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Grandmother's Flower

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Berlinale-Forum: Wenn die Wunde nicht mehr schmerzt, schmerzt die Narbe

Drei Dokumentarfilme aus Singapur, Japan und Korea auf den Spuren einer tabuisierten Vergangenheit.

Einer soll einen Film über seine Oma machen. Einer will die Vorgänge in einem japanischen Tempel verfolgen. Die dritte interessiert sich für den Alltag ihrer Heimat vor fünfzig Jahren. Keiner gibt den neutralen Beobachter, alle werden mit ihren Fragen lästig oder kommentieren listig und erklären sachlich. Drei Arten, sich zu erinnern: der Koreaner Mun Jeong-hyun mit seiner Familiengeschichte „Grandmother's Flower“, der Chinese Li Ying in seiner Reportage „Yasukuni“ über eine Gedenkstätte in Tokio und die in Singapur geborene Tan Pin Pin bei der Suche nach ihrer Heimatstadt, einer „Invisible City“. Die eine arbeitet neun Monate an ihrem Film, der andere zehn Jahre. Und jeder bekommt es mit dem asiatischen Trauma zu tun, das die kriegerischen japanischen Invasionen auf dem Festland hinterlassen haben.

Tan Pin Pin zeigt in Schwenks, Fahrten und Totalen ihre Stadt, dass man sich nicht über ein Gründungsdatum irgendwann im 21. Jahrhundert wundern würde. Aber auch Singapur hat eine Geschichte, vor allem eine britisch-koloniale, wurde in den 1940er Jahren von den Japanern erobert und ist seit 1963 selbständig. Wenn etwas jünger als 200 Jahre ist, fällt auch diese Vergangenheit in die Zuständigkeit der Archäologie.

Auf den Spuren der „Invisible City“: Da werden Whiskyflaschen und Zigarettenschachteln im Dschungel ausgegraben, Vorträge über Techniken im Reisanbau gehalten, alte Widerstandsnester gegen die Besatzer gezeigt. Ein Sammelsurium, in dem die Suchenden wichtiger werden als das Gefundene. Eine englische Lady mit ihrem Fotobuch verschwundener Kolonialbauten erzählt in drei Sätzen stockend ihre Geschichte. Sie lebt hier seit mehr als 50 Jahren. Und Singapur ist kein guter Platz zum Sterben.

„Yasukuni“ in Tokio, ein Schrein als religiöse und nationale Gedenkstätte: eine brisante Mischung. Gedenken der Toten und Masken des Krieges, privates Gebet und politische Heldenverehrung. Es geht um Soldaten, die ihre Heldentaten gegen fremde Völker begangen haben. Li Yings Film will kein schnelles Urteil über das umstrittene japanische Kriegerdenkmal. Schließlich ist es möglich, um tote japanische Soldaten zu trauern, ohne das Leid zu vergessen, das sie verursacht haben. Aber immer noch fehlt das Eingeständnis japanischer Kriegsschuld. Und so verschieben sich schnell die Gewichte.

Auf der einen Seite die Aufmärsche mit Fanfaren, militanten Reden und Blutsbeschwörungen. Ein Chor der Unbelehrbaren. Auf der anderen Seite Einzelstimmen der Taiwanesen und Koreaner. May Chin kommt zu Wort, eine Abgesandte des taiwanesischen Parlaments – man kennt sie als Hauptdarstellerin aus Ang Lees „Hochzeitbankett“. Auch Japaner fordern die Ahnentafeln ihrer Vorfahren zurück, denn sie wollen sie nicht als Helden gepriesen sehen. Zwei Demonstranten werden von Schrein-Verehrern übel zugerichtet: „Haut ab – geht doch nach drüben – nach China!“

Er stellt eine Figur ins Zentrum, die man nicht besser hätte erfinden können. Wie ein kichernder Dämon in seiner unterirdischen Höhle schmiedet ein alter Schwertmacher sein letztes Meisterstück. Die Schwerter wurden im Yasukuni-Schrein geopfert, jedes Schwert symbolisiert Millionen von Soldaten-Seelen. Kariya Naoji, der letzte seiner Zunft, lebt jenseits der Aufgeregtheiten alles Irdischen. Aber auf dieser Welt nimmt der Streit um Erinnern und Vergessen, Schuld und Vergebung kein Ende.

In diese Auseinandersetzung sind auch die Koreaner in „Grandmother’s Flower“ verstrickt. Eine Familiengeschichte um die Großmutter und ihren Bruder, der am Ende etwas seltsam wurde. Die Spuren führen in drei Dörfer, deren Klassengegensätze zu heftiger Feindschaft führten, die wiederum in Stammesfehden mit mündeten. Sie spiegeln persönliche und ideologische Auseinandersetzungen einer Gesellschaft. Gewalttaten der Linken und der Rechten, ausländische Aggression, Rechtsbeugung, Polizeiterror.

Nordkorea, Südkorea, Japan: Die komplizierten Schicksalslinien setzen sich in der Erinnerung und im Verschweigen fort. Opfer, die vergessen wollen, um nicht selbst zu Denunzianten zu werden. Täter, die sich nicht erinnern wollen, weil sie inzwischen selbst zu viel erlitten haben. In Mun Jeong-hyuns Film muss man nicht allen Verästelungen zwischen den Generation folgen können. Wichtiger ist, das die Menschen über das reden, worüber sie lange geschwiegen haben. Wie lebenslange Kämpfe in diesen sprechenden Gesichtern ihre Spuren hinterlassen haben. Wie der Blick der Kamera sie in ihrer privaten Umgebung einfängt, und die Mosaiksteinchen sich zum eindrucksvollen Bild verdichten: zur „comédie humaine“ einer gespaltenen Gesellschaft, einer geteilten Nation.

„Invisible City“: Heute 20 Uhr (Arsenal), 11. 2, 15 Uhr (Cinestar 8); „Yasukuni“: 11. 2., 17.15 Uhr (Arsenal), 12. 2., 12.45 Uhr (Cinestar 8), 14. 2., 20 Uhr (Cubix 9); „Grandmother’s Flower“: 11. 2., 12.30 Uhr (Arsenal), 12. 2., 20.15 Uhr (Cinestar 8)

Helmut Merker

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