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Eine Collage von Brandlhuber, Hertweck und Mayfried.

© Dialog City

Berlin Art Week: "Dialog City": Geistesblitze aus der Ablage

Eine Stadt, die anders aussehen sollte: Arno Brandlhuber hebt mit "The Dialog City" in der Berlinischen Galerie urbane Schätze und haucht alten Architekturmodellen Leben ein.

Ihr bester Fund bislang ist ein Modell von Rem Koolhaas. Eingereicht für den Wettbewerb um das Kranzler Eck, in dem sich bekanntermaßen ein Architekt aus Chicago durchgesetzt hat. Gewonnen hätten in den späten Neunzigern mit Koolhaas jedoch alle Berliner, weil sein Entwurf eine öffentliche Zone im Gebäude selbst vorsah – mit einer Laufbahn über den Dächern der Stadt.

Ob Arno Brandlhuber in den nächsten Wochen mehr solcher Schätze aus dem Archiv der Berlinischen Galerie heben wird, weiß niemand. Dafür kann jeder dabei sein, wenn die zwei für das Projekt „The Dialog City – Berlin wird Berlin“ abgestellten Archivare Modell für Modell auspacken und endlich katalogisieren. Was ab 1990 in die Architektursammlung des Hauses als Dokument jüngster Stadtgeschichte gewandert ist, war zu viel, um der Dinge bis heute Herr zu werden. Hunderte Kartons warten im Foyer der Berlinischen Galerie. Alles abgelehnte Kandidaten für eine Stadt, die anders aussehen könnte, wären jene Entwürfe durch die Jurys gekommen. Kosten, Praktikabilität, Wünsche des Investors: Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt, gibt es viele, und oft verpasst das visionärste, vielleicht beste Projekt deshalb den ersten Platz.

Im Archiv schlummert reichlich geistiges Kapital

„The Dialogic City“ ist Teil der großen Ausstellung „Stadt/Bild“, an der sich vier Institutionen beteiligen, um über die Zukunft von Metropolen nachzudenken. Berlin ist eine davon und Brandlhuber Realist genug, um den verpassten Chancen nicht nachzuweinen. Seine prozesshafte Ausstellung ist keine Geste der Melancholie. Vielmehr soll sie jene Energien freisetzen, die in den architektonischen Modellen eingeschlossen sind. Was sich Architekten wie Koolhaas in den vergangenen zwei Jahrzehnten an Gedanken über Bedürfnisse, Chancen oder Fehlentwicklungen einer wachsenden Stadt gemacht haben, ist mit der Ablehnung ja nicht überflüssig. Im Gegenteil: In diesem ungeordneten Archiv schlummert reichlich geistiges Kapital, das mit „The Dialogic City“ erneut in Umlauf gebracht werden soll.

Eine Idee, die zu Brandlhuber passt. Als Architekt fiel er zuletzt mit dem Umbau einer Industriehalle aus DDR-Zeiten nahe Potsdam auf. Vor allem für sein Recyceln: Statt den Betonbau abzureißen, hat er ihn als Rohbau für das neue Wohnhaus verwendet und damit akzeptiert, dass ihm das Vorhandene nicht bloß die „graue Energie“ des Materials zur Verfügung stellt – sondern auch Grenzen setzt.

Mit dem geordneten Material lässt sich arbeiten

Als Urbanismuskritiker verfolgt er eine ähnliche Strategie, wie sie nun in der mit dem Grafiker Thomas Mayfried und dem Architekten Florian Hertweck konzipierten Ausstellung sichtbar wird. Bis auf die Baumarktregale wurde ausschließlich Vorhandenes verwendet. Die ästhetische Komponente der Installation resultiert aus dem Arrangement von naturfarbenen Kartons und Aktenordnern. Vor den endlosen Regalreihen, an deren Ende die zwei Archivare an einem Tisch sitzen, um innerhalb von knapp sechzig Tagen rund 500 Modelle zu sichten, fühlt man sich in eine kafkaeske Situation versetzt.

Beseelt wird das Projekt dennoch von einem ganz pragmatischen Gedanken: Wenn das Material erst einmal geordnet ist, lässt sich damit wieder arbeiten. In einem nächsten Schritt könnte man die Energien, diese schlummernde Gedankenarbeit hoch motivierter Architekten, vielleicht noch einmal nutzen. Zur Einstimmung auf diesen künftigen Diskurs bietet die Schau einen Reader in silbernem Einband an, der sich an der Stirnwand des Raums wie ein Zerrspiegel stapelt. Wer ihn mitnimmt, beweist sein Interesse am Thema. Und zerstört zugleich die Ausstellung ...

Berlinische Galerie, Alte Jakobstr. 124–128, bis 21. 3.; Mo bis So 10–18 Uhr

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