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Kultur: Berg ist der Gipfel

Geigenmarathon: Frank Peter Zimmermann lässt in Berlin die Musik der Dreißiger Revue passieren

Das Ambiente passt: Im 1931 nach Entwürfen von Hans Poelzig erbauten Berliner „Haus des Rundfunks“ an der Masurenallee probt Frank Peter Zimmermann für die erste Etappe eines geigerischen Großprojekts. Sechs Konzerte aus den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts spielt Zimmermann in den kommenden Wochen mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB), je zwei pro Abend. Die strenge Architektur des ältesten deutschen Rundfunkhauses mag ihn daran gemahnen, dass die 30er-Jahre als Katastrophenjahrzehnt im historischen Bewusstsein verankert sind. Ob man das der Musik anmerkt? „Bei Benjamin Britten spürt man die Bedrohungen der Zeit“, sagt der Violinist, „der spanische Bürgerkrieg spielt eine Rolle, und im Schlusssatz die Vorahnung des Weltkrieges“. Andere Konzerte, auch das von Paul Hindemith, scheinen dagegen ganz unberührt vom drohenden Unheil.

In seiner Kantigkeit, seinem Eigenwillen und seiner unbedingten künstlerischen Kompromisslosigkeit macht sich Zimmermann gut im hermetisch wirkenden RBB-Rundfunkgebäude. „In dieser Saison spiele ich nur diese sechs Konzerte“, sagt der gerade aus Japan zurückgekehrte Künstler. Mit anderen Stücken könnte er zweifellos mehr Engagements erhalten, doch der stets auf Unabhängigkeit bedachte Zimmermann wollte endlich eine Idee verwirklichen, die er schon lange mit sich trägt.

Aus dem nostalgischem Holzvertäfelungsambiente des großen Sendesaals geht es in den Keller ins Solistenzimmer, einem Ort, der in seiner Trostlosigkeit vermutlich bald der Käfighaltungsordnung zum Opfer fallen wird. Der etwas erschöpfte Geiger erholt sich schnell, beginnt von seinem Lieblingsprojekt zu erzählen: die Dreißiger geigerisch Revue passieren lassen. Als RSB-Chefdirigent Marek Janowski ihn aufforderte, mit ihm in Berlin etwas Aufsehenerregendes zu machen, sah er die Zeit für sein Projekt gekommen. Ob so ein Marathon nicht eine Überforderung ist? Die meisten der sechs Konzerte kennt Zimmermann seit seiner Jugend, sonst könnte er sie nicht in so rascher Folge nacheinander aufführen. „Das ist wie eine Sprache, die verlernt man nicht so schnell.“

Es sind sehr unterschiedliche Werke, die die Komponisten vor rund 70 Jahren für die Geige schrieben. Es war die große Zeit des Neoklassizismus. Strawinskys Konzert ist für Zimmermann das Antigeigenkonzert schlechthin, aber hochintelligent und mit Witz. Bartóks Zweites Violinkonzert dagegen ist eines der Prunkstücke der Gattung, daran kann er sich immer wieder mit Vergnügen die Zähne ausbeißen. Ob Prokofjew nicht doch etwas konventionell ist? „Vielleicht“, gibt Zimmermann zögernd zu, „er musste vorsichtig sein in der Sowjetunion zu dieser Zeit“. Brittens Konzert hält er für unterschätzt, er liebt es und ist überzeugt, dass das Publikum überrascht sein wird. Und Alban Berg? Zimmermann wird ernst: „Das ist ein großes Kunstwerk, schwer zugänglich für Spieler und Hörer, und doch auch reine Romantik. Mit der Violine hat das Stück wie manches von Bach oder Beethoven wenig zu tun, die kompositorische Idee, die Aussage steht im Vordergrund. Als Geiger muss man da seinen Weg suchen“. Berg und Bartók, das sind die Höhepunkte des Projekts. Mitreißend das eine, anrührend das andere. Schade, dass die ursprüngliche Idee, den Violinkonzerten Orchesterwerke der Dreißigerjahre gegenüberzustellen, aufgegeben wurde. Stattdessen gibt es Beethoven.

Auch zeitgenössische Komponisten ermutigt Zimmermann, für sein Instrument zu schreiben, gibt ihnen Aufträge. Aber es scheint schwierig, heute die Gattung Violinkonzert erfolgreich zu bedienen. Vielleicht wohnt ihr doch ein Ausdruck inne, der nicht so recht zeitgenössisch ist? Zimmermann zögert, rühmt die geigerischen Qualitäten des von ihm uraufgeführten Konzerts von Matthias Pintscher. Aber: „Der letzte große Wurf stammt von Ligeti“, stellt er fest. Die Geige versteht Frank Peter Zimmermann ganz altmodisch als Melodieinstrument. In den Dreißigerjahren war das noch selbstverständlich.

Frank Peter Zimmermann spielt heute Strawinsky und Bartók um 20 Uhr im Konzerthaus. Fortsetzung der Konzertreihe am 2. April sowie am 1. Mai.

Ulrich Pollmann

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