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Mentoren. Willem de Rooij (li.), Angela Bulloch und Simon Denny.

© Thilo Rückeis

Berlin Program For Artists: „Wir lernen alle voneinander“

Das Berlin Program For Artists will junge und etablierte Künstler in Berlin miteinander vernetzen. Ein Gespräch über Tellerwäscherkarrieren, Ateliers im Schlafzimmer und Galerien unter Druck.

Der Stadt etwas zurückgeben wollen drei in Berlin lebende, international erfolgreiche Künstler: die kanadische Konzeptkünstlerin Angela Bulloch, geboren 1966, der Neuseeländer Simon Denny (Jahrgang 1982) und der holländische Künstler Willem Rooij (Jahrgang 1969). 2016 gründeten sie das Berlin Program For Artists (BPA). Das Mentorenprogramm will Netzwerke zwischen jungen und etablierten Künstlern aufbauen. Ab Montag präsentiert sich der dritte Jahrgang des BPA mit drei Ausstellungen an der Leipziger Straße.

Die Kunstszene ist global, Sie haben auf Biennalen und in Museen weltweit ausgestellt. Sie können also gut vergleichen: Was macht Berlin so attraktiv für bildende Künstler?

DENNY: Es gibt sehr viele Künstler in Berlin. Das ist schon mal ein riesiger Vorteil. Man hat Austausch und trifft kreative Menschen in jedem Bereich. Zweitens: Im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen sind die Mieten immer noch bezahlbar und man findet gute Netzwerke mit Leuten, die wissen, wie man an Räume rankommt und wie man ein Atelier oder einen Off-Space aufbaut. Es gibt viele selbstorganisierte Künstlerprojekte, wie Fragile, der Ort an dem eine der Ausstellungen stattfindet, es ist Studio und Ausstellungsort zugleich.

BULLOCH: Und es gibt zahlreiche Dienstleister, Handwerker, Druckereien, Fotografen, Kameraleute, die es gewohnt sind mit Künstlern zu arbeiten und die das gerne tun. Berlin ist ein künstlerfreundlicher, offener Ort.

DE ROOIJ: Eine weitere Besonderheit ist das Künstler-Visum, ein Visum für Freiberufler in kreativen Bereichen. Es ermöglicht Künstlern von außerhalb des Schengen-Raums, sich hier niederzulassen. Das ist sehr einzigartig. Das ist ein großes Geschenk der Berliner Regierung an die kulturelle Szene.

DENNY: Ich habe meinen Abschluss in Frankfurt an der Städelschule gemacht, ich habe dort nach Möglichkeiten gesucht, ein Visum zu bekommen, und es war nicht möglich. Aber in Berlin ging es.

Womit haben junge Künstler in Berlin am meisten zu kämpfen?

DE ROOIJ: Ein Künstler, der die Hochschule verlässt, muss ein Atelier aufbauen und seine eigene kleine Firma starten. Das ist eine Herausforderung und in Berlin genauso schwierig wie anderswo.

DENNY: Die Gefahr an dieser Stelle rauszufliegen ist groß. Wenn man plötzlich ohne die Infrastruktur der Hochschule zurechtkommen muss. Vielen Studenten ist gar nicht klar, wie viel Infrastruktur die Schule geboten hat, bis sie ihren Abschluss machen und dann auf sich gestellt sind.

DE ROOIJ: Berlin hat viele tolle Angebote, wie das Künstlerprogramm des DAAD oder das Künstlerhaus Bethanien, aber diese Institutionen sind eher für erfahrenere Künstler. Es gibt keine Einrichtungen, die sich auf den Transit-Moment zwischen Schule und Berufsleben konzentrieren. Mit unserem Programm adressieren wir genau diese Lücke.

BULLOCH: In anderen Ländern ist man da weiter. In Brüssel existiert das Wiels - Centre for Contemporary Art, das mit einem Ausstellungsort in der Stadt verbunden ist. Oder das Whitney-Programm in New York, das ans Whitney Museum gekoppelt ist.

Wie gehen Sie als Mentoren vor?

BULLOCH: Erfahrene Künstler, die schon länger in der Stadt sind mit gewachsenen Netzwerken und Strukturen treffen auf junge Künstler. Der Schwerpunkt unserer Arbeit liegt auf gegenseitigen Besuchen in den Ateliers von Künstlern.

DENNY: Auch sehr praktische Dinge können eine Rolle spielen; wo findet man die beste Druckerei, wie baut man ein Archiv auf. Es ist breit angelegt.

DE ROOIJ: Das Besondere an unserem Programm ist, dass es ziemlich unhierarchisch zugeht. Nicht nur wir besuchen die jungen Künstler in ihren Studios, sondern sie besuchen auch uns in unseren Ateliers. Wir lernen alle voneinander.

Das BPA ist eine nomadische Struktur.

BULLOCH: Wir haben keine eigenen Räume, und es hat eine Weile gedauert, bis wir verstanden haben, dass wir kein Gebäude brauchen. Das war der Durchbruch in unseren Überlegungen, als wir das Programm aufstellten.

DE ROOIJ: Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes in der Stadt zuhause. Ein Mentor kann an einem Tag in vier Studios zu Gast sein, quer über ganz Berlin verteilt. Dadurch bekommen wir ein gutes Gefühl dafür, wie Künstler die Stadt nutzen.

Zukunftsvisionen. Screenshot aus einem Video von Aliénor Dauchez, das in der BPA-Ausstellung zu sehen sein wird.
Zukunftsvisionen. Screenshot aus einem Video von Aliénor Dauchez, das in der BPA-Ausstellung zu sehen sein wird.

© Video: Why So Serious Production

Wie und wo arbeiten Künstler in Berlin?

DE ROOIJ: Viele arbeite zuhause, wie ich auch. Ich habe das Glück eine große Wohnung zu haben, aber manche jungen Künstler wohnen in einer WG. Es passiert, dass wir in jemandes Schlafzimmer landen und auf dem Bett sitzen. Aber wir nennen es in dem Moment „Studio“ und dann ist es ein Arbeitsraum. Es gibt auch Künstler, die sich Ateliers mit anderen teilen, manche draußen in Schönefeld, andere mitten in der Stadt. Es gibt Künstler, die eine Firma mit mehreren Angestellten haben und andere, die alles alleine machen. Der Künstleralltag kann sehr unterschiedlich aussehen.

DENNY: Es geht nicht darum, was man sich leisten kann, sondern darum, wofür die Menschen sich entscheiden und was für sie funktioniert. Man braucht nicht ein Dutzend Mitarbeiter, um ein erfolgreicher Künstler zu sein. Manche produzieren bedeutsame, äußerst erfolgreiche Arbeiten an ihrem Küchentisch.

Bildende Künstler leben in Berlin im Durchschnitt mit wenig Einkommen. Das belegt auch die Studie zum Berliner Kunstmarkt des Instituts für Strategieentwicklung, die 2018 erneut veröffentlicht wurde. Welche Unterstützung ist für Künstler sinnvoll?

BULLOCH: Die Stadt sollte dazu beitragen, Ateliers für Künstler zur Verfügung zu stellen. Der Komplex Leipziger Straße ist in Besitz der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Den Künstlern, die in diesem Gebäude zum Beispiel den Raum Italic betreiben, ist es zwar gelungen einen Mietvertrag über fünf Jahre zu bekommen, aber es war ein zäher, schwieriger Prozess. Auch in den Industriegebieten gehen viele Ateliers verloren. Die Preise dort sind exponentiell gestiegen. Es gibt gute Beispiele dafür, wie die Stadt dazu gebracht wurde, nicht an Höchstbieter zu verkaufen und die Immobilien stattdessen von Künstler erworben wurden, die sich zusammengetan haben. Doch viele Standorte schließen und werden verkauft. Das muss die Stadt mehr steuern.

DENNY: Viele Städte versuchen ihre Kulturszene durch Top-Down-Strategien zu beleben. Aber in Berlin passiert vieles von unten, ganz organisch. Das braucht Schutz. Auch deshalb haben wir das BPA ins Leben gerufen haben. Wir wollen etwas beisteuern, jeder der an einer lebendigen kreativen Szene interessiert ist, sollte etwas beitragen.

Wie empfinden Sie die Situation für Künstler in Berlin im Vergleich zu früher?

BULLOCH: Ich bin 1999 nach Berlin gezogen, seitdem hat sich viel verändert. Die Situation auf dem Immobilienmarkt ist natürlich angestrengter, die Stadt funktioniert ganz anders. Früher hielt man sich überwiegend in Mitte auf. Lichtenberg war am anderen Ende der Welt. Heute ist es um die Ecke.

DENNY: Ich bin seit 2009 hier. Es ist schwieriger geworden, gute Räume zu finden, die Zahl der Menschen, die an derselben Sache arbeiten, ist höher, der Kontakt zu kommerziellen Galerien anders.

Was hat sich da geändert?

DE ROOIJ: Vor der Krise von 2009 übernahmen Galerien mehr Aufgaben für einen Künstler, sie pflegten die Archive, sorgten für Dokumentation, Lager. Dieses Paket ist geschrumpft. Der Schwerpunkt liegt jetzt auf dem Handel.

Woran liegt das?

BULLOCH: Der Kunstmarkt wird immer globaler. Die Galerien stehen zunehmend unter Druck. Deshalb können sie nicht mehr so viel für die Künstler tun. Die Beziehung zwischen Künstler und Galerie ist distanzierter. Der Fokus der Galerie liegt mehr auf den Kunden. Die Galerien müssen wachsen oder sie gehen unter. Viele kleine und mittelständische Galerien haben zugemacht in Berlin.

DE ROOIJ: Berlin war immer ein sensitiver und nervöser Markt. Wirtschaftliche Schwankungen sind sofort zu spüren. Auch in Künstlerkreisen geht die Einkommensschere auseinander. Der Unterschied zwischen den sehr Erfolgreichen und dem Rest wird größer. Das spiegelt die Entwicklung der globalen Ökonomie.

Was bedeutet das für Künstler?

DE ROOIJ: Der Kunstmarkt ist unvorhersehbar. Deshalb brauchen Künstler mehrere Einkommensquellen. Viele von uns haben sehr produktive Beziehungen zu ihren Galerien. Aber es darf nicht die einzige Einkommensmöglichkeit sein. Deshalb brauchen Künstler auch Jobs.

Es überrascht mich, dass Sie das so sehen. Oft wird es als Defizit dargestellt, wenn ein Künstler zusätzliche Jobs hat. Müssen Künstler sich nicht auf ihr Schaffen konzentrieren?

BULLOCH: Doch, aber sie müssen auch leben. Es gilt eine Balance zu finden.

DE ROOIJ: Der größte Teil der Künstler, und speziell junge Künstler, können nicht allein von der Kunst leben. Natürlich generieren sie Einkommen durch ihre Arbeit, das ist in einem Monat mehr, im nächsten weniger, es ist ein prekäres Einkommen. Und die Probleme betreffen ja nicht nur junge Künstler. Ein Künstler im Rentenalter hat es sogar schwerer. Ein Junger kann als Tellerwäscher arbeiten, ein Alter kann das vielleicht nicht mehr. Da stoßen wir auf soziale, wirtschaftliche Probleme, die in dieser Stadt tief verwurzelt sind, davor sollte wir unsere Augen nicht verschließen. Die Jungen brauchen einen Job, die Alten brauchen Gesundheitsversorgung. Beides ist in Berlin schwierig. Und das betrifft ja keineswegs nur Künstler. Da schauen wir erwartungsvoll auf die Regierung.

Das Gespräch führte Birgit Rieger.

Eröffnung am Montag um 18 Uhr, Orte: Italic, Leipziger Str. 61, Beach Office, Leipziger Str. 61/62, Fragile, Leipziger Str. 63. Die Ausstellungen laufen bis zu 11. März, weitere Infos: www.berlinprogramforartists.org

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