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Kultur: Berlin ist doch nicht Yad Vashem

Es war einmal im Land der bösen wunderbaren Novembermärchen eine Republik, die den Opfern des monströsen Verbrechens ihrer Vorfahren ein Denkmal errichten wollte. Zu diesem Zweck wurde unter hunderten von Wettbewerbs-Entwürfen eine monströse Platte mit Millionen von Opfernamen auserwählt, gegen die der Kanzler der Republik sein Veto einlegte, wofür ihm viele im Lande klammheimlich dankbar waren.

Es war einmal im Land der bösen wunderbaren Novembermärchen eine Republik, die den Opfern des monströsen Verbrechens ihrer Vorfahren ein Denkmal errichten wollte. Zu diesem Zweck wurde unter hunderten von Wettbewerbs-Entwürfen eine monströse Platte mit Millionen von Opfernamen auserwählt, gegen die der Kanzler der Republik sein Veto einlegte, wofür ihm viele im Lande klammheimlich dankbar waren. Die Politiker und Idealisten allerdings, denen das Voranbringen des Denkmals anvertraut war, wussten nun nicht mehr weiter. Weshalb sie die weisen Experten ihres Novembermärchenlandes drei Mal zu einem Colloquium in die Hauptstadt riefen, bei dem diese Denkmal-Weisen grundsätzliche Ratschläge abgaben. Obwohl die Denkmal-Voranbringer grundsätzlichen Rat gar nicht mehr hören wollten! Da ahnten die Weisen, dass sie für ein "Sandkastenspiel", eine "Scheindiskussion" herbeigerufen worden waren, einige verließen zornig den Saal. Die Voranbringer indes luden 19 Künstler zu einem zweiten Wettbewerb und ließen zuletzt im Parlament ihrer Republik beschließen, dass ein Feld der 2700 Betonsäulen nun gebaut werden solle, unter Beifügung eines kleinen Ortes der Information: damit jeder Besucher, wie wenig weise er auch sei, genau wisse, was das Denkmal bedeutet ...

Im Sumpf der Argumente

Unter einer melancholischen Büste des Loreley-Dichters Heinrich Heine, der ("Ich weiß nicht, was soll es bedeuten") auch in diesem November nicht genau zu wissen scheint, was genau hinter der deutschen Trauer steckt, steht ein Modell des Ortes der Information (OdI). Klassentreffen im Berliner Palais am Festungsgraben: Eine "beeindruckende Zahl ausgezeichneter Experten" (so der Kuratoriumsvorsitzende Thierse) aus Deutschland und der Welt soll unter der Überschrift "Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und der Ort der Information auf dem Weg zur Realisierung" die den Bauherrn Demokratie repräsentierende Denkmal-Stiftung beraten. Dabei wirkt das Thema anfangs, im Schatten des 11. September, ein bisschen verweht; Architekt Eisenman fragt gar, ob Erbauer abstrakter Monumente künftig mit den Live-Horrorbildern konkurrieren müssen. Zugleich entsteht der deprimierende Eindruck, daß sich Denkmal-Lobby (Eberhard Jäckel) und Gedenkstätten-Lobby (Reinhard Rürup) in der OdI-Historiker-AG unfruchtbar in Schach halten. Das OdI-Modell der Designerin Dagmar von Wilcken wiederum und das "Drehbuch" zur geplanten Ausstellung in den vier Räumen "der Stille", "der Namen", "der Schicksale" und "der Orte" scheinen manche Aspekte längst verworfener Denkmal-Entwürfe wunderbar zu recyclen. Ein Ex-Kultursenator warnt die Versammelten vor dem "Sumpf des Argumentierens"; Stiftungs-Geschäftsführerin Sybille Quack weist allzu grundsätzliche Ratschläge mit dem Hinweis auf fixierte Planungen zunächst ab. Also alles nur ein weiterer intellektueller Ringelpiez? Nun, gänzlich ist der Generationswechsel im Mahnmal-Land nicht abzublocken, das Veteranen-Meeting eskaliert zum Zwergenaufstand.

Zum Thema Chronologie: Mehr als zehn Jahre Diskussion Die schärfste Kritik der Versammlung - subtil in den Vorträgen, schließlich Arbeitsgruppen und Plenum dominierend - attackiert das Konzept der "Gefühlsregie". Manche der Spezialisten für Kunst, Architektur, Geschichte, Politik oder Gedenkstätten mögen ihr fortdauerndes Unbehagen am mittlerweile auch durch den "Schrott der Metaphern" (Tilman Buddensieg) überschwemmten Eisenman-Entwurf nun auf die anstehende OdI-Einrichtung umleiten. Fans und Skeptiker aber eint die Gewissheit, dass der Info-Keller keinesfalls als kontemplative Fortsetzung oder sakrale Übertrumpfung des Kunstwerkes inszeniert werden darf. Dabei lässt sich offenbar nicht mehr ausmachen, wer genau anfangs eigentlich darauf bestanden hat, das Stelen-Element unterirdisch zu wiederholen. Inzwischen, heißt es, sei nicht nur das Kuratorium, auch der zunächst abwehrende Eisenman vom geometrisch korrespondierenden Spiel der Designerin eingenommen: erleuchtete Fotowand-Stalaktiten (Raum der Schicksale), erleuchte Bodentafeln (Raum der Stille) und rechteckige Vitrinenmaße als Quader-Zitate. Nein, sagen die Aufklärer, da muss man komplett von vorn beginnen; und das Licht in den Räumen solle gleichmäßig hell sein, nicht gedämpft.

Ebenso heftig richtet sich der Widerspruch gegen die Räume "der Stille" und "der Namen". Mit bis zu 400 Besuchern in der Stunde wird auf vier mal 143 Quadratmetern gerechnet. Da sei besinnliches Verharren kaum zu erzwingen. Noch härter bricht der Dissens auf am Umgang mit jenen 3,2 Millionen Opfer-Namen, die der Denkmal-Stiftung exklusiv von der Gedenkstätte Yad Vashem überlassen werden. Eberhard Jäckel sieht in einer akustischen, elektronischen und Leuchtband-Präsentation dieser Namen das Zentrum des Denkmals samt Unterbau, die Gegenbehauptung zur anonymisierenden Auslöschung des Genozid; er beruft sich auf jene jüdische Tradition, die im Erinnern des Namens eine Bewahrung der Identität erkennt. Fragwürdige Vermischung, unzulässige Identifikation mit den Opfern! sagen die Anwälte der Sachlichkeit. In Berlin, so der Genfer Politologe Philippe Burrin, gehe es nicht um Totenklage wie in Yad Vashem, sondern um die Taten der Vorfahren und Übernahme der Verantwortung.

"Ein neues Lied, ein besseres Lied!"

Wo Spezialisten tagen, steht der Kern ihres Themas oft nicht im Mittelpunkt. Faktensplitter zwischendurch erden den auch durch Eitelkeit und Rechthaberei geprägten Sekundär-Diskus. Wussten Sie, dass zwei Millionen Ermordete Kinder unter 14 waren? Dass die Juniortheatergruppe in Auschwitz vor der SS "Schneewittchen" spielte, bevor sie vergast wurde? Kennen Sie die Allerwelts-Geschichte jener Männer aus dem weißrussischen Kaff Glubokoje, die ein Massaker bereits überlebt hatten und zur Vergeltung für einen flüchtigen Juden, der illegal ein Stück Butter erworben hatte, gefoltert, ermordet wurden? Der Inszenierung "reiner" Betroffenheit misstrauen die Symposiums-Teilnehmer, doch ist auch "reine Information", ungetrübt von Gestaltung und Intention, nicht zu haben. Man dürfe nicht zu viel, nein, nicht zu wenig voraussetzen beim Besucher, streiten Interaktiv- und Frontal-Didaktiker. Unbedingt, sagen andere, müsse der politische Kontext skizziert werden. Die Verweise im Foyer zu anderen Gedenkstätten und auf weitere Opfergruppen sollten mehr als eine Randerscheinung sein. Doch wieviel Proporz verträgt ein bescheidenes Souterrain der Information?

Der Bochumer Historiker Norbert Frei resümiert: Von dem unvermeidbaren Alterungsprozeß des Denkmals müsse der OdI ästhetisch abgekoppelt sein. Freis Aufteilung sieht einen Raum der Namen und Gesichter vor, womit sich der umstrittene Akt liturgischer Namens-Anrufung erledigt; einen Raum der Biographien; der Orte und Länder; einen Raum für "Fragen und Wechselausstellungen", als Spielbein der Aktualisierung. Alle Anregungen werden ernstgenommen, verspricht Geschäftsführerin Quack im Namen des mehrheitlich abwesenden Kuratoriums. "Ein neues Lied, ein besseres Lied! Es klingt wie Flöten und Geigen! Die Miserere ist vorbei, die Sterbeglocken schweigen", kommentiert der Büstenheilige Heine aus dem ersten Kapitel seines deutschen November-Wintermärchens das OdI-Modell; unhörbar zum Glück, Kunst kann so leicht missverstanden werden! Ja, die Geschichte der Missverständnisse fängt erst an.

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