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Gesellschaft bei Hofe. Léa Seydoux (rechts, großes Bild) spielt Sidonie Laborde, die Vorleserin der Königin Marie Antoinette.

© Carole Bethuel

Berlinale-Eröffnungsfilm: Krinolinen und Dekolletés

Benoît Jacquots „Les adieux à la reine“ lässt ein paar Tage im Versailler Höflingsleben des späten 18. Jahrhunderts Revue passieren. Die vage politische Botschaft bleibt dabei bloß übergeschminkt.

Festivals wählen ihre Eröffnungsfilme gemeinhin nicht nach strengsten cineastischen Richtlinien aus. Mit Blick auf ein festlich gestimmtes Publikum, dem zahlreiche auch für das Ereignis relevante Würdenträger angehören, sind Werke hohen Schauwerts und Star-Appeals besonders willkommen. Da zudem viele der geladenen Gäste übers Jahr wenig Zeit fürs Kino haben, gibt es an diesem Abend besonders viel davon. Kulinarisch ausgedrückt: Ein neungängiges Bildermenü, mündend in eine zehnstöckige Sahnetorte, darf es schon sein.

Benoît Jacquots „Les adieux à la reine“ passt, in gewisser Weise, zum Rahmen. Der Film, der ein paar Tage im Versailler Höflingsleben des späten 18. Jahrhunderts Revue passieren lässt, prunkt mit Spiegelsälen, Krinolinen, Lotterbetten – und ordentlich Dekolletés, in deren Gewoge der Blick der Kamera gerne verweilt. Allerdings geht es in der überwiegend am Originalschauplatz gedrehten Verfilmung des 2002 mit dem Prix Fémina ausgezeichneten Romans von Chantal Thomas um jene Tage, die dem Sturm auf die Pariser Bastille folgen, mithin um den Beginn der Französischen Revolution. Jacquot bemüht sich mit einigem Ehrgeiz, dabei die irgendwie präkapitalismuskritische Perspektive der Dienerschaft einzuhalten – und vielleicht läuft sein Berlinale-Beitrag deshalb nun nicht außer Konkurrenz, wo Eröffnungsfilme gerne siedeln, sondern im Wettbewerb.

Jacquots Identifikationsfigur ist Sidonie Laborde (Léa Seydoux), Vorleserin in Diensten Marie Antoinettes (Diane Kruger). Ihrer Königin ist dieses zur strahlenden Erscheinung herangewachsene Waisenkind ganz und gar ergeben – folglich bleibt Sidonie auch nahezu immun gegenüber den dramatischen Ereignissen im fernen Paris, die in den zahlreichen sorgfältig mit Kerzenlicht illuminierten Flurfunkszenen die Runde machen. Weitaus neugieriger ist sie auf das rätselhaft innige Verhältnis, das die Königin zu ihrer Favoritin Gabrielle de Polignac (Virginie Ledoyen) unterhält. Und recht spät übernimmt sie, als es um Flucht aus den politisch offenbar immer bedrängteren Verhältnissen geht, stets königinnendienlich ihre kleine Rolle in einer höchst überschaubaren Intrige.

Hier erst schwingt sich „Les adieux à la reine“ zu so etwas wie einer Erzählung auf. Vorher gefällt sich Jacquot, der schon bemerkenswertere Filme (etwa „Le septième ciel“ oder zuletzt „Villa Amalia“) gedreht hat, in der sorgfältigen Auspinselung von Tableaus, in bewegten Stillleben des Schranzenalltags, wobei der Blick auch auf die narrative Szenerie streng choreografisch bleibt. Auf der Tonspur ist, wenn denn die dräuenden Celli mal einen Augenblick Ruhe geben, überwiegend Statistengewisper zu vernehmen. Zum Ausgleich serviert der Regisseur mitunter gewisse Höhepunkte der Frivolität, die zwingend mit der Entblätterung junger weiblicher Hauptfiguren einhergehen – nur wirken diese Szenen dramaturgisch fast schmerzhaft herbeigezwungen.

Ein Erkenntnisgewinn, die gesellschaftlichen Zusammenhänge jener aufregenden Phase der französischen Geschichte betreffend, scheint dagegen kaum beabsichtigt. So erinnert man sich, während die bleierne Zeit der so eifrig ausgestellten Nichtigkeit voranschreitet, etwa an den jüngsten der filmischen Annäherungsversuche an die Welt des Ancien Régime: Sofia Coppolas „Marie Antoinette“, der 2006 in Cannes Premiere hatte. Im Gewand einer melancholischen Meditation erzählte der Film von der Marionettisierung aller bei Hofe – allen voran die total entfremdet lebende Königin selbst. Und entlarvte den Absolutismus als jenen schizophrenen Herrschaftsapparat, der auch die Herrschenden zerstört.

„Les adieux à la reine“ dagegen macht auf Glanz und hat ein schlechtes Gewissen dabei. Er gefällt sich mit blinkenden Oberflächen und schminkt sich die vage politische Botschaft bloß über. Und passt wohl gerade deshalb zu manchen Malaisen der Berlinale.

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