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Kultur: Berlin hat gewählt: Alles nach seiner Wahl

Schon am Mittwoch hatten zwei der Sieger dieses Sonntags vereinbart, wann die Gratulation erfolgen sollte. Um 18 Uhr 01 würde Gerhard Schröder bei Klaus Wowereit anrufen und den Sieger beglückwünschen.

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Schon am Mittwoch hatten zwei der Sieger dieses Sonntags vereinbart, wann die Gratulation erfolgen sollte. Um 18 Uhr 01 würde Gerhard Schröder bei Klaus Wowereit anrufen und den Sieger beglückwünschen. Und so war es auch. Und jetzt? Jetzt beginnt der Testlauf. Wowereit muss im Mikrokosmos Berlin mit jenen Koalitionsoptionen jonglieren, von denen der Bundeskanzler hofft, dass sie auch ihm nach der Bundestagswahl im Herbst 2002 die Macht sichern werden.

Zum Thema Ergebnisse I: Stimmenanteile und Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus Ergebnisse II: Direktmandate im Abgeordnetenhaus Ergebnisse III: Ergebnisse nach Regionen (Abgeordnetenhaus und BVV) WahlStreet.de: Die Bilanz Der Sieger kann sich kurz fassen: "Das ist ein Abend, an dem sich die Sozialdemokraten freuen dürfen", sagte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering und machte klar, dass er jetzt nicht mehr allzu lange in der Parteizentrale bleiben wollte, sondern dass es ihn zur Siegesfeier mit den Berliner Freunden bei Debis am Potsdamer Platz zog. Nur ein paar Wochen nach dem Verlust Hamburgs, der alten Hochburg, ist nicht nur der Regierungsauftrag für die Berliner SPD mehr als klar, deren jahrelanger Niedergang nicht nur gebremst, sondern umgekehrt.

Unmittelbar nach den ersten Zahlen hielt er sich mit Ratschlägen noch zurück, später wurde Müntefering deutlicher: "Lasst es uns doch mal versuchen mit den Parteien, die für eine Ampel nötig sind." Versuchen - das passt zu Wowereits Wort von der Stabilität, die die neue Koalition haben müsse. Und inoffiziell ist aus dem Umkreis Wowereits auch zu hören, dass das mit dem "versuchen" offensichtlich ernst gemeint ist: "Besser hat es doch gar nicht laufen können." Da könne man doch erst einmal über die ästhetisch weniger heikle Ampel mit FDP und Grünen verhandeln. "Und wenn das nicht klappt, gibt es ja noch die PDS."

Der Schrecken der roten Socken

Münteferings Zufriedenheit an diesem Wahlabend hat auch mit dieser Option zu tun. In Berlin lässt sich eine Formel testen, die Spielräume auch für den Bund eröffnet: "Wir können mit allen", sogar mit der PDS. Der Schrecken der roten Socken? An diesem Abend ist er nur noch eine ferne Erinnerung für die SPD.

Wo also steht Schröders Partei? Partner Nummer eins sind weiter die Grünen. Die nüchternen Zahlen, die Claudia Roth zu kommentieren hatte, waren eigentlich erfreulich: Bei geringen Verlusten scheint der seit 1997 anhaltende Abwärtstrend der Grünen gestoppt zu sein. Dennoch ließ sich die sichtlich nervöse Parteivorsitzende kein Wort zu den bundespolitischen Konsequenzen der Wahl entlocken. Selbst der Anspruch, in Berlin "aktiv mitzuwirken" an der Regierungsbildung, wirkte wankelmütig: Denn die einzige Perspektive hierfür, eine Ampel, ist das, worüber man in den vergangen Wochen am liebsten gar nicht nachdenken wollte.

Auch ihrem Ko-Parteisprecher Fritz Kuhn konnte man die "Freude" darüber, dass die Grünen "so stabil" geblieben sind, oder die Behauptung, "sehr zufrieden" mit dem Wahlergebnis zu sein, nicht ansehen. Eine Ampel-Koalition wäre wohl nicht nur eine Wackelpartie, auf deren Überleben niemand wettet. Sie bedeutete zudem ein Bündnis mit dem ärgsten strategischen Gegner, den Liberalen. Einen Vorgeschmack lieferten Roth und FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt beim Schlagabtausch in einer abendlichen Talkrunde. So verfestigt die Berlin-Wahl bei der Grünen-Spitze den Verdacht, dass die Zeiten sich zu Ende neigen, in denen es eine sozialdemokratische Regierungsperspektive fast nur mit ihnen gab.

Schröders zweiter Partner: die FDP. Gerhardt sieht die Liberalen nach Berlin in einer "hervorragenden strategischen Ausgangsposition". "Wir sind auf der Gewinnerstraße", sagte Gerhardt. "Wir können die Bundespolitik in der nächsten Legislaturperiode mitbestimmen, dies deutet dieses Ergebnis an", sagte Gerhardt bei der Wahlparty seiner Partei. Mitbestimmen - also mit Schröder regieren. Parteichef Guido Westerwelle meinte, er sei "restlos begeistert". Für die Bundestagswahl bedeute das Berliner Ergebnis: "Wir sind im Spiel, wir sind ein Player." Das gute Abschneiden der Liberalen sei auf ihre Neuaufstellung zurückzuführen: "Die FDP hat sich im bürgerlichen Lager erneuert, die Union nicht." Generalsekretärin Pieper sprach von einem "wichtigen Etappenziel auf dem Weg zu 18 Prozent".

Der Traum der Liberalen

Für die nächste Landtagswahl im April in ihrer Heimat Sachsen-Anhalt prognostizierte Pieper: "Auch dort wird die FDP in den Landtag zurückkehren." Das wäre die nächste Etappe. Wenn in Berlin eine Fast-Verfünffachung des letzten Wahlergebnisses möglich sei, könne im Bund eine Verdreifachung geschafft werden. Zurück zum alten Drei-Parteien-System mit der FDP als Zünglein an der Waage: Dies ist der Traum der Liberalen.

Partner Nummer drei: die Union. In Berlin von der SPD ausgeschlossen, ist sie auch für den Bund nur ein Notnagel. Sollte die Schwäche der bürgerlichen Volkspartei anhalten, profitieren die anderen möglichen Koalitionspartner ausreichend, um die Große Koalition überflüssig zu machen. "Die CDU steht nicht mehr in der Mitte, sondern am Rande", sagte Müntefering am Sonntag.

Partner Nummer vier ist die PDS. "Rot-rot ist wahrscheinlicher als eine Ampel", hat Gregor Gysi in der Wahlnacht gesagt. Die PDS will - jetzt in Berlin, später im Bund. Doch die Pazifisten wären für Schröder ein schwer verträglicher Partner. Der Makrokosmos Kanzleramt muss eben seit dem 11. September ganz anders über den Mikrokosmos Berlin und seine Symbolkraft nachdenken. So hat Schröder öffentlich angekündigt, dass er öffentlich keine Ratschläge an die Berliner Genossen geben wird. Nicht öffentlich aber schon. Und Müntefering meinte zur PDS: "Opposition ist doch auch eine schöne Rolle."

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