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Kultur: "Berlin Babylon": Auf Montage

Noch wird es nicht eng am Himmel über Berlin. Nur unten, in Berlins funkelfrischer Mitte, schwinden in einem Irrsinnstempo die freien Flächen, als hätten die Hauptstädter nur ein Problem: die Konfrontation mit Geschichte durch unbebaute Flächen und kariöse Häuser.

Noch wird es nicht eng am Himmel über Berlin. Nur unten, in Berlins funkelfrischer Mitte, schwinden in einem Irrsinnstempo die freien Flächen, als hätten die Hauptstädter nur ein Problem: die Konfrontation mit Geschichte durch unbebaute Flächen und kariöse Häuser. Bauwut herrscht, und manch einer blickt melancholisch zurück. Hubertus Siegert zum Beispiel, ein gelernter Landschaftsplaner mit ausgeprägtem Interesse an Geschichte. Sein "Berlin Babylon" ist ein Dokumentarfilm der etwas anderen Art. Siegert blendet Chronologie aus und kommentiert nicht. Statt dessen montiert er starke Kontraste und Eindrücke, die sein Kamerateam zwischen 1996 und Ende 1999 sporadisch einfing, als es mit Stadtplanern, Architekten und Arbeitern über prominente Baustellen stürmte.

Dreißig Stunden Filmmaterial sind dabei entstanden. Nicht einfach, derlei auf 90 unterhaltende Minuten zu komprimieren. Dabei geht es Siegert nicht nur um das Entstehen betonstarrer Symbole für Macht und neues Selbstbewusstsein, ihn reizt das Monströse der Baustellen, ihre Dichte und Bedrohlichkeit. Also kriecht die Kamera mal aufreizend langsam auf gigantische Stahlgeflechte zu, bis sie abstrakten Gemälden gleichen, oder sie taucht vom Fernsehturms in die grauen Gevierte, pflügt sich via Tram oder S-Bahn durch die Stadt. Und mittendrin in dieser eigenwilligen Spurensuche explodieren erst in Schwarz-Weiß das Berliner Stadtschloss, dann der Anhalter Bahnhof und diverse Plattenbauten.

Spannend, wie sich Berlin verändert. Noch spannender wirken jedoch die Akteure, die so tun, als gäbe es dafür tatsächlich einen Masterplan und kein babylonisches Fiebern. Dass sie dabei gefilmt werden, stört sie nicht. Demonstrativ bekrittelt Architekt Helmut Jahn das falsche Geländer in seinem spitzwinkligen debis-Glas-Komplex. Sein Kollege Axel Schultes wiederum gibt sich erstaunt, dass "sein" Kanzleramt nicht noch teurer werden darf. 400 Millionen hat es bislang verschlungen - warum nicht noch ein paar mehr, angesichts der historischen Dimension?

Siegert öffnet das Terrain für Eitelkeiten und den Hochmut der Erbauer, lässt mahnend Erinnerungen an den Mythos Babylon aufblitzen. "Architektur ist Geiselnahme, ein Senkblei als Winkelmaß der Geschichte" raunen die Einstürzenden Neubauten. Sie haben die Musik zum Film komponiert, verleihen ihm jenen berlinisch-melancholischen Grundsound, der sich aus den 80-er Jahren herübergerettet hat und nach kritischen Tönen verlangt: Wie umgehen mit deutscher Geschichte, dem baulichen Erbe der DDR, dem Klotzen in den Zentren? Fragen gäbe es genug - doch keine Antworten.

Über die Identität seiner Interviewten klärt Siegert - durchaus arrogant - sein Publikum erst im Abspann auf. Auch sonst jongliert er mit Fragmenten und ästhetisiert seine Chiffren. Wieder einmal darf Walter Benjamins Engel der Geschichte mit seinen Schwingen flattern, bis "Berlin Babylon" nur noch einer Sammlung von Impressionen gleicht, die über das Werden vom Neuem räsoniert.

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