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Berlin-Besuch: Von Glück reden

Barack Obama besuchte Berlin: Der Mann hat Geist. Was 29 Minuten beweisen.

Am Ende, als er nach kurzem Zögern doch noch von der Plattform an der Siegessäule herabsteigt und nicht gleich im Korridor der Offiziellen und Bodyguards verschwindet, sondern sich der großen, bunt gemischten Menge hinter den Absperrungsgittern zuwendet, da fällt auf: Der Mann ist in der Hitze des Sommerabends schier unfasslich fit.

Alle schwitzen. Aber nach seiner Tour durch Afghanistan, Irak, Israel und einer halben Nacht im Flugzeug, nach den Berliner Terminen und seiner Rede eben vor den Zweihunderttausend und dem Rest der Welt wirkt Barack Obama auch aus der Nähe strahlend entspannt, sieht leibhaftig noch besser aus als auf den Fernsehschirmen und Leinwänden und reagiert selbst beim Händeschütteln mit den anonymen jungen Leuten aufmerksam, geistesgegenwärtig. Die Afrikaner etwa, die ihn anfangs bei der Erwähnung seines aus Kenia stammenden Vaters in ihrer Sprache unterbrochen und zu einem blitzartig lachenden Innehalten veranlasst hatten, sie erkennt er in der Menge jetzt wieder und macht mit ihnen keine Handshakes. Er gibt ihnen, Faust gegen Faust, den fast freundschaftlichen „Fist bump“.

Als Messias hat er davor überhaupt nicht gesprochen. Es wäre Obama ein leichtes gewesen, die Masse wie ein Popstar zum Kochen zu bringen. Er hat die Emotionen tatsächlich eher kühl, smart, auch eine Spur distanziert: gedimmt. Pathos, das hatte er nur für Berlin, für den von ihm gewählten symbolischen Ort – und er verriet dabei sogar die Empathie seiner Redenschreiber, als er in einem Nebensatz die (von ihm selbst kaum gesehenen) Hauswände in der Nähe des Brandenburger Tores erwähnte, die noch Einschüsse des Krieges zeigen. Jener Kriege, die es nun nie mehr geben dürfe.

Im übrigen aber war das keine Regierungserklärung. Auch kein politologischer Vortrag in Harvard und schon gar kein klassischer Wahlkampf. Barack Obama redete 29 Minuten im Spagat zwischen der weit entfernten amerikanischen Öffentlichkeit und der überwiegend deutschen, dazu auch international gemischten Menge zu seinen Füßen. Den Spagat machte er darum zum erwarteten Brückenschlag über den Atlantik und, als bekennender Kosmopolit, auch über die anderen Weltmeere hinweg.

Where is the beef? Wo ist da die feste Substanz, mögen die Obama-Kritiker fragen. Sie vergessen, dass beispielsweise ein so unmissverständliches Eingeständnis von Fehlern und Versäumnissen der US-Politik noch kein führender amerikanischer Politiker in Übersee je zu formulieren gewagt hat. Schon gar keiner, der als erster Farbiger Präsident werden will und die weißen Patrioten daheim als Wähler unbedingt braucht.

Obama nutzt sein Charisma, seine Mischung aus leicht unterkühlten Charme und in der Sache durchaus leidenschaftlichem Engagement, um über die Gefühle an den Verstand zu appellieren. Er hat verstanden, dass es, um die Welt für zukünftige Generationen zu retten, in der amerikanischen Klima- und Energiepolitik, in der Politik gegenüber den islamischen Staaten oder bei den Nuklearwaffen eines radikalen Wandels bedarf. Was dies Amerika noch konkret kosten wird, das kann und will er noch nicht sagen.

Aber er findet auf dem Weg zu seinen hochgesteckten (allesamt vernünftigen) Zielen eine Sprache, die Menschen überall auf der Welt anspricht. Weil er ihre Ängste nicht wegredet, aber die Chance auf selbstgemachte, eigenverantwortliche Besserung beschwört. Obama weckt so Hoffnung und Mut. Dagegen wirkt die deutsche Politik in ihrem rein technokratischen Gestus meist sprachlos. Bei keinem Krisenmanagement, keinem Reformgesetz, ob Hartz oder Gesundheitsfond, kommt jemals ein übergeordneter Sinn der Politik zur Sprache: das Bemühen ja wohl um ein besseres, vielleicht glücklicheres Leben. Diesem „Pursuit of happiness“, zuerst formuliert in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, gibt Obama wieder Ausdruck. Das ist das offene Geheimnis seines Erfolgs. Ist sein Spirit. Der smarte Mann hat Geist.

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