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Machtvakuum. Anti-Gaddafi-Kämpfer in einem zerstörten Konferenzzentrum im libyschen Sirte.

© REUTERS

Berichte aus 1001 Tag: Wie Autoren den Arabischen Frühling analysieren

Tunesien islamistisch, Gaddafi umgebracht – und schon erscheinen die ersten Bilanzen des Arabischen Frühlings. Die Autoren wählen dabei sehr unterschiedliche Schwerpunkte.

So wie sich die Ereignisse in der Arabischen Welt seit Jahresbeginn überschlagen haben, hetzt nun eine Buchneuerscheinung über die Region die andere. Das ist verständlich, denn die Volksaufstände in der so lange erstarrt wirkenden Region sind ein historischer Einschnitt – mal werden sie mit dem Fall des Ostblocks verglichen, mal mit der Revolution von 1848. Die meisten Werke sind hastig geschrieben, während die Ereignisse noch im Fluss sind. Herausgekommen ist eine Reihe von journalistischen Werken, die teilweise im Tagesrhythmus die Ereignisse seit der Selbstverbrennung des Tunesiers Mohammed Bouazizi im vergangenen Dezember nacherzählen.

So nennt der Korrespondent der „tageszeitung“ und des Österreichischen Fernsehens ORF, Karim El-Gawhary, sein Werk auch ehrlich „Tagebuch einer arabischen Revolution“. Darin sind auch die Twitter-Zeilen, die El-Gawhary gedichtet hat, abgedruckt, ebenso wie seine Facebook- und Blog-Einträge. Damit wird zwar größte Authentizität bewiesen, sie sind aber oft uninteressant und belanglos.

Der Abdruck dieser Texte, die für den elektronischen Sofortgebrauch gedacht sind, wirkt wie ein Anbiedern an die Arabischen Revolutionen, in denen diese neuen Kommunikationsmittel eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung gespielt haben. Spannend sind bei El-Gawhary jedoch die persönlichen Einschätzungen und Gefühle des Korrespondenten. Schließlich kennt er die ägyptische Gesellschaft von innen – berichtet seit 1991 aus der Region. Sein Staunen, seine Überraschung und seine Beschreibung des Gefühls der Glückseligkeit auf dem Kairoer Tahrir-Platz lassen den Leser teilhaben an den Emotionen, die sich dort ihre Bahn gebrochen haben.

Interessant ist das Buch des kenntnisreichen Korrespondenten der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ Rainer Herrmann über „Die Golfstaaten“, der in den Monarchien und Emiraten das neue Arabien sieht, das als Entwicklungsmodell seit Jahren auf die gesamte Region ausgestrahlt habe. Diese These ist allerdings gewagt: Sicher sind Dubai und seine Nachahmer Abu Dhabi und Katar faszinierende Konsumparadiese. Auch die wirtschaftliche Effizienz und unbürokratische Vorgehensweise können als Vorbilder gelten. Diese Länder haben vorgelebt, dass Globalisierung keine Gefahr, sondern eine Chance ist. Doch mit Meinungsfreiheit und Demokratie haben sich diese Staaten bisher nicht hervorgetan. Auch müssen sie sich kaum mit Unterentwicklung, Übermacht der Geschichte und Bevölkerungsexplosionen herumschlagen wie die Länder des Arabischen Frühlings. Aber dies tut dem Werk keinen Abbruch, das eine scharfsinnige Analyse der Entwicklung in den Golfstaaten ist, deren Unterschiede Herrmann herausarbeitet.

Ulrich Kienzle beschreibt in seinem Buch, wie populär der junge Revolutionär Muammar al Gadaffi in den ersten Jahren war. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Auch der frühere langjährige ARD-Korrespondent im Libanon und Kairo, Ulrich Kienzle, macht nun in Buchform unter dem Titel „Abschied von 1001 Nacht“ den „Versuch, die Araber zu verstehen“. Aufschlussreich ist daran, dass Kienzle, der in den 70er und 80er Jahren über die Region berichtet hat, die Vorgeschichten zu den aktuellen Ereignissen erzählen kann. So hat er die Brotunruhen 1977 in Ägypten begleitet, die sich im kollektiven Gedächtnis eingegraben haben und eine der ernsthaftesten Revolten gegen Ungerechtigkeit und Willkür in der Region waren, die damals noch brutal niedergeschlagen wurden.

Für westliche Zeitungsleser überraschend muten auch die Kapitel zu Libyen an, denn sie kennen Muammar al Gaddafi nur als den arabischen Diktator, der am längsten im Amt war. Kienzle dagegen beschreibt, wie populär der junge Revolutionär in den ersten Jahren war und welche Sozialreformen er anpackte. Besonderes Lesevergnügen bereiten die kritischen Beobachtungen über die Anfänge der deutschen Fernsehberichterstattung in der Region, wo Kollegen schon mal aus dem Heizungskeller eines Funkhauses in Deutschland berichteten – und vorgaben, sie befänden sich an Bord eines Öltankers in der Meeresenge von Hormus. Wie schön, dass sich auch bei uns die Dinge bewegt haben.

Wer es gerne etwas tiefschürfender hätte, ist bei Gudrun Krämer richtig aufgehoben, der Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Sie untersucht in ihrem Buch „Demokratie im Islam: Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt“, wie Muslime und muslimische Theologen seit Jahren über Demokratie, Toleranz und Menschenrechte debattieren. Das ist umso wichtiger, da der Islam auch in den neu zu schaffenden rechtsstaatlich-demokratischen Ordnungen ein wichtige Rolle spielen wird – die Frage ist nur, in welcher Form. Dabei macht Krämer auch die theologischen Hindernisse deutlich, die im Weg stehen, um beispielsweise die Gleichberechtigung aller Bürger oder die universelle Achtung der Menschenrechte durchzusetzen.

Schaut man sich die unzähligen Titel an, die sich in diesem Bücherherbst mit den arabischen Revolten beschäftigen, scheint das Interesse des westlichen Lesers ungebrochen. Das ist ein gutes Zeichen. Doch man darf schon jetzt auf die zweite Welle von Publikationen gespannt sein. Sie analysieren dann hoffentlich die Ereignisse, was im Rückblick leichter ist, und verfolgen die mühseligen Debatten, die jetzt, nach den Umbrüchen in Tunesien, Ägypten und Libyen, laufen und über welche die Medien ungleich weniger berichten.

Karim El-Gawhary: Tagebuch der arabischen Revolution. Kremayr & Scheriau, Wien 2011. 237 Seiten, 22 Euro.

Rainer Hermann: Die Golfstaaten. Wohin geht das neue Arabien? Deutscher Taschenbuchverlag, München 2011. 360 Seiten, 14,90 Euro.

Ulrich Kienzle: Abschied von 1001 Nacht. Mein Versuch, die Araber zu verstehen. Edition Sagas, Stuttgart 2011. 352 Seiten, 19,90 Euro.

Gudrun Krämer: Demokratie im Islam: Der Kampf für Freiheit und Toleranz in der arabischen Welt. Beck’sche Reihe, München 2011. 218 Seiten, 14,95 Euro.

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