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Am Richard-Wagner-Platz 1972.

© Rainer König

Berlin-Fotograf Rainer König: Ruinen für die Ewigkeit

Seit den fünfziger Jahren hat Rainer König Berlin fotografiert. Jetzt sind seine beeindruckenden Aufnahmen erstmals zu sehen. Ein Treffen.

Es lag so nahe, all die Jahrzehnte. Rainer König hat Berlin viele tausend Mal fotografiert und seine Negative sorgfältig abgelegt. Dazu die selbst gemachten Abzüge auf Barytpapier, neben denen jede digitale Aufnahme verblasst – selbst wenn König die Stadt immer nur schwarzweiß zeigt. Etwa die Brandmauer am S-Bahnhof Savignyplatz. Das Foto stammt aus dem Jahr 1966, bevor sich Ben Wagin und andere Künstler hier mit einem S-Bahn-langen Wandbild verewigten. Kaltes Winterlicht scheint auf den unregelmäßigen Backstein und macht ihn zu einem faszinierenden Relief, das man so vom Bahnsteig aus nie wahrgenommen hat.

Dennoch wurde König nicht nach den Bildern gefragt. Bis Marc Barbey kam, ein französischer Sammler von Fotografie, der in Berlin lebt und eine zweite Wohnung allein für Ausstellungen angemietet hat. In der „Collection Regard“ hängen nun 60 vom Kurator Antonio Panetta ausgewählte Sujets. Zur Verfügung stand ihm ein Fundus von rund 50 000 Motiven, der seit den fünfziger Jahren kontinuierlich gewachsen ist. „Ich habe mir die Stadt erlaufen“, sagt König, unzählige Spaziergänge seien die Basis seines Archivs. Und eigentlich möchte man nach einem ersten Rundgang durch die Schau noch viel mehr sehen. Denn Königs Blick verwandelt die Stadt.

Rainer König pflegt einen unsentimentalen Blick

Selbst Kaputtes wird von den feinen Grauwerten der Handabzüge geadelt. Vor den Mauerresten eines Depots schimmern die Blätter dünner Büsche zwischen Halmen. Durch die leeren Fenster blickt man auf noch mehr Natur und wähnt sich irgendwo in der Uckermark. Dabei ist das Motiv 1975 unmittelbar am Anhalter Bahnhof entstanden, als es den Fußballplatz hinter der restaurierten Fassade des Eingangs noch nicht gab.

Ruinen standen dafür reichlich herum. Rainer König hielt sie ab den fünfziger Jahren fest und weiß bis heute genau, wo er welcher Architektur begegnet ist. Dass er den umgedrehten Stuhl im Wasser Anfang der neunziger Jahre in Moabit gesehen und das immer noch vom Krieg versehrte Dach des Martin-Gropius-Baus im Jahr 1976 schräg von unten gegen den Himmel aufgenommen hat. Da muss der 88-Jährige nicht erst nachschauen, es ist alles noch im Kopf. Die zersprungenen Fenster eines Sägewerks. Das Oberlicht eines grandiosen Treppenhauses in Charlottenburg, das die Etagen geheimnisvoll fragmentarisch ausleuchtet. Später richtete der Fotograf sein Auge auf die neuen Siedlungen in Reinickendorf. Zu sehen sind Riegel aus glattem Beton und Fensterbändern, die ein grafisches Muster bilden.

Rainer König pflegt den unsentimentalen Blick. Nicht einmal die Ruinen wirken bei ihm pittoresk. Eher für die Ewigkeit dokumentiert. Dazu passt, dass keine Menschen auf den Fotos vorkommen. Schon durch ihre Kleidung wären die Bilder zeitlich verortbar und damit eine Momentaufnahme. Wie sie in der historischen oder auch der künftigen Architektur leben, diese Frage nach der sozialen Komponente, stellt der Fotograf nicht. Fast nicht, denn ausgerechnet im Märkischen Viertel, vor den grauen Betonriegeln, nahm König fünf auf einem vermüllten Spielplatz tobende Kinder mit in den Blick.

Er wechselte 1966 von der Architektur zur Fotografie

Dass er sich die Zukunft Berlins anders vorgestellt hat, legt seine Biografie nahe. Der Mann ist ausgebildeter Architekt. Rainer König kam 1926 nahe dem Bundesplatz in Wilmersdorf auf die Welt, der damals ein kleiner Park war. Architektur studierte er ab 1945, und in der zerstörten Metropole hätte es viel zu tun gegeben. Dennoch gab König den Beruf schon 1966 auf. Nicht einmal die Mitarbeit am ersten Bauabschnitt im Hansaviertel, dem absoluten Gegenentwurf zu den Wohnmaschinen am Kottbusser Tor und im Märkischen Viertel, brachte ihn von seinem Entschluss ab. „Ich musste zu viele Kompromisse machen“, resümiert König.

In der Fotografie brauchte er das nicht. Noch im selben Jahr sattelte der Architekt um, lichtete Gebäude und Modelle ab, lehrte Fotografie – und nahm 1970 eine Professur für Ausstellungsgestaltung und Fotografie an der Hochschule für Bildende Künste (HfbK) in Berlin an.

Seit 1991 ist Rainer König emeritiert. Er hat nun Zeit für sein Archiv und war immer wieder unterwegs. Ein Bild wie das zerbrochene Sprossenfenster einer Industriehalle in Eberswalde, aufgenommen 2004, erzählt davon, wo die von ihm bevorzugte Atmosphäre des Brüchigen noch zu finden ist. Wo Innen und Außen ineinandergreifen, das Material nackt zutage tritt und es den Zauber des Räumlichen gibt, den die glatten Fassaden von Berlins junger Investorenarchitektur nicht mehr bieten.

Das Reinickendorfer Heimatmuseum zeigte 2008 einige seiner Motive

Noch jetzt wirkt König wieselflink und unglaublich präsent. Aber man merkt auch, wie wichtig es ihm ist, sein Werk endlich im größeren Zusammenhang zu zeigen. Einiges war schon vorher zu sehen, darunter die Aufnahmen aus dem Atelier von Hannah Höch: Als die Dada-Künstlerin 1978 in ihrem Gartenhäuschen in Heiligensee starb, war ihr Neffe einen Tag später dort, um alles sorgfältig zu fotografieren. König nennt es „sein Vermächtnis“, das er vorausschauend bewahrte, bevor sich Höchs Besitz zerstreute. Davon zeugt vor allem ein Foto in der „Collection Regard“: Ein Arrangement aus getrockneten Blumen, Kastanienschalen und kleinen Gegenständen, von der Künstlerin liebevoll nachlässig arrangiert. Es gibt nichts Privates preis und öffnet einem doch die Tür zu Höchs Refugium.

Motive wie dieses waren ein paar Mal in der Vergangenheit ausgestellt. Etwa 2008 im Reinickendorfer Heimatmuseum oder ein Jahr danach in einer Ausstellung über Hannah Höch im Schlossmuseum Gotha. König stellte dort zusammen mit Stefan Moses aus, und die temporäre Nähe zu diesem mit zahlreichen Preisen bedachten Fotografen deutet an, wo die Qualität von Königs Bildern anzusiedeln ist. „Manchmal bedarf es offenbar eines von draußen kommenden Impulses, um zu erkennen, woran wir lange vorübergegangen sind“, heißt es in dem kleinen Katalog, den die „Collection Regard" zur aktuellen Ausstellung publiziert hat. Der Text stammt von dem Fotohistoriker Janos Frecot und lässt sich mühelos auf beides anwenden – auf den Berliner Fotografen König wie auf Berlins Architektur.

Frecot, der schon lange hier lebt, wirft jedoch auch einen kritischen Blick zurück: „Ich habe von Rainer König schon lange gewusst, vermutlich seit den frühen 1980er Jahren, als in der Berlinischen Galerie Erwerb und Aufarbeitung des Hannah-Höch-Archivs begann.“ Die Bedeutung von dessen fotografischem Werk aber sei ihm damals entgangen. Eine Unachtsamkeit, die Frecot bereut und sich einzig mit Königs diskreter Zurückhaltung erklären kann. Endlich aber könnten „wir mit der Ausstellung der Collection Regard das Werk wenigstens in Umrissen erkennen“, schreibt er weiter. Frecot darf auf mehr hoffen: Mit dieser ersten Ausstellung sind die Fotos in der Öffentlichkeit. Es wäre sträflich, sie ein zweites Mal zu übersehen.

Collection Regard, Steinstr. 12, bis 5.6., freitags von 14 – 18 Uhr und nach Vereinbarung (www.collectionregard.com). Am 5.6. schließt die Ausstellung von 1 6 – 18 Uhr in Anwesenheit von Rainer König.

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