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Mauer des Anstoßes. Der Künstlerin Nada Prlja ging es um die sozialen Unterschiede in der Friedrichstraße. Die Bewohner protestierten, die Installation wurde beseitigt. Foto: dpa

© dpa

Berlin Biennale: Die große Kollision

Noch fünf Tage: Die Berlin Biennale will die Welt verändern und bleibt doch Wolkenkuckucksheim. Die eingeladenen Occupy-Aktivisten bemerkten als Erste, dass sie ausgestellt im Souterrain der Kunstwerke keine Störwirkung mehr entfalten können.

Am Ende sind sie wohl doch Geschwister, das artig gescheitelte BMW Guggenheim Lab im Prenzlauer Berg und die aufrührerisch frisierte Berlin Biennale in Mitte. Sie sprechen die gleiche Sprache, weil die globalisierte kreative Klasse nun einmal Englisch spricht. Und sie leiden an der gleichen Krankheit, einer fortgeschrittenen sozialen Isolierung, die zu ständigen Selbstgesprächen führt. Das Urbanismus-Labor auf Welttournee und Artur Zmijewskis Wut-Biennale könnten nicht verschiedener aussehen. Die Programme scheinen verschiedenen Welten zu entstammen. Doch fragt man sich bei beiden, was sie mit der Stadt verbindet, auf die sie sich beziehen. Die Antwort lautet: nichts.

Ahnen konnte man das von Anfang an. In New York machten sich die Blogger über ein Laboratorium lustig, das ausgerechnet in Manhattan, der Hauptstadt der Spekulation und Gentrifizierung über urbane Veränderungen unterrichten wollte. In Berlin trat der Biennale-Chef als Michael Kohlhaas des Kunstbetriebs auf und wetterte gegen die Ego-Trips seiner Zunft. Er konnte aber nicht erklären, welche Wirkung er am Standort selbst entfalten wolle. Die ganze Welt ist unsere Nachbarschaft, fand Zmijewski. Auch Mexiko liege vor der deutschen Haustür. So sollte die Mordrate in Bogotá durch Stärkung der Bürgerkultur verringert werden. Eine Bambussiedlung im Kongo fragte experimentell nach dem Verhältnis von Museum und Öffentlichkeit. Street-Art-Techniken in São Paulo wurden untersucht und Repräsentanten militanter Rebellengruppen eingeladen. Schließlich wurden noch die Großaktionäre des Waffenkonzerns Krauss-Maffei Wegmann an den medialen Pranger gestellt und die Übersiedlung der Enkel der nach Israel geflüchteten Juden in die europäische Heimat erwogen. „Gäbe es dann Frieden?“

Ein Streifzug durch die Berlin Biennale in Bildern:

Die Biennale, die am Wochenende ihre Pforten schließt, wollte von Sri Lanka bis Chicago demonstrieren, dass politische Kunst wieder den „Ungehorsam gegenüber der Falschheit“ lernen müsse. Dabei übersah sie völlig, wie der Zusammenprall einer mobilen, weltgewandten kreativen Schicht mit den lokalen Nachbarn zum eigentlichen Prüfstein wurde. Im Camp der Occupy-Aktivisten, das Zmijewski ins Souterrain der Kunst-Werke in der Auguststraße einlud, begriff man als Erstes, dass eine prominente Kunstinstitution schnell zum Gefängnis wird, wenn man nicht mehr Störfaktor ist, sondern Ausstellungsstück.

So blieb die spannendste Geschichte dieser Biennale weitgehend unbemerkt: Eine kleine Gruppe Aktiver startete auf eigene Faust ein ehrgeiziges Reformprojekt, wollte in Generalversammlungen die Biennale verändern und deren Niedriglöhne diskutieren. Sie hängte Transparente als Sichtblenden vor den Zugangstreppen auf, um das schaulustige Publikum zu größerer Annäherung zu zwingen. Sie versuchte lokale Aktionsgruppen einzuladen und stritt entnervt darüber, wie man mit den Medien umgehen solle, die sendefähige Statements verlangten, ohne den langwierigen Prozess schildern zu wollen, in dem sich ein Protestcamp von seiner Wahrnehmung als Markenprodukt der Kunstszene zu befreien sucht.

Was ist aus den angekündigten "realen Taten in einer realen Welt" geworden?

Tatsächlich beweisen die Aktivisten, eine fluktuierende Mischung aus Daueransässigen und zeitweiligen Gästen, die Fähigkeit zur Selbstkritik, die der Biennale ansonsten fehlt. Von der Wildkräuterselbstversorgung bis zum strukturellen Antisemitismus wird hier einfach alles diskutiert. Das Camp ist zur Forschungseinrichtung geworden, die große Symbole scheut, weil man weiß, dass es am Ende aus dem Elfenbeinturm Biennale zurück in den städtischen Schmelztiegel geht. Wenn eine bedächtige Alternativradio-Redakteurin und ein niederländischer Campteilnehmer dem eingeflogenen Staraktivisten Brian Holmes beizubringen versuchen, dass halb Berlin Türkisch spreche, so ziemlich jede Widerstandsform in Kreuzberg ausprobiert worden sei und das akademische Establishment zu den ersten Gentrifizierungsopfern zählt, dann wird die Biennale bodenständig.

Ein Streifzug durch die Berlin Biennale in Bildern:

Erst als eine rumänische Aktivistin in wohlakzentuiertem Englisch darauf besteht, die deutschsprachigen Kiezbewohner hätten ein Sprachproblem und verweigerten den Dialog, nicht die weitgereisten Occupy-Weltbürger, sind wir wieder in Wolken-Guggenheim. In absehbarer Zeit hätten diese furchtlosen Experimentatoren, die immerhin eine Neuköllner Mieterinitiative in die Kunst-Werke holten, wohl auch noch eine Sprachschule gegründet.

Man fragt sich, was aus den „realen Taten in einer realen Welt“ geworden ist, die Zmijewski angekündigt hatte. Die Aktivisten wissen noch nicht, wie sie weitermachen wollen. Ein paar Anwohner und Gewerbetreibende in der Friedrichstraße hingegen wurden längst aktiv. Die Londoner Künstlerin Nada Prlja hatte dort eine zwölf Meter hohe Mauer errichten lassen, um auf die sozialen Unterschiede zwischen der Luxusgeschäftslage im Norden und dem Arme-Leute-Quartier am Südende der Friedrichstraße aufmerksam zu machen. Seltsamerweise stand diese einzige wirkliche lokale Intervention der Biennale ausgerechnet im südlichen Teil der Straße, dort wo internationale Galerien und Stadtteilprojekte teilnahmslos koexistieren und sich die Veränderung der Stadt so schleichend vollzieht, dass die Anwohner die Mauer nicht einmal als Metapher verstanden und ihren Abriss verlangten. Am 14. Juni bekamen sie ihren Willen.

Die Frau im Zeitungskiosk vermutet, die Mauer habe einfach auf die Künstlerin aufmerksam machen sollen. Ein nachdenklicher Imbissangestellter zeigt auf einen Flaschensammler, der draußen seine Runden zieht. Mindestens 15 von ihnen zähle er am Tag, nur ein paar sähen auch wie Flaschensammler aus, der Rest kleide sich wie auf dem Weg ins Büro. „Das stellen Sie nicht mit einer Mauer dar. Das verstehen Sie vielleicht gar nicht, wenn Sie sich etwas Vergeistigtes ausdenken und aufstellen, ohne zu wissen, wie es den Leuten geht.“ Ein Vorurteil, gewiss. Die Berlin Biennale hat es nur gerade bestätigt. Guggenheim ist überall.

Bis 1. Juli. www.berlinbiennale.de. Das Occupy-Programm: http://occupybb7.org

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