvor verwendeten Begriff der „Wissensproduktion“ als Kennzeichen der Kunst des 21. Jahrhunderts, griff Enwezor auf, indem er seine Documenta nicht als eine Ausstellung zu Fragen der Ästhetik, sondern zur Verschränkung von Ästhetik und eben dieser Wissensproduktion charakterisierte.

In diesem Jahr verteilt sich die Documenta (die erstmals 1955 im damals noch kriegsbeschädigten Fridericianum abgehalten wurde) auf fünf, teils weit auseinanderliegende Örtlichkeiten: neben dem Fridericianum die Documenta-Halle, die Orangerie, den zum „Kulturbahnhof“ veredelten Hauptbahnhof sowie erstmalig einen ehemaligen Brauerei-Komplex am nordwestlichen Stadtrand. Für die 118 eingeladenen Künstler stehen insgesamt 13 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Anders als bei den Vorgängerveranstaltungen beschränkt sich die Auswahl nicht auf jüngere Künstler. Das Altersspektrum reicht von der 90-jährigen Luise Bourgeois und dem 1922 geborenen Leon Golub bis zu dem 1971 geborenen Chinesen Yang Fudon und dem noch zwei Jahre jüngeren Italiener Giuseppe Gabellone.

Wie erwartet, liegt ein Akzent auf afrikanischer Gegenwartskunst; die in den vergangenen Jahren im internationalen Kunstbetrieb stark beachteten Vertreter Asiens sind diesmal weniger prominent. Den kritischen Einwand, viele der ausgewählten nicht-westlichen Künstler lebten tatsächlich aber in den Metropolen New York oder Paris, begegnete Enwezor mit dem Verdikt, die These von den „angepassten“ Künstlern sei „Unfug".

Noch stärker als bei der vorangegangenen Documenta stehen diesmal Film und Video im Vordergrund. Ein erster Blick auf die künstlerischen Vorhaben unterstreicht, dass die Dokumentation der politischen Wirklichkeit, ob in Indien oder im Iran, zumindest gleichberechtigt neben Kunstwerken wie jenen von Hanne Darboven steht, die mit dem zentralen Treppenhaus des Fridericianums den prominentesten Platz zugesprochen erhielt.

Ko-Kuratorin Ute Meta Bauer aus Wien hielt tapfer die Fahne des Diskurses hoch: „Wir müssen davon abkommen, dass Theorie etwas unsinnliches ist - Kunst ist eine andere Form von Theorie". So gesehen, könnten sich die Vorab-Kritiker der Documenta 11 mit dem Ergebnis durchaus versöhnen. Für die dennoch Unzufriedenen hatte Kassels Oberbürgermeister Lewandowski gleich zu Anfang Trost bereit: Im Jahr 2007 werde es erneut eine Documenta in seiner Stadt geben. Für den Augenblick gilt erst einmal: ab nach Kassel!

Bis 15. September täglich 10 bis 20 Uhr, Eintritt 16 Euro, Katalog im Verlag Hatje Cantz, 55 Euro, Kurzführer 15 Euro. Weiteres unter www.documenta.de

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false