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Die Ärzte

© Davids

Berlin: Rockbar ist besser

Das erste von sechs Ärzte-Konzerten in Berlin - das war drei Stunden Vollspaß, Bela B. mit Nordic Walking-Stöcken und dem typischen Ärzte-Humor, der herrlich politisch korrekt ist.

Der beste Witz an diesem frühen, schön heißen Sommerabend vielleicht ist, dass das alles kein Witz ist. 17.000 Menschen in der Parkbühne Wuhlheide, die mit dem festen Willen gekommen sind, Spaß zu haben, und die diese Band eher zum zehnten, zwanzigsten als ersten Mal sehen und eigentlich alles über sie wissen: vom Straight-Edge-Leben und Vegetarismus ihres Sängers und Gitarristen, von der Herkunft ihres Bassisten (Valparaiso, Chile, sein Onkel soll da mal Bürgermeister gewesen sein), von den vielen Mädchenherzen, die ihr Schlagzeuger schon gebrochen hat. Und eine Band, die weiß, dass ihre Fans alles über sie wissen und ihnen trotzdem den erwarteten Spaß nicht nur eine, nicht nur zwei, sondern alles andere als geschlagene drei Stunden bietet.

„Die beste Band der Welt aus Berlin“, die inzwischen die erfolgreichste Band der Welt aus Deutschland sein dürfte, auch bekannt als „Die Ärzte“, spielt zum Auftakt ihrer sechs Abende dauernden und nahezu ausverkauften Berlin-Wuhlheide-Tournee (nur für den 13. Juli gibt es noch Karten) – und imponiert dadurch, dass sie diesen Abend keine einzige Minute zu lang werden lässt. Und sie ihr Publikum bis in die wirklich allerhinterste Reihe im Griff hat.

Ob die Sitz-La-Ola, die „Wall of Death“, ob Mitklatschen oder Mitsingen, ob BH-Werfen oder Feuerzeuge anzünden – hier will sich von Farin Urlaub, Rodrigo Gonzales und Bela B. niemand vorwerfen lassen, wahlweise Beatsteaks-oder Boa-Fan, Miesmuffel oder Rechtsradikaler zu sein. Das hat in der Regel was Peinvolles, immer etwas Grenzwertiges, Zauberermäßiges, geht bei den Ärzten aber in Ordnung: Sie meinen es ernst, drei Stunden wollen gefüllt sein, und dann doch nicht so ernst. Sie verspotten sich, das Publikum und Berlin, das in ihren Worten immer nur „Berlin“ ist: Ironie ist, wenn man trotzdem lacht, und weiter geht die Sause.

So spielen sie sich durch einen Set, der vom jüngsten Album „Jazz ist anders“ bis zu uralten Gassenhauern wie „Zitroneneis“ und „Sweet, sweet Gwendoline“ reicht, der eine Art Querschnitt ihres 25 Jahre dauernden, rein rockmusikalisch nicht besonders spektakulären Schaffens darstellt. Und der dann immer wieder die Frage aufwirft: Wie konnte mit den Ärzten alles nur so kommen, wie es kam? Wie konnte eine Band, die früher unter dem Label „Fun-Punk“ lief, die sich einen Namen als häufigst indizierte Bands Deutschlands machte, die es fünf Jahre gar nicht gab, so in der Mitte der Gesellschaft ankommen? Und zwar mit Musik und Texten, die meist noch immer Fun-Punk sind?

Da ist natürlich vor allem der Witz, den die drei verströmen. Der ist manchmal bodenlos, fürchtet sich oft vor der Pointe, hat aber immer etwas Ungezwungenes, Unkalkuliertes. Etwa wenn Bela B. mit Nordic Walking-Stöcken über die Bühne schleicht. Wenn hier der Funk knackt oder Farin Urlaub einmal im Leben so guten Wein trinken will wie Blixa Bargeld. Wenn sie die bis auf Unterhose und Socken nackten Go-Go-Männer, die bei einem Stück auf die Bühne kommen, als „unseren Nachtisch“ bezeichnen. Oder die Schwaben in Kreuzberg als „Kripo“.

Und dann zeichnen sich die Ärzte durch eine politische Korrektheit aus, die sich gezielt hinter mancher Inkorrektheit verbirgt und anders als etwa bei den Toten Hosen was Leichtes, schön Unschwitziges und weit vom Ballermann Entferntes hat (was sich nicht zuletzt auf das durchweg angenehme, zum Teil durchaus jüngliche Publikum niederschlägt). Zeilen wie „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt so ist, wie sie ist, es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“ singen hier alle aus vollem Leib mit wie „Baby, ich kann dich gut leiden, es ist wirklich wahr, denn das wird nie was mit uns beiden, eines ist mir klar: Du bist unrockbar“.

Die Ärzte vermitteln, dass man sich Sorgen um die Welt machen soll, es einem aber schon mal egal sein darf, wenn der Regenwald stirbt oder in Birma die Kinder verhungern – auch Egos müssen gefüttert werden. Trotzdem werden am Kassenhäuschen vor allem die geladenen Gäste gebeten, einen Beitrag von mindestens fünf Euro für Amnesty International zu spenden. Dass das Publikum im Verlauf der drei Stunden auch die großen Hits bekommt, dass „Westerland“ kommt, diese Prä-Raddatz-Sylt-Eloge der Ärzte, oder am Ende „Schrei nach Liebe“, ihre Antifa-Hymne, versteht sich von selbst – da kennen die Ärzte keinen Spaß und keine Witze mehr. Da sind sie Vollprofis.

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