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Angenehm altmodisch. Dieter Meier auf dem Berlin Festival.

© dpa

Berlin Festival: Bilderbuchgeschichten für Bürgerkinder

Gefangen im Szene-Freizeitpark: Das Berlin Festival auf dem Arena-Gelände an der Spree mit Konzerten von Dieter Meier, Editors und Bombay Bicycle Club.

Doch, doch, dieser Umzug des Berlin Festivals vom Tempelhofer Flughafen nach Treptow, auf das Arena-Gelände an der Spree, der hat was für sich, der passt schon – was immer die wahren Gründe für den Umzug gewesen sein mögen. Mittendrin ist man da im Kreuzberger Party-, Szene- und Jung-Touristenleben, und natürlich hören die Leute, die mit der inzwischen obligaten Bierflasche in der Hand die Schlesische Straße rauf- und runterflanieren, genau die Sounds, die auf dem Berlin Festival laufen, rund um die Uhr, versteht sich.

Auch für mehr Abwechslung, nach der Festivalbesucher heutzutage nun einmal verlangen, ist hier gesorgt, gerade bezüglich der verschiedenen Bühnen-Locations: Die Arena mit ihrem Werkshallencharme; das Glashaus, das schrecklich kahl und schmal und eigentlich so gar nichts ist, aber in seinem Nebenraum einen schönen Blick aufs Wasser erlaubt; das vollgestellte, überstylte White Trash; das Badeschiff und die Hoppetosse mit ihren Wasseranbindungen. Willkommen im Szene-Freizeitpark! Der hat hier etwas natürlich Gewachsenes, den bekam man auf dem Tempelhofer Flughafengelände trotz allen Aufwands nie so hin, dafür ist das Gelände zu gigantisch, erinnert ewiglich an seine ursprüngliche Bestimmung. Trotz all dieser Vorzüge hat man an diesem Wochenende beim gewissermaßen neuen Berlin Festival bald das Gefühl, eingesperrt zu sein. Da sehnt man sich bei den Wanderungen zwischen den alten BVG-Gebäuden nach Luft und Himmelsausblicken, gerade weil an den Wasserzugängen zu wenig Platz ist und von den Ordnungskräften der Einlass zum Badeschiff und der DJ-Bühne rechts davon streng reguliert wird.

Ein Open-Air-Festival ist das Berlin Festival nun nicht mehr; auch soundtechnisch sind keine Gewinne zu verzeichnen. In der Arena, die berüchtigt ist für ihren Soundmatsch, scheint es am Samstagabend mit Zunahme des Publikums und Bekanntheitsgrades der Bands immer schlechter zu werden, von Dieter Meier über Bombay Bicycle Club bis zu den Editors, deren Stücke mal übersteuert, dann wieder dumpf-suppig herüberkommen.

Dieter Meiers Auftritt ist einer der Höhepunkte des Festivals

Schade, dass sich beim Ex-Yello-Mastermind Dieter Meier und seiner sechsköpfigen Band so wenig Leute einfinden. Sein Auftritt am frühen Abend ist einer der Höhepunkte des Festivals. Weniger der Musik wegen, die etwas Altväterlich-achtziger-Jahre-mäßiges hat. Sie erinnert an West-Berlin vor dem Mauerfall, an die zweite Liga hinter Cave, Bargeld und Co, an Bands wie The Perc Meets The Hidden Gentleman oder Four Star Five, um mal zwei längst Verflossene zu nennen, mit dem Fokus auf Atmosphäre, Arrangement und Melancholie. Das ist gefällig, klar. Aber viel besser ist allein Meiers Auftritt. Mit den langen, nach hinten frisierten grauen Haaren, der Sonnenbrille und seinem weinroten Samtjackett ist Meier eine Art Conférencier. Vor jedem Stück macht er eine Ansage und erklärt dessen Inhalt; schließlich bekennt er, was für einen Spaß es ihm mache, einen Dialog mit dem Publikum zu führen. Einmal ruft ihm sein Soundmann und Programmierer T. Raumschmiere das Wörtchen „Geschichte“ zu, was Meier zunächst nicht versteht. „Geschichte, eine Geschichte!“, wiederholt Raumschmiere, weil eben das Programm gewechselt werden muss. Und dann legt Meier los und erzählt etwas von seinem unglamourösen Namen und einer Meier-Single, die in einem Hamburger Punkladen lief. Ein Punk erkannte ihn und sagte: „Das bist du doch, von dem der Song ist, oder?“. Und auf Meiers Nicken hin: „Das Stück ist ja scheiße, aber dein Name ist großartig!“

Geschichten wie diese gibt es später naturgemäß keine mehr; dafür mal gelungenere und weniger gelungene Auftritte unterschiedlichster Bands. Den von Bombay Bicycle Club zum Beispiel, einer britischen Band, die eigentlich idealtypisch für das Berlin Festival ist. Mit „So Long, See You Tomorrow“ hat sie gerade ein tolles, bunt-zauberhaftes Pop-Album veröffentlicht und kann dieses, statt in einem Club von der Größe des Lidos, nun einem viel größeren Publikum vorstellen.

Die österreichischen Bilderbuch im viel zu kleinen White Trash

Enorm lebendig ist die Performance von Bombay Bicycle Club, positiv nervös, immer auf einen catchy Poppunkt gebracht. Das genaue Gegenteil von den Editors und ihrem mitunter sämigen, mitunter eingängigen, pathosgeladen Düsterpop. Bei manchen Editors-Stücken läuft im Hintergrund ein Video, auf dem etwa ein Skater durch die Straßen einer englischen Stadt fährt oder sich ein asiatischer Kampfsportler in Pose wirft. Nichts passt weniger zu dieser Band: Ein bisschen Skatepunk, ein bisschen Kampfkunst, ach, das würde den Editors guttun!

Viel aufregender sind dann die österreichischen Bilderbuch im vergleichsweise viel zu kleinen White Trash: vier junge Männer, die sich ziemlich cool und, ja, „supergeil“ finden, wenn sie auf der Bühne stehen und ihren schredderigen Fun-Funk-Punk-und Indieraprock spielen. Die aber auch, kurz vor ihrem Hit „Maschin“ schön österreichisch subversiv und ätzend rumnölen können, weil nur so wenig Leute ins White Trash reinpassen: „Ist halt so ein Burger-Laden hier, und der Burger-Mann hat gesagt, die Tische müssen stehen bleiben, die dürfen nicht raus aus dem Burger-Laden“. So wie Sänger Maurice Ernst „Burger“ spricht, klingt es wie „Bürger“ – und da ist auf einmal der ganze Trash-Underground-Tattoo-Western-Lack des White Trash und auch seiner Umgebung ab. Ja, da erkennt man plötzlich mit den Worten des Bilderbuch-Sängers, was der ganze Szene-Freizeitpark namens Berlin Festival vor allem ist: ein Tummelplatz für Bürgerkinder.

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