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Kultur: Berlinale: Festival, die achte

Brechen wir zwei Tabus. Zitieren wir erstens das meistzitierte Filmzitat der Zitatengeschichte und zweitens aus der Konkurrenz.

Brechen wir zwei Tabus. Zitieren wir erstens das meistzitierte Filmzitat der Zitatengeschichte und zweitens aus der Konkurrenz. Wenn Truffaut recht habe, schreibt Kurt Scheel in der "Berliner Zeitung", wenn also Kino bedeutet, schöne Frauen schöne Dinge tun zu lassen, dann sei "Wit" kein gutes Kino. Bien dit. In "Wit" stirbt eine Literaturdozentin an Gebärmutterkrebs. Der Film ist der bisher mit Abstand umstrittenste des Wettbewerbs. Dass der Regisseur Mike Nichols ihn beklemmend perfekt gemacht hat, bestreitet kaum jemand. Die Ablehnung ist ideologisch. Eine kinderlose, beruflich erfolgreiche Intellektuelle stirbt, das Leiden sitzt ausgerechnet in ihrem Unterleib, darin sehen manche Kritikerinnen eine männliche Emanzipations-Bestrafungsphantasie.

Eine Zeitlang durften im US-Kino Schwarze nur sympathische oder neutrale Charaktere spielen. Normalität besteht aber darin, dass ein Schwarzer jede Rolle spielen darf, vom Papst bis zum Serienkiller, für Frauen gilt das Gleiche. Thema von "Wit" sind die Rückverwandlung von Geist in Natur durch den Tod, und der Verlust von Autonomie und Würde in den modernen Sterbefabriken. Man hätte leicht eine ähnliche Geschichte über einen Mann erzählen können. Aber es war die Schauspielerin Emma Thompson, die diese Rolle unbedingt spielen wollte, sie schrieb auch am Drehbuch mit. Wegen der Fallhöhe, die diese Geschichte braucht, musste die Sterbende jemand sein, der bisher selbstbestimmter gelebt hat als der Durchschnitt.

Der gesinnungspolizeiliche Zugang zu Filmen ist immer falsch. Und niemals ist es klug, als Kritiker einem Kunstwerk vorzuwerfen, dass es nicht ins eigene Weltbild passt. Wenn Kunst überhaupt einen Sinn hat, dann den, unser Weltbild zu erschüttern.

Jean-Jacques Annauds Stalingrad-Film ist von allen - allen! - größeren deutschen Blättern wütend verrissen worden. Und anderswo? Bei einer Party lief ein Mitarbeiter der Produktion herum und erzählte, dass fast alle US-Kritiker den Film okay finden. "Wirklich, ich kann Ihnen das morgen in die Redaktion faxen." Annaud hat einen sehr schlichten Abenteuerfilm gemacht, der statt in Stalingrad auch Gott weiß wo spielen könnte - darin liegt wohl das Problem. Die Deutschen quälen sich seit Jahrzehnten mit dem Krieg ab, aber wer für den Weltmarkt arbeitet, für den ist der deutsche Schuld-und Sühne-Komplex bedeutungslos, für den ist Stalingrad kein Symbol, sondern eine location wie andere auch. Jetzt nehmen uns die Ausländer auch noch den Krieg weg! Warum sagt Heinrich Lummer nichts dazu?

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