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Das Glück von damals. Thomas Horn begibt sich als Halbwaise in „Extremely Loud and Incredibly Close“ auf die Spuren seines Vaters (Tom Hanks), der am 11. September 2001 beim Anschlag auf das World Trade Center ums Leben kam.

© Warner Bros.

Berlinale: Das Schlüsselkind: "Extremely Loud and Incredibly Close"

Schlussstrich unter 9/11? Die Jonathan-Safran-Foer-Adaption „Extremely Loud and Incredibly Close“ mit Tom Hanks läuft außer Konkurrenz im Wettbewerb - und ab 16. Februar im Kino.

Als Jonathan Safran Foers Roman „Extremely Loud and Incredibly Close“ 2005 in den USA erschien, wurde er aufgenommen wie ein Schrift gewordener Schrei. Wie sollte das auch anders sein, kaum vier Jahre nach dem Schreckensereignis 9/11 – eine aberwitzig kurze Strecke gegenüber jener Distanz zum Gewesenen, mit der Literatur gemeinhin zu Werke geht. Das knapp 500 Seiten starke Buch, noch im selben Jahr auf Deutsch erschienen, mochte beim ersten Durchblättern wie das Spiel eines fantasiebegabten Kindes mit Schriftbild und Illustration wirken. Tatsächlich aber artikulierte sich darin ein sinnfällig wilder Kampf mit seinem eigenen Thema – von der anfangs geradezu panischen bis zur planmäßigen Dekonstruktion.

Faszinierend, was der damals erst 28jährige Foer sich da alles hatte einfallen lassen: Mal stand da nur ein Satz pro Seite (und das seitenlang), mal kleckste Fettdruck dazwischen, mal wurden massenhaft Wörter wie mit frischrotem Filzschreiber umkringelt, mal rutschte alles kursiv weg. Oder die Buchstaben wurden über zwei Dutzend Seiten immer enger und schließlich übereinander bis ins Totalschwarz gesetzt – so heftig, dass die Amazon-Leute auf der Website eine Art „Hey-Absicht!“-Hinweis einrückten, der noch heute dort zu lesen steht. Oder was ist mit den drei Seiten voller einstelliger Zahlen, nur durch Kommata getrennt? Und was erst mit dem Schluss, wo Foer den schlimmen Film seiner Geschichte einfach rückwärts laufen lässt bis zum Gänsehaut-Happyend: „Und alles wäre gut gewesen.“?

Nun also, sieben Jahre später, der Film zum Buch. Und gleich ist klar: Hier läuft kein Film rückwärts. Hier geht die Story des neunjährigen Oskar Schell, der den Tod seines Vaters an jenem 11. September und ein eigenes, sehr anrührendes Schuldgefühl nicht verwindet, plötzlich ihren merkwürdig abgeregelten Gang. Stephen Daldry („Billy Elliot“, „The Hours“, „Der Vorleser“) und Drehbuchautor Eric Roth („Forrest Gump“, „Der Pferdeflüsterer“, „Benjamin Button“) setzen auf das pure Mainstreamprodukt, Oscar-Hoffnungen inklusive. Und ein Happyend gibt’s auch, nur eben keines im Konjunktiv.

Unter der Voraussetzung, dass hier eine ihre erzählerischen Mittel bewusst auflösende Literatur in einen möglichst kassensaftigen Leinwandschinken verwandelt werden musste, macht Stephen Daldry seine Sache nicht einmal schlecht. Er bringt die drei dysfunktionalen Vater- Sohn-Elemente der Vorlage geschickt zusammen und betrachtet sie zwecks dramaturgischer Vereinfachung konsequent aus der kindlichen Perspektive: Da ist Oskar (Thomas Horn) und der Vater (Tom Hanks), dessen Tod den Sohn von der Mutter (Sandra Bullock) entfremdet. Da ist der Großvater (Max von Sydow), der sich, kriegstraumatisiert, vor der Geburt seines Sohnes aus dem Staub machte. Und da ist William Black (Jeffrey Wright): Als einer von 478 New Yorkern namens Black hat schließlich er Verwendung für Oskars Schlüssel.

Bei Foer ist dieses Schlüssel-Motiv – Oskar findet in einer Vase in einem mit „Black“ beschrifteten Umschlag einen Schlüssel und geht, weil er den Fund als ein posthumes Vaterzeichen deutet, auf eine letzte der einstigen vatersöhnlichen „Erkundungsexpeditionen“ – nur ein wichtiges Element unter mehreren. Und eine plastische Metapher für Verlust und Vater-Abwesenheit, wie sie dem Kinozuschauer übrigens derzeit auch in Martin Scorseses „Hugo Cabret“ begegnet. Dort funktioniert sie als eleganter Story-Impuls; in der Foer-Verfilmung dagegen wird sie geradezu manisch zentral. Und was zunächst als konzentrierte Zuspitzung der narrativen Elemente gedacht gewesen sein mag, schält bald nur mehr die aggressiv altkluge Sonderbarkeit Oskars heraus. Doch 130 Minuten kindliche Egomanie am Stück sind, aus welchen Gründen auch immer, im Kino wie in der Wirklichkeit nur schwer zu ertragen.

Noch böser allerdings die finalen Hollywood-Kompromisse. Während im Buch der Schmerz – trotz mancher Aussprache – Schmerz bleibt und auch bleiben muss, findet im Film jedes Töpfchen zum Deckelchen zurück: Opa zu Oma, Oskar zu seiner Mom und sogar Mr. Black zu Mrs. Black. Zu Alexandre Desplats mal orgelndem, mal knödelndem Score setzt die Inszenierung dies meist so tränentreibend – und zur Auflockerung augenzwinkernd – ins Bild, dass keinerlei Rest bleibt. Also: Alles wird gut. Weitergedacht: War was schlecht? Noch weiter: War da was, überhaupt?

Zehn Jahre lang hat sich, mit interessant unfertigem Ergebnis, das amerikanische Kino bemüht, Bilder für 9/11 zu finden. Nun, Jahre nach Jonathan Safran Foers so umwerfend suchwütigem Roman, macht sich da plötzlich eine Art Schlussstrich-Film zum Thema breit. Extrem glatt. Und unheimlich schal.

11.2., 12 Uhr und 13.2., 23.15 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 19.2., 12.45 Uhr (Berlinale-Palast)

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