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Kosslick

© ddp

Berlinale 2008: Wie soll man da ruhig schlafen?

Bald geht’s los: Berlinale-Chef Dieter Kosslick spricht im Interview über seine E-Gitarre, die Musikfilme des Festivals und Jugendgewalt im Kino.

Herr Kosslick, auf dem Tisch hier liegt eine E-Gitarre. Ist das Ihre?

Ja, eine Fender Stratocaster.

Unser Popkollege sagt, Stratocaster sind die Mainstream-Gitarren, die einzig wahren …

… sind natürlich die Fender Telecaster. Marianne Faithfull spielte eine Telecaster. Als sie letztes Jahr mit „Irina Palm“ bei der Berlinale war, sagte ich: „Marianne, du hast doch so eine Supergitarre.“ Sie fragte mich: „Na, was für eine denn?“ Und ich: „Eine Fender.“ Sie: „Ja, klar, aber was für eine Fender?“ Und ich Blödmann sage: „Eine Stratocaster.“

Das heißt, der Eröffnungsfilm, Martin Scorseses Stones-Dokumentation „Shine a Light“, und all die vielen Musik- und Popfilme auf der diesjährigen Berlinale sind eine Wiedergutmachungsaktion für Marianne Faithfull?

Also bitte, Keith Richard spielt sowohl eine Gretsch-Gitarre als auch eine Telecaster und eine Stratocaster. Die sehen das nicht so eng.

Ist das noch Ihre erste Gitarre?

Nein, ich hatte früher eine andere Stratocaster. Eine braune. Die hätte ich mal behalten sollen, sie würde heute 10 000 Dollar kosten. Ich habe sie damals als Student für 200 Mark verkauft, weil ich kein Geld hatte, gemeinsam mit meiner Briefmarkensammlung mit allen deutschen Wohlfahrtsmarken. Als ich einmal mit dem Panorama-Chef Wieland Speck in New York war, gab es direkt neben seinem geliebten Chelsea-Hotel einen Vintage-Gitarrenladen. Da stand im Schaufenster meine Gitarre, die gleiche Farbe, das gleiche Modell: für 27000 Dollar. Ich ging in den Laden und fragte: Warum ist die denn so teuer? Es war die Gitarre von Twisted Sister.

Haben Sie als Jugendlicher auch Stones- Songs gespielt?

Klar, wir hatten unsere Band „The Meters“ in Pforzheim von 1964 bis 1969, das war genau die Stones-Zeit. Der Bassgitarrist ist heute übrigens Direktor des Berliner Technikmuseums. Zuletzt gespielt haben wir 1993, bei der Berlinale-Premiere von Detlev Bucks „Wir können auch anders“ im Tränenpalast. Damals war ich noch Chef der NRW-Filmstiftung, die den Film gefördert hatte. Ich habe auch noch Saxofon gespielt, es war unser letzter großer Gig.

Haben Sie die Stones schon persönlich kennengelernt?

Ich habe Mick Jagger einmal getroffen, beim Filmfestival in Venedig. Allerdings saß ich nur am Nebentisch, schade. Gesprochen habe ich noch nie mit ihm. Falls es mit der Verständigung hapert, kann ich ja einige seiner Songs singen.

Wie hat man sich den Stones-Auftritt vorzustellen: Landen sie im Privatjet in Tempelhof? Wird das Hotel de Rome gemietet?

Sie kommen wohl nicht mit Easyjet und schlafen nicht im Backpacker-Hotel. Sie werden auf dem roten Teppich sein und ganz normal eine Pressekonferenz geben. Wenn man das in diesem Fall normal nennen kann.

Madonna und Patti Smith kommen, es gibt viele Hiphop–Filme, warum so viel Musik?

Wir blicken zurück auf die große Zeit des Pop, es ist ja ein Jahr der Jubiläen. 40 Jahre ’68, 40 Jahre Vietnam-Konferenz in Berlin, zu der wir eine Reihe veranstalten, 60 Jahre Israel, 60 Jahre Kosslick. Im Ernst: Musik ist auch eine Kunstform, mit der man die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern kann. Die Texte der französischen Rapper haben mit den Unruhen in den Banlieus zu tun. Es gibt interessante Querverbindungen: Ein Film wie „Heavy Metal in Baghdad“ über Rock im Irak hängt mit Errol Morris’ Dokumentarfilm „Standard Opening Procedure“ über den Folterskandal von Abu Ghraib zusammen, der im Wettbewerb läuft. Und „War Child“ über den sudanesischen Hiphopper, der Kindersoldat war, passt zu „Feuerherz“ im Wettbewerb, der die Lebensgeschichte von Senait Mehari aufgreift.

Ist diese Berlinale der Beitrag des 68ers Kosslick zum 68er-Jubiläum?

Ich bin 48er. Im klassischen Wortsinn sind wir diesmal sogar weniger politisch.

Der Politfilmer Costa-Gavras als Jurypräsident, Abu Ghraib, das sind Setzungen.

Ja, aber mir liegt an einem erweiterten Politikbegriff. Wir zeigen Filme über Kinderschicksale, Kindersoldaten, Ghettokids oder Straßenbanden: Jugendkriminalität ist ein großes Thema, nicht nur in Hessen. Langsam kommen die unangenehmen Wahrheiten der Globalisierung und der gegenwärtigen Kriege ans Licht.

Ist das auch der Grund, warum dieses Jahr besonders viele Dokumentarfilme laufen, erstmals sogar im Wettbewerb?

Mitten im Wahnsinn der Bilderlawinen kann der Dokumentarfilm für Reduktion sorgen. Früher zeigte er uns die Pyramiden in Ägypten, da waren wir nie, und es war eine Sensation, Bilder davon zu sehen. Heute zeigt der Dokumentarfilm die Wirklichkeit hinter den Bildern. Wir kennen alle die Fotos von Abu Ghraib, wir kennen die Gesichter der Folterer, wir kennen die Namen. Wir wissen alles und begreifen nichts – bis wir Errol Morris’ Dokumentarfilm sehen werden.

Cannes hatte 2004 mit Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ als erstes Festival einen Dokumentarfilm im Wettbewerb. Die machen’s vor, Berlin macht’s nach?

Ach ja, Cannes. Außer im Alphabet ist Cannes immer vor uns. Es hat Cristian Mungius letztes Jahr die Goldene Palme verliehen, dabei war der Rumäne vorher zweimal hier beim Talent Campus.

Trotzdem findet das rumänische Filmwunder nicht in Berlin statt.

Soll ich jedes Jahr die Berlinale verlegen, weil Filme, die wir gerne hätten, später fertig werden? Dann hätten wir jeden Monat Berlinale, und ich könnte Uli Edels „Baader-Meinhof-Komplex“ zeigen, oder „Effi Briest“ von Hermine Huntgeburth oder den neuen Oskar Roehler. Auch den nächsten Film von Mungiu werden wir voraussichtlich unter Palmen angucken.

Keine Probleme mit Festivalkonkurrenz?

Für unsere Auswahl haben weder Rom, Rotterdam oder Sundance eine Rolle gespielt, auch nicht der Streik der US-Drehbuchautoren. Gut, Barry Levinsons Hollywoodinsiderkomödie „What just happened“ mit Sean Penn und Robert De Niro wäre für Berlin natürlich schön gewesen, zumal De Niro für die Goldene Kamera ohnehin nach Berlin kommt. Aber mit Penn als Jurypräsident in Cannes wird der Film wohl dort laufen.

In Sundance laufen Dennis Gansels „Die Welle“ oder Michael Hanekes „Funny Games“-Remake. Berlin zeigt nur einen deutschen Film im Wettbewerb, auch sonst erstaunlich wenig Deutsches. Wie kommt’s?

Jedes Festival hat seine Filme, wir können nicht alle haben.

Heißt das, die Regisseure sind nicht mehr so erpicht auf die Berlinale?

Nein. Aber durch die digitale Technik ist vieles einfacher geworden, und weil es schneller geht, dauert es länger. Man kann viel mehr spielen und grübeln, deshalb wird keiner mehr pünktlich fertig. Aber uns kümmert das nicht. Wir haben die Filme, die wir wollten. 5328 Filme wurden eingereicht, das sind 400 mehr als im Vorjahr. Und im Wettbewerb laufen gleich zwei Filme, deren Regisseure schon beim Talent Campus waren, von Lance Hammer und Fernando Eimbcke.

2008 ist Ihr verflixtes siebtes Amtsjahr. Bisher gab es jedes Jahr eine Neuerung, diesmal nicht. Ist das Berlinale-Haus fertig?

Das Leben hier ist keine Baustelle mehr. Wir zeigen dieses Jahr 383 Filme für alle Interessen und Vorlieben. Wir bauen bestimmt nichts mehr an. Auch die Digitalisierung und die Games-Industrie stehen jetzt auf der Agenda, in den „Berlinale Keynotes“. Künftig wollen wir uns mehr mit audiovisuellen Themen beschäftigen und zum Beispiel für das Kino als Ort werben. Denn allmählich begreifen wir: Wenn ein Kino erst mal geschlossen wurde, kann man es nie wieder eröffnen.

Bald geht’s los: Träumen Sie noch gut?

Letzte Nacht habe ich gar nicht geträumt, sondern lag ab 3 Uhr wach und überlegte: über 50 000 Leute waren 2006 im Olympiastadion bei den Stones, in den Berlinale-Palast passen 1700 Gäste. Alle anderen wollen aber auch rein. Und gleich am nächsten Tag wollen wieder Tausende den Bollywood-Star Shah Rukh Khan sehen. Wie soll man da ruhig schlafen?

Das Gespräch führten Christiane Peitz und Christina Tilmann.

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