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Hasenjagd in Florida. Szene aus dem Short "The Rabbit Hunt".

© Patrick Bresnan

Berlinale 2017: Kurzfilme: Die Katze im Hamsterrad

Gewalt und Spiele: Bei den Berlinale Shorts kommt alles in die Tüte, was kürzer ist als 30 Minuten – und progressiv. Insgesamt fünf Programme gibt es dieses Jahr.

Die unbegrenzten Möglichkeiten des Kinos zeigen sich auch in seiner kürzesten Form. Wer nur wenige Minuten Zeit hat, um das Publikum für sich zu gewinnen, setzt auf unwahrscheinliche Perspektiven, geht experimentell und radikal vor. Zumal Kurzfilme meist mit kleinem Budget produziert werden, als Teaser für größere Projekte dienen oder als Freifläche, um eine künstlerische Handschrift auszuprobieren. „Reframing the Image“ lautet denn auch das Motto der Berlinale Shorts 2017.

Es ist gewiss die wildeste aller Festivalreihen: Hier kommt alles in die Tüte, was kürzer ist als 30 Minuten – und progressiv. 23 Filme aus 19 Ländern konkurrieren um die Kurzfilm-Bären, eine Nominierung für den Europäischen Filmpreis und den mit 20 000 Euro dotierten Audi Short Film Award. Die insgesamt fünf Programme sind mit wolkigen Titeln wie „Vom Glanz der Sterne“ oder „Vom Aufgang der Sonne“ versehen.

Lachen und Erschrecken

Sie bereiten einen nicht gerade auf das vor, was sich auf der Leinwand abspielt: ziemlich viel Gewalt. Und Versuche, ihre unsichtbare Gegenwart zu erhellen. In „The Boy from H2“ führt ein palästinensischer Junge durch seinen Alltag in Hebron. US-Regisseur Patrick Bresnan dokumentiert, wie Dorfjungen in Florida beim „Rabbit Hunt“ Hasen erschlagen, um sie an der Haustür zu verkaufen. Bei Michalina Musielaks Beitrag lacht man – und erschrickt: Die polnische Filmemacherin war beim israelischen „Miss Holocaust“-Survivor-Wettbewerb dabei, der die charmanteste KZ-Überlebende kürt. Eine groteske Veranstaltung, auch in Israel umstritten.

Aus dem Impuls, vor brutalen Realitäten zu fliehen, entwickelt Diogo Costa Amarante, einer der vier portugiesischen Shorts-Teilnehmer, ein ästhetisches Spiel: In „Small Town“ erzählt eine Mutter, wie sie ihren Sohn vor der Auseinandersetzung mit dem Tod zu bewahren versucht. Kindheit als Schutzzone: Auch der suizidäre Protagonist in Emmanuel Marres „Le Film de l’Été“ träumt davon. Brenda Lien, die mit 22 Jahren jüngste Shorts-Regisseurin, ist dagegen gnadenlos. In der Animation „Call for Cuteness“ löst sie eine Katze aus ihrem Fail-Video und mutet ihr sämtliche Qualen zu, für die das Youtube-Binge-Watching sonst blind macht.

Ein Pixelfluss mit einnehmender Wirkung

Ästhetisch zukunftsweisend auch die Filme, die Games-Techniken nutzen. Jonathan Vinel etwa, der 2014 zusammen mit Caroline Poggi den Goldenen Kurzfilm-Bären gewann, erschafft mit den Bildern des Computerspiels „Grand Theft Auto V“ eine neue Kulisse für wütend-verzweifelte Einsamkeit. David O’Reilly, (Goldener Bär 2009 und Spielentwickler für Spike Jonzes’ „Her“) brilliert mit seinem Games-Film „Everything“, dem ersten auf der Berlinale. Das Spiel simuliert eine Realität, in der jede denkbare Sichtweise eingenommen werden kann, ob von Atomen, Pflanzen oder Planeten. „keep that dream burning“ des Digitalkünstlers Rainer Kohlberger erscheint wie eine philosophische Fortführung: Aus schwarz-grau-weißem Bildrauschen formen sich Objekte und Szenerien, die sich sofort wieder verlieren. Ein Pixelfluss mit einnehmender Wirkung.

Die meisten Kurzfilme stammen aus Europa und Nordamerika. Wenn es mal nach Afrika geht, dann wird die Region vor allem zum Schauplatz für ästhetische Experimente europäischer Künstler („Avant l’envol“ von Laurence Bonvin. „Fishing is Not Done on Tuesdays“ von Lukas Marxt und Marcel Odenbach). Einzige Ausnahme in der Shorts-Auswahl: die restaurierte Fassung von „Monangambee“, dem ersten Film von Sarah Maldoror, 1970. Der Film der aus Guadeloupe stammenden „Grande Dame“ des afrikanischen Kinos läuft außer Konkurrenz. Darüber, welche der übrigen Filme preisgekrönt werden, entscheidet eine dreiköpfige Fachjury.

Die 5 Shorts-Programme laufen im Cinemaxx und im Colosseum.

Carolin Haentjes

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